Die Paar Probleme (12):Nichts läuft mehr

Sein Job verlangt einiges, da bleibt nicht viel übrig für die sexuellen Bedürfnisse seiner Frau. Sie fühlt sich abgelehnt, er sich unter Druck gesetzt. Ein Gespräch, bei dem auch unsere User zu Wort kamen.

Violetta Simon und David Wilchfort

Die User von sueddeutsche.de waren aufgefordert, uns zu einem aktuellen Problemfall (siehe Video) ihre Ratschläge und Erfahrungen zu schicken. Wir bedanken uns für die rege Teilnahme und bitten um Verständnis, dass wir nicht alle Zusendungen berücksichtigen konnten. Im folgenden Gespräch beziehen wir uns auf drei Beiträge, die uns am hilfreichsten erschienen.

sueddeutsche.de: Schon bemerkenswert, wie verunsichert manche Frauen heutzutage sind, wenn ein Mann seinem Image als triebgesteuertes Wesen nicht entspricht. Millionen von Männern werden Abend für Abend abgewiesen mit Argumenten wie "zu müde", "die Kinder können uns hören", "ich habe meine Tage". Sobald er sich aber zurückzieht mit der Begründung "zu viel Stress im Job", mutiert er vom "Sexmonster" zum pathologischen Fall: "Das ist doch nicht normal, dass ein Mann seine Frau nicht mehr anfasst!", klagt Eva.

David Wilchfort: Ich glaube auch, dass Adam und Eva - wie viele Menschen - von einem geschlechtsspezifischen Stereotyp ausgehen: Er will immer, sie gibt hin und wieder nach. Es wäre für beide eine Erleichterung, wenn sie anerkennen könnten, dass sexuelle Lust in beiden Geschlechtern vorhanden ist und bei jedem Menschen - egal ob Mann oder Frau - unterschiedlich ausgeprägt ist.

sueddeutsche.de: Diese Einstellung spiegelt sich auch in den Ratschlägen unserer Leser. Viele meinen, Eva sollte Adam öfter mal "ein tolles Abendessen zaubern" und sich in einem "ansprechenden Outfit" präsentieren. Sicher, wer Sex will, muss nett sein - alte Regel. Doch vielleicht sind ja beide berufstätig und dieses Rollenverhalten hat überhaupt keinen Platz in ihrem Lebensbild? Und wenn wir schon dabei sind: Adam könnte Eva ebenso gut in ein tolles Restaurant ausführen, um ihr zu zeigen, dass ihm vielleicht der Sinn gerade nicht nach Sex, aber durchaus nach Gemeinsamkeit steht.

Wilchfort: Leider ist der Begriff "nett" komplizierterer, als die vier Buchstaben vermitteln. Was jemand als angenehm empfindet, dafür gibt es keine feste Regel. Viele Menschen raten daher zu Maßnahmen, die sie selbst schätzen. Man sollte aber herausfinden, was der Partner mag.

sueddeutsche.de: Ein offenes Gespräch wäre da sicher hilfreich. Doch gerade beim Thema Sex fällt es oft schwer, sich zu öffnen.

Wilchfort: Allerdings. Manche glauben, über Sex zu sprechen heißt automatisch, die intimsten Phantasien auszutauschen. Das kann sicherlich wichtig sein, doch in diesem Fall geht es um etwas anderes, ebenfalls sehr Intimes, nämlich die Bedeutung der Sexualität für den Selbstwert. Die Frage ist: Was brauche ich, um mich vom Partner bestätigt zu fühlen?

sueddeutsche.de: Das liegt doch - zumindest was Eva betrifft - auf der Hand. Auch wenn Adam darüber den Kopf schüttelt.

Wilchfort: Genau darum geht's. Die erste Voraussetzung für ein gelungenes Gespräch ist der Respekt vor den Empfindungen des anderen. Auch wenn es Adam noch so unsinnig vorkommt, dass Eva ihre Attraktivität mit der Sexfrequenz verknüpft, muss er versuchen, sich in diese Gefühle hineinzudenken. Auch wenn Eva jedes "heute nicht" von Adam noch so schmerzhaft in Erinnerung hat, muss sie ihm abnehmen, dass er grundsätzlich Lust auf Sexualität mit ihr hat.

sueddeutsche.de: Wie Adam tickt, darüber hat Eva ja ihre ganz eigene Vorstellung ...

Wilchfort: Wenn ich Eva als Therapeut fragen würde, was Adam sich ihrer Meinung nach am meisten von ihr wünscht, dann würde sie vermutlich antworten: "Dass ich keinen Sex mehr von ihm will." Wenn Adam dies hören würde, wäre er wohl schockiert - eine asexuelle Beziehung entspricht überhaupt nicht seinen Vorstellungen.

sueddeutsche.de: Dennoch fühlt er sich extrem unter Druck gesetzt. In seinem inneren Auge sieht er Eva vermutlich als personifizierte Aufforderung zum ehelichen Beischlaf.

Wilchfort: Wenn ich Adam fragen würde, was seiner Ansicht nach Eva am liebsten wäre, dann würde er vielleicht etwas in der Art antworten wie "dass ich jeden Abend meine Sexgymnastik erfülle". Eva wäre ernsthaft entrüstet darüber und würde vermutlich entgegnen: "Es würde mir schon reichen, wenn ich merken würde, dass er den Sex ebenfalls vermisst und er sich ärgert, dass sein Job ihn so viel Kraft kostet."

Ein Fall von verschobener Wahrnehmung

sueddeutsche.de: Mit anderen Worten: Ein Fall von verschobener Wahrnehmung, wie er in fast allen Beziehungen an der Tagesordnung ist - nicht nur, wenn es um Sex geht. Jetzt müsste man nur noch die beiden Perspektiven zusammenführen. Unsere User hatten da ja einige Ideen ...

Schlafende Frau

Ein Mann, der keinen Sex will - das ist doch nicht normal! Viele Frauen sind irritiert, wenn sich ihr Partner nicht so verhält, wie man es im Allgemeinen von seinen Geschlechtsgenossen erwartet, nämlich triebgesteuert.

(Foto: photocase)

Wilchfort: Manche Leser machten Vorschläge, was Adam und Eva jeweils für sich machen könnten, andere, was sie für den anderen tun könnten. Wichtig ist, die beiden Aspekte auf eine Ebene zu bringen. Es ist sinnlos, ein Ziel gegen den Widerstand des anderen durchzusetzen. Daran kann die Beziehung zerbrechen.

sueddeutsche.de: Viele Leser warnen Eva davor, Druck auf den gestressten Adam auszuüben und "jetzt auch noch etwas von ihm zu wollen". Da frage ich mich: Darf sein Chef alles von ihm verlangen und seine Frau nichts? Hier wird Belastung zum legitimen Ersatz für Befriedigung - eine verhängnisvolle Verschiebung der Prioritäten.

Wilchfort: Hier würde ich gerne aus der Zuschrift von Cornelia Ulrich zitieren, die mir besonders gut gefallen hat: "Um Sex zu haben braucht es zwei, die 'ja' sagen, um keinen Sex zu haben, reicht einer, der nein sagt."

sueddeutsche.de: Stimmt. Dasselbe gilt für ein Gespräch oder ein Tennismatch. Und?

Wilchfort: Na, es könnte ja eine Option sein, die sie gemeinsam beschließen: dass Adam eine Zeit lang mehr Kohle nach Hause bringt und es dafür weniger Sex gibt. Wer sind wir, zu sagen, es wäre falsch von den beiden, das zu entscheiden?

sueddeutsche.de: Sag ich ja nicht. Nur, wenn es einer ohne den anderen entscheidet, ist es falsch.

Wilchfort: Dann sind wir uns ja einig! Egal, ob es um Sex geht oder Tennis oder um eine andere gemeinsam Aktivität: Ohne gemeinsame Zielsetzung gibt es nur Spannungen.

sueddeutsche.de: Richtig. Und dazu muss man miteinander reden. Ich habe aber den Eindruck, hier wird nicht gesprochen, sondern sich belauert. Die wohlbekannte Dynamik: Er rennt weg, sie verfolgt ihn. Er rennt schneller, sie erhöht das Tempo. In diesem Zusammenhang hat mir der Rat von Bettina Weicker besonders gut gefallen, "das Fänger-Läufer-Spiel durchbrechen, zeitliche Freiräume schaffen, die eigene Zufriedenheit und das Selbstwertgefühl steigern". Es stimmt doch: Wer nicht rennt, wird auch nicht verfolgt. Wer Abstand lässt, muss nicht hinterherlaufen.

Wilchfort: Wenn beide den Mut haben, den Abstand zu verringern, können sie ohne Weiteres Hand in Hand gehen. Die Bereitschaft dazu haben aber beide nur, wenn sie darauf vertrauen, dass ein offenes Gespräch ihren Wünschen förderlich ist und nicht noch mehr Enttäuschung zur Folge hat. Nur dann kann ein Thema zur Sprache kommen, auf das Frau Weicker ebenfalls aufmerksam gemacht hat: Vielleicht hat er Angst, im Bett zu versagen?

sueddeutsche.de: Das wäre dann erst recht ein Hinweis darauf, dass ein klärendes Gespräch dringend notwendig wäre. Bei Erektionsproblemen rückt das Thema Sex und Leistung sehr schnell zusammen. Das hat unser Leser Volker Nietfeld dahingehend interpretiert, dass Begehren und Lust für Adam nicht mit Verantwortung zu vereinbaren seien. Er spaltet solche Bedürfnisse bewusst "in den Bereich der Jugendlichkeit" ab und spricht mit distanziertem Tonfall von der Unmöglichkeit, "wie Teenager übereinander herzufallen".

Wilchfort: Leistungserwartungen sind tatsächlich ein generelles Übel, denn sie enden leicht in einer selbsterfüllenden Prophezeiung. So schreibt auch Frau Ulrich über Eva: "Wenn sie sich selbst als hässliche alte Frau sieht, strahlt sie irgendwann vielleicht tatsächlich keine Attraktivität mehr aus." Aus meiner Sicht müssen die beiden in erster Linie verstehen was es heißt, "ja" zur Sexualität zu sagen - auch zur Sexualität des anderen.

sueddeutsche.de: Das hört sich jetzt wieder alles wunderbar einfach und harmonisch an. Sie sehen aber doch, wie verhärtet die Fronten sind! Eva "hat die Hoffnung schon verloren", Adam "vergeht die Lust auf Sex bei ihren Vorwürfen". Es wäre vielleicht hilfreich, wenn Eva sich auch von ihren festgefahrenen Vorstellungen befreien würde - die Verweigerung als weibliches Privileg. Ich frage mich, was wäre, wenn Adam plötzlich wieder voller Tatendrang im Bett wäre. Würde sie sich dann endlich genug geliebt fühlen - und ihn beruhigt, aber alltagsmüde abweisen?

Wilchfort: In Evas selbsterfüllender Prophezeiung ("ich fühle mich hässlich und alt") vermengen sich diese beiden Aspekte. Es ist ein interessanter Gedanke, was passieren würde, wenn sich das Blatt wendet. Ich bin da nicht so pessimistisch wie Sie. In meiner Erfahrung, können die beiden Partner sich oft besser einfühlen, wenn ein Rollentausch stattfindet - vorausgesetzt, die Erfüllung der Bedürfnisse des Partners wurden zuvor als eigene Aufgabe anerkannt.

sueddeutsche.de: Wo ich doch so pessimistisch bin: Könnte es nicht sein, dass Adam einfach nur eine Affäre hat?

Wilchfort: Als Therapeut gehe ich davon aus, dass die Beteiligten mir gegenüber offen sind. Wenn mir einer der Partner etwas verheimlicht, schadet er nur einem, nämlich sich selbst. In diesem Falle wären alle Überlegungen und Gesprächsversuche zwischen den beiden für die Katz. Daher ziehe ich diese Idee nicht in Betracht.

sueddeutsche.de: Und Adam und Eva hoffentlich auch nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: