Die neue Bescheidenheit:Weg mit dem Firlefanz

Klare Schnitte und kostbare Stoffe bestimmten die Pariser Modewoche. Alexander McQueen hinterlässt eine viktorianische Ode an den Punk.

Tanja Rest

Man muss sich die Pariser Modewoche wie eine endlose Abfolge von Flashmobs vorstellen. An einem nur Eingeweihten bekannten Ort der Stadt fallen binnen kürzester Zeit Hunderte schwarzgekleideter Menschen ein, huldigen eine Viertelstunde lang dem Ritual der Mode und stieben dann wie ein aufgeschreckter Vogelschwarm wieder auseinander.

Zurück bleiben leere Evian-Flaschen, von Highheels perforierte Platzkarten und die eine oder andere Pinguintaschenlampe. Es wird nicht ganz klar, was Stella McCartney mit dem Geschenk bezweckt, denn ihre Herbst-Winter-Kollektion ist sehr erwachsen, mit unnachgiebig klaren Linien, fast schmucklos.

Andererseits: Wenn man den Leuten einen Wink geben will, dass alles nicht so furchtbar ernst gemeint ist, dann ist eine Pinguintaschenlampe vielleicht genau das Richtige. Manchmal blüht eben auch in Paris die Lust am Entertainment. Talbot Runhof haben sich für ihre erotische Cyber-Kollektion von Hans Christian Andersens Märchen "Die roten Schuhe" inspirieren lassen - Lisa-Maree Cullum, Erste Solistin am Bayerischen Staatsballett, tanzt dazu in blutroten Spitzenschuhen.

Der Laufsteg als Showbühne

Bei Viktor und Rolf tritt das Neunzigerjahre-Supermodel Kristen McMenamy auf, in einem ausladenden Ungetüm von einem Mantel. Wie sich herausstellt, trägt sie darunter die komplette Kollektion. Es beginnt das Häuten der Zwiebel: Eine Schicht nach der anderen trägt das Designer-Duo eigenhändig ab und wirft sie einem anderen Model über, das damit über den Laufsteg marschiert.

Die erschöpften Modemenschen - viele haben nach New York, London und Mailand inzwischen an die hundert Schauen gesehen - belohnen den Hochreißer mit dankbarem Applaus. Später heißt es aber etwas boshaft, die Show habe doch sehr von den vielen großen, schwarzen Kleidern abgelenkt, und das sei womöglich kein Schaden gewesen.

Absolut tragbare Eleganz

Subtrahiert man die Inszenierung, die rockigen Soundtracks und prachtvollen Locations, zeigt sich oft ein neuer Minimalismus. Häuser wie Celine, Chloé, Stella McCartney oder Akris (das diskrete Schweizer Label, das durch die Kostüme von Condoleezza Rice weltberühmt wurde) haben ihre Mode so weit heruntergedimmt, dass kaum mehr als der makellose Schnitt und die kostbaren Stoffe übriggeblieben sind. Spärliche Accessoires: Hier ein breiter Gürtel, dort ein transparenter Rücken, zum Abend ein wenig Glitzer über die Schultern gestreut, fertig.

Lee McQueens Erbe

Bei Stella McCartney geht die Strenge so weit, dass sie an ihren Mänteln die Knöpfe einfach weglässt. Kollektionen wie diese sind auf den ersten Blick vielleicht nicht besonders aufregend, aber umstandslos tragbar; darin liegt ihr Erfolg. Sie sind für selbstbestimmte Frauen gemacht. Nicht für Püppchen.

Lesen Sie auf Seite 2, wer in Paris Nonnen auf den Laufsteg schickte

Klösterliches Defilee

Es ist dann ausgerechnet Stefano Pilati, bei Yves Saint Laurent für seinen femininen Look bekannt, der den Purismus