Contra Dienstpflicht:Ein Dankeschön für nichts

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Was hat die Gesellschaft in letzter Zeit für die junge Generation getan? Es fällt einem nicht allzu viel ein. Die Jugend hat das gute Recht, über ihr Leben frei zu entscheiden.

Kommentar von Henrike Roßbach

Wenn die Vierjährige zur Schlafenszeit selbstvergessen vor sich hin spielt, liegen zwischen schlafen wollen und schlafen sollen Welten und ein Tränenmeer. Wenn dagegen die Chefin ihrem ehrgeizigsten Mitarbeiter das Prestigeprojekt in Dubai anvertraut, passt zwischen Wollen und Sollen kein Blatt Papier. Annegret Kramp-Karrenbauer hat dieses weite Feld nun noch ein wenig erweitert - um das Wollen-Sollen.

Für sie sei es ein zutiefst bürgerlicher Gedanke, so die CDU-Vorsitzende kürzlich, seinem Land und der Gesellschaft etwas zurückgeben zu wollen. Damit meinte sie die Dienstpflicht oder, weil das sympathischer klingt, ein "Deutschlandjahr": Junge Leute sollen sich engagieren wollen, ein Jahr lang, vor dem Studium oder der Ausbildung.

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Ein Pflichtjahr mag die Herzen derjenigen in der Union wärmen, die in einer konservativen Sinnkrise stecken und die Abschaffung der Wehrpflicht ähnlich gut verarbeitet haben wie die SPD die Agenda 2010. Doch das Resultat vom Wollen-Sollen dürfte kein freudiges "Ja, ich will!" sein, sondern eher ein grummeliges "Wenn's sein muss". Unlustige Jugendliche aber sind das Letzte, was Pflegeheime, Kindergärten oder Kliniken brauchen. Was sie bräuchten, wären attraktive Arbeitsplätze für Profis. Damit aber kommt die Politik deprimierend langsam voran.

Deutlich naheliegender als ein Pflichtjahr wäre zudem, erst mal genug Plätze in den bereits existierenden Freiwilligenprogrammen zu schaffen und diese finanziell besser auszustatten. Derzeit übersteigt die Nachfrage das Angebot; ganz abgesehen von denen, die sich gar nicht erst bewerben, weil sie sich ein solches Jahr auf Taschengeldbasis nicht leisten können.

Besonders ärgerlich aber ist, wes Geistes Kind die Dienstpflichtbegeisterung ist. Nicht nur, dass (Achtung, Treppenwitz) ausgerechnet unter denen, die der Jugend mehr Engagement abverlangen wollen, besonders viele deren Engagement fürs Klima ohne mit der Wimper zu zucken als Schulschwänzerei abtun. Die Dienstpflichtbefürworter legen auch insgesamt einen bedenklich paternalistischen Blick auf "die Jugend von heute" an den Tag, der es schon mal ganz gut täte, etwas für die Gesellschaft zu leisten.

Unterschiedliche Lebensentscheidungen können Grandioses bewirken

Da denkt man natürlich sofort angestrengt darüber nach, was die Gesellschaft zuletzt so alles für die Jugend von heute geleistet hat. Man kommt aber nicht besonders weit, weil einem sofort all die maroden Schulen und ausgefallenen Unterrichtsstunden einfallen, die fehlenden Lehrer, Erzieherinnen und Glasfaseranschlüsse, die unbezahlbaren Studentenbuden und der Bildungserfolg, der vom Elternhaus abhängt. Aber okay, kostenlos sind sie, die Schulen und Universitäten.

Die heute Jungen werden später so manche Last zu tragen haben, die sie just denen verdanken, die heute mit dem Rechenschieber vor ihren Nasen herumfuchteln und "Gegenleistung" rufen. Wenn sie darauf mit "Danke für nichts" antworten, wenn sie lieber die Klima- und Rentenpakete zurückgeben wollen als ein Jahr ihres Lebens, ist das nicht undankbar, sondern ihr gutes Recht. Kinder erwachsen werden zu lassen bedeutet, ihnen Freiheiten zuzumuten und zuzugestehen. Die unterschiedlichsten Lebensentscheidungen können auf abenteuerlichen Wegen Gutes, ja Grandioses bewirken. Sie selbst treffen zu dürfen, steht auch der Jugend zu.

© SZ vom 18.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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