"Die Recherche": Gleichberechtigung heute:Zerstört Emanzipation die Erotik?

"Die Recherche": Gleichberechtigung heute: Mann, wenn du zum Weibe gehst, vergiss den Besen besser - total unsexy.

Mann, wenn du zum Weibe gehst, vergiss den Besen besser - total unsexy.

Wie viel Gleichberechtigung verträgt unser Sexleben? Studien zeigen: Weniger, als den meisten Paaren lieb sein kann.

Von Violetta Simon

Die Frage, wer den Müll rausbringt, die Kinder betreut und die Kohle nach Hause bringt, ist lange geklärt: beide. Das ist gut so - sagen Soziologen. Wegen der Augenhöhe in einer Beziehung. Studien belegen, dass bei gleichberechtigter Aufgabenverteilung alltägliche Reibereien abnehmen und die Qualität der Partnerschaft steigt. Zugleich ist es aber auch schlecht - sagen Sexualwissenschaftler. Weil die Lust auf Gleichberechtigung die Lust aufeinander schwinden lässt.

Soziologinnen der American Sociological Association haben in einer Studie den Zusammenhang zwischen der Rollenverteilung in einer Partnerschaft und dem Sexleben untersucht. Das Ergebnis: Paare mit traditioneller Aufgabenverteilung haben in der Tat häufiger Sex im Vergleich zu jenen, die sich gleichberechtigt auch "typisch weibliche" Aufgaben teilen.

Das liegt wohl kaum daran, dass Männer keine Zeit mehr fürs Liebesspiel haben, nach dem Motto: "Jetzt nicht, Schatz, ich muss erst noch deine Blusen bügeln!" Vielmehr scheint sich die Gleichberechtigung - obwohl positiv für die Partnerschaft - negativ auf die Libido auszuwirken: "Je weniger Unterschied zwischen den Geschlechtern, desto weniger sexuelles Begehren", schreibt die Soziologin Julie Brines in der Studie.

Je traditioneller die Arbeitsaufteilung, desto mehr Sex

Diese Beobachtung machte auch die Paartherapeutin Lori Gottlieb, Autorin des US-Bestsellers "Marry Him", in ihren Untersuchungen. In einem Artikel in der New York Times schreibt die 49-Jährige, dass die befragten Frauen den Grad ihrer sexuellen Befriedigung umso höher einstufen, je traditioneller die Arbeitsaufteilung in ihrer Partnerschaft ist.

"Egal, wie oft der Mann die Spüle schrubbt oder im Supermarkt einkauft, egal wie gut Mann und Frau miteinander kommunizieren oder wie feinfühlig sie aufeinander eingehen, die Frau wird ihren Mann deswegen nicht sexuell anziehender finden", schreibt Gottlieb, "auch wenn sie sich ihm nahe und glücklicher denn je fühlt."

Schon tragisch. Da bemüht sich der moderne Mann seit Jahren um die Aktivierung seiner Soft Skills. Unterdrückt sein vermeintlich frauenfeindliches "Neandertaler-Ich" zugunsten der Gleichberechtigung. Holt die Kinder von der Krippe ab. Faltet das Altpapier. Reinigt das Ceranfeld mit einem speziellen Schaber. Synchronisiert seine Bürotermine mit dem Familienkalender. Teilt sich Elternabende, Ausgeh-Abende und Hausarbeit gerecht mit seiner Frau. Nimmt sich zurück im Bett und versucht, sie nicht zu bedrängen. Achtet darauf, dass sie auf ihre Kosten kommt. Und dann bekommt er genau das aufs Brot geschmiert: zu angepasst, um anzutörnen.

"Wie viel Gleichberechtigung brauchen wir noch?" Diese Frage hat unsere Leser in der elften Runde des Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Beitrag ist Teil eines Dossiers, das sie beantworten soll. Alle Texte zur aktuellen Recherche finden Sie hier. Mehr zum Projekt finden Sie hier.

Es ist schwierig und verwirrend - nicht nur für die Männer. Die Frauen verstehen oft selbst nicht, was da passiert ist. Ihr Partner hat sich vor lauter Rücksicht so verbogen, dass sie sich am Ende fragen: "Was ist aus dem souveränen, chaotischen Kerl geworden, in den ich mich verliebt habe?" Tja, dieser Kerl ist so nicht mehr vorhanden.

