Die Wiedergeburt der Do-it-yourself-Welle:Wir basteln uns ein Leben

Seit einiger Zeit wird überall wieder gestrickt und gebacken, geschreinert und geschweißt und geschraubt. Do It Yourself ist das Gebot der Stunde: Hier manifestieren sich die Sehnsucht nach Selbstbestimmtheit und die Angst vor der Masse.

Petra Steinberger

Das auf den ersten Blick Erstaunliche ist, dass man die Zeit dafür findet. Die Zeit, die sonst immer knapp ist, die abgeht, die davonläuft, die rennt. Auf den zweiten Blick erkennt man, dass diese Bewegung gerade dazu führt, dass man sie sich wiederholt, die Zeit. Und sonst noch einiges mehr. Aber davon später.

Seit einiger Zeit wird überall wieder gestrickt und gebacken, geschreinert und geschweißt und geschraubt, dass es eine wahre Freude ist. Freiwillig. Voll Begeisterung. Und die Lust aufs Selbstgemachte hört noch längst nicht auf, wird immer noch stärker gerade bei denen, die es eigentlich nicht nötig haben, weil sie doch längst mit Geist und Verstand ihr Geld verdienen. Und die Anstrengung von Geist und Verstand, das hatten wir so gelernt, gilt in unserer Kultur als höchste, elitärste und ehrenvollste Form der menschlichen Betätigung überhaupt. Kopfarbeiter hatte über Handarbeiter geherrscht, so lange man denken kann.

Und doch. Gerade wenn man es sich so richtig gemütlich machen will zwischen Computerarbeit und den Hunderten Gadgets, die einem jede vorstellbare körperliche Tätigkeit abnehmen, schwappt die jüngste Wiedergeburt der Do-it-yourself-Welle über uns angeblich wohlstandsverhätschelte und konsumorientierte Mittelstandsnachkömmlinge. Und sie schwappte aus Amerika, wo man eigentlich noch viel wohlstandsverhätschelter und konsumorientierter ist als hier. War ihnen langweilig geworden?

Widerstandskämpfer gegen Globalisierung

Hier gab es dafür zunächst einmal Manufactum. Solche handgemachten und manufakturgemaßten Produkte zu erwerben, das verhieß die Entwöhnung vom Billigstkonsumrausch. Durch den Kauf eines liebevoll gefertigten Stücks in limitierter Auflage, bestenfalls aus heimischer Produktion, stieg man auf zum Widerstandskämpfer gegen Globalisierung und Turbokapitalismus, der die Massenware aus Billigstlohnländern über uns gebracht hatte. Aber irgendwie reichte das bald nicht mehr. Man kaufte noch, man machte nichts.

Kaum zu glauben: Der Marsch zurück ins einfache Leben und in die neue Autarkie hat gerade erst begonnen, und wie es sich gehört, erscheint gerade ein sehr lustiges und kluges Buch, "Hab ich selbst gemacht. 365 Tage, 2 Hände, 22 Projekte" (Kiepenheuer & Witsch), in dem Alphamädchen Susanne Klingner aufgeschrieben hat, was alles möglich ist im riesigen Betätigungsfeld des modernen DIY. Schuhe machen. Oder Weihnachtsgeschenke. Brot. Seife. Guerillagärtnern. Einmachen.

Und was dabei nervt und was nicht, was zufrieden macht und wo Enttäuschungen versteckt sind. "Ich käme", blickt Susanne Klingner nach einem Jahr zurück, "mit ausschließlich selbstgemachten Dingen durch den Tag, ohne frieren oder hungern zu müssen." Etwas mit den eigenen Händen zu schaffen, erkennt sie, macht uns zufrieden. Und glücklich.

Wäsche und Windeln waschen

Sie weiß nach diesem Jahr jedoch auch, dass es nicht darum gehen kann, wirklich ganz zurückzustreifen in eine Welt, der die industrielle Revolution noch bevorstand. Selbermachen ist befriedigend, aber wollte Mann, und Frau zumal, wirklich wieder von frühmorgens bis spät in die Nacht mit der Hand Wäsche und Windeln waschen und nähen und kochen und die Beete pflegen und Vieh melken, Kinder großziehen - und, ganz nebenher, auch noch aus dem Haus gehen und arbeiten?

Die Emanzipation der Frauen ist nicht zuletzt der Erfindung und der industriellen und damit immer billigeren Herstellung der modernen Haushaltsgeräte zu verdanken. Waschmaschine, Kühlschrank und Bügeleisen schenkten den Frauen oft überhaupt erst die Zeit, sich Gedanken zu machen darüber, ob das Leben eigentlich gerecht mit ihnen verfahre. Insofern ist der Retrotrend Selbermachen auch ein gehöriger Luxus. Denn ein wenig Zeit muss man schon haben, die man sich nehmen kann, wenn man T-Shirts selbst nähen will, anstatt um die Ecke zur großen schwedischen Kette zu gehen.

So schön es wäre, wenn man wie die wohl bekannteste digitale DIY-Plattform etsy.com darauf hofft, "bestehende Wirtschaftsstrukturen aufzubrechen und eine echte Alternative zu Massenprodukten und Billigware zu bieten" - ganz ohne industrielle Produktion auszukommen, das ist eher ein naiver Wunschtraum denn etwas, das sich demnächst ereignen wird.

Ekel vor der industriellen Massenware

Doch in die Lust an manueller Betätigung mengen sich auch noch andere, wohlfeile und nicht ganz so feine Gründe. Der Ekel vor der industriellen Massenware ist auch ein Ekel vor der Masse selbst und die Angst, von ihr aufgesogen zu werden, in ihr die eigene Individualität zu verlieren. Diese Angst ist natürlich nicht verwunderlich - denn viel von dem Können, das einst die vielgerühmte Kopfarbeit ausgemacht hat, kann inzwischen ja ebenfalls automatisiert werden. Kopfarbeiter sind ersetzbar geworden. Glücklich macht das nicht.

Auch in die Sorge um eine Welt, in der Ressourcen zur Neige gehen und damit ein Lebensstil, der komplett vom weltweiten Warenverkehr und internationaler Produktion abhängig geworden ist, mischt sich etwas anderes - Misstrauen gegenüber Staat und Gesellschaft.

Denn wie soll man Menschenmassen, die sich durch Discounter schieben, Unmengen Fleisch in sich hineinstopfen und sowieso ignorant sind, noch politisches Urteil zutrauen? So richtig es ist, sich unabhängig zu machen von den Auswüchsen des Konsums - es könnte also vorkommen, dass man zum pseudoautarken Schnösel wird, der die anderen vor allem verachtet, obwohl er sie immer noch braucht.

Kult des Amateurs

Dennoch: Die Sehnsucht, seine eigene Welt mit den Händen zu erschaffen, kehrt immer wieder. Sie ist ein Korrektiv. Sie hilft uns, zu kontrollieren, inwieweit wir überhaupt noch Herrscher über unser Leben sind. Jedes Mal, wenn eine neue Generation fürchtet, dass ihr das eigene Schicksal entgleiten könnte, dass sie zunehmend fremdbestimmt ist oder sich so fühlt, wird DIY wieder neu entstehen. In den Fünfzigern, als die industrielle Massenproduktion einerseits richtig anlief, entdeckte und feierte man in England wohl nicht zufällig den Kult des Amateurs.

In den Sechzigern und Siebzigern, als in Kalifornien und anderswo die Alternativkultur blühte, brachte Stewart Brand "The Whole Earth Catalog" heraus, in dem kleine, private Hersteller ihre kleinen, selbstgemachten und schon damals nachhaltigen Produkte, Kleider, Werkzeuge anpreisen konnten.

Ewig menschlicher Impuls

Und in den letzten zwei Jahren, im Zuge der jüngsten DIY-Inkarnation, machten zwei Bücher die Runde, die ihr den philosophischen Unterbau lieferten - als Hohelieder auf den Wert des Handwerks und der Handarbeit. In seiner Betrachtung "Handwerk" erklärt der große amerikanische Kultursoziologe Richard Sennett dasselbe zu einem ewigen menschlichen Impuls: Es sei unsere Sehnsucht, eine Arbeit um ihrer selbst willen gut zu machen.

Und in seinem auf Deutsch etwas unglücklich betitelten Büchlein "Ich schraube, also bin ich" preist der promovierte Philosoph und gelernte Mechaniker Matthew B. Crawford die Arbeit mit den Händen gar als einen Weg aus der allgemeinen Sinnkrise, als Möglichkeit, das eigene Denken neu zu schulen.

Es geht beiden nicht darum, Billigware aus Fernost zu ersetzen - sondern durch die Körperlichkeit dieser Arbeit den eigenen Wert wieder in sich selbst zu entdecken. Stolz auf das Geschaffene zu sein. Und sich in seinem selbst gesetzten Zeitrahmen mit einer handwerklichen Tätigkeit zu befassen, die uns auch lehrt: Sich, siehe oben, diese Zeit einfach zu nehmen.

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