In gleichberechtigen Beziehungen bilden Paare ein eingespieltes Team, das sich Kindererziehung, Haushalt und Unterhalt kameradschaftlich teilt. Reibungen gibt es kaum mehr. Doch genau diese fehlende Reibung wirkt sich negativ auf die Lust aus: Aus Frau und Mann wird Mama und Papa, zwei geschlechtsneutrale Wesen. Es wird gekuschelt, nicht gevögelt.

Hausgemachtes Dilemma

Was genau da vor sich geht, erklärt die Paartherapeutin recht anschaulich am Beispiel eines Paares, das sie vor Jahren aufsuchte. Die beiden wollten die Verantwortung für den Haushalt gerechter unter sich aufteilen, damit auch die Frau ihrem Beruf nachgehen konnten. Was ihnen hervorragend gelang.

Am Ende jedoch hatten sie ein neues Problem: Der Mann beklagte sich, dass seine Frau nur noch geringes Interesse an Sex zeigte. Er fürchtete, in ihren Augen nicht mehr attraktiv zu erscheinen. Die Antwort der Frau war einerseits schmeichelhaft - andererseits frustrierend: Sie begehre ihn nach wie vor, versicherte sie ihm, allerdings vor allem dann, wenn "Du total verschwitzt aus dem Fitnessstudio kommst, dich ausziehst, um zu duschen, und ich deine Muskeln zu sehen bekomme."

Diese Aussage dürfte den Mann in tiefste Verwirrung gestürzt haben. Vermutlich wird er sich erinnern an diesen einen Abend, als er vom Sport heimkam. Aber nicht, weil sie irgendwelche Anstalten gemacht hätte, ihn zu verführen. Als er aus dem Wäschekeller kam, wo er ordnungsgemäß die Laufschuhe ans Fenster gestellt und die verschwitzten Sportsachen in die Waschmaschine geworfen hatte, war sie bereits wieder in ihrem Arbeitszimmer verschwunden.

Was, wenn er die Sporttasche in die Ecke geschmissen und seine Klamotten einfach fallen gelassen hätte? Wäre er für einen Moment wieder zu dem geworden, den seine Partnerin begehrt? Hätten sie spontanen Sex auf dem Boden der Waschküche gehabt? Oder hätte sie ihm nicht doch eine Szene gemacht, weil er immer und überall sein Zeug liegen lässt?

Ein paradoxer Widerspruch

Das ganze Dilemma wurzelt offenbar in einem grundlegenden, aber wissenschaftlich belegten Widerspruch: Der tolerante, fürsorgliche Mann, mit dem wir zusammenleben wollen, ist nicht der Mann, mit dem wir schlafen wollen - und umgekehrt. In weiblichen erotischen Fantasien darf deshalb auch irgend ein dahergelaufener Typ mit dreckigen Stiefeln über den frisch gewischten Boden pflügen und das Geschirr beiseitefegen, um die Frau auf dem Küchentisch zu beglücken. Während sie es in der Realität bereits als Provokation empfindet, wenn ihr Partner auf den Teppich krümelt und die benutzte Kaffeetasse in der Spüle abstellt.

Aus männlicher Perspektive ist die Situation nicht weniger paradox. Zwar findet er es durchaus befreiend, wenn seine Frau mit dem Bohrer umgehen kann und ihr Kosmetikregal mal eben selbst in die Wand dübelt. Nur nicht sehr beflügelnd für seine Libido. Willkommen im 21. Jahrhundert? Fehlanzeige - die Triebe wohnen nach wie vor in Neandertal, dritte Höhle links.

Natürlich schätzen Männer eine verlässliche, selbstbewusste Partnerin an ihrer Seite, die einem ernstzunehmenden Job nachgeht. Andererseits passt das schlecht zu dem Selbstbild vom Ernährer und Entscheider, das ja trotz Gleichberechtigung nicht einfach aufhört zu existieren. Diese Zweifel verunsichern viele Männer, auch in ihrer Rolle als Liebhaber.

Einer muss die Führung übernehmen

So berichtet Lori Gottlieb von einer Klientin, die ihren Mann ermuntert habe, beim Sex energischer, ja, grober vorzugehen. Das Ergebnis sei unfreiwillig komisch gewesen. "Er versuchte sein Bestes, aber er war dabei so ... vorsichtig", erzählt sie. Sie wolle aber nicht, dass er ständig frage, ob das noch okay für sie sei - denn genau darum gehe es ja: "Ich will, dass er sich eben nicht darum kümmert, ob ich mich gut fühle. Dass er einmal nicht der gute Ehemann ist - sondern die Führung übernimmt." Da soll noch einer mitkommen.

War sie nicht diejenige, die ihm bei jeder Gelegenheit klarmachte, dass sie ihm ebenbürtig ist? Woher nun der Wunsch, sich zu unterwerfen? Die Antwort darauf ist einfach: Gerade weil sie ihm im Alltag nicht unterlegen ist, gönnt sie sich dieses Spiel nun im Bett.

Gottlieb zitiert in dem Zusammenhang die bedeutende Soziologin und Sexualwissenschaftlerin Pepper Schwartz, die sagt, Frauen hätten schon immer Unterwerfungsfantasien gehabt - nun hätten sie dank ihrer Macht im realen Leben die Möglichkeit, diese ohne Autoritätsverlust auszuleben. "Je mächtiger du in der Beziehung bist und je mehr Verantwortung du in anderen Bereichen deines Lebens trägst, umso reizvoller wird das Spiel mit der Unterwerfung", schreibt Schwartz in ihrem Buch "Love between Equals".

Es ist schon eine Herausforderung: Erst zwingt sie ihn zum Pinkeln in die Knie, weil es ihr Selbstwertgefühl verletzt, wenn er die Klobrille versprenkelt. Und im Bett verlangt sie dann plötzlich von ihm, ihre Befindlichkeiten zu ignorieren - und damit eine Grenze zu überschreiten, die im Alltag einem absolutem Tabu gleichkommt.

Sieht aus, als sei das vermeintliche Dilemma gar keins - sondern die Lösung. Womöglich ist das eigentliche Problem nur unsere Angst, sich auf den Widerspruch einzulassen. Nämlich der, dass es einerseits gelernte Strukturen gibt, die im Zusammenleben Sinn machen und die einem permanenten Wandel unterzogen sind. Und andererseits - jenseits von Emanzipation, Quote und politischer Korrektheit - genetisch verankerte, geschlechtertypische Bedürfnisse, die man nicht leugnen kann. Und auch nicht soll. Weil wir uns sonst selbst den Spaß aneinander verderben.

Sex dient auch als Machtkampf

Gerade weil im Alltag männliche und weibliche Eigenschaften zunehmend verschwimmen, sollten und dürfen wir uns erlauben, diese beim Sex auszuleben. Sex ist schließlich in erster Linie ein Spiel - ein Liebesspiel, nicht zuletzt aber auch ein Rollenspiel. Wer welche Rolle übernimmt, ist dabei nicht die Frage. Das kann wechseln. Wichtiger ist, dass einer von beiden bereit ist, die Führung zu übernehmen. Und einer, die Kontrolle abzugeben. Das gilt auch für homosexuelle Beziehungen.

Sex dient nicht nur der Triebabfuhr - ginge es darum, wäre ein Partner weitgehend entbehrlich. "Sex ist immer auch ein Kampf um Macht und Dominanz", schreibt US-Autorin Gottlieb. Männer und Frauen müssten lernen, diese Impulse spielerisch einzusetzen, ohne dass die Partnerschaft aus dem Gleichgewicht gerät. Wer zwanghaft versucht, auch im Bett dieses Gleichgewicht beizubehalten, bringt sich selbst um das Glücksgefühl, sich fallenlassen zu dürfen.

Wer das als Schlag in die Magengrube des Feminismus versteht, hat etwas Grundlegendes nicht verstanden: Unser Unterbewusstsein fragt nicht nach gesellschaftlichen Normen. Unser Sexualtrieb schert sich nicht um Debatten über Hausarbeit. Unsere Fantasien sind, gelinde gesagt, politisch unkorrekt, mitunter peinlich, ja, unaussprechlich.

Tun wir also nicht so, als wäre es lediglich eine Frage des guten Willens, wie viel Gleichstellung der Sex in Beziehungen verträgt. Dafür war er nie gedacht. Sicher, das geht wider die Vernunft und sämtliche gesellschaftliche Normen, aber diese Normen dürfen wir mit unserem Pyjama ruhig für ein paar Stunden abstreifen - und am nächsten Morgen wieder überwerfen. Denn da wo wir hingehen, brauchen wir sie wieder.

"Wie viel Gleichberechtigung brauchen wir noch?" Diese Frage hat unsere Leser in der achten Runde unseres Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Das folgende Dossier soll sie beantworten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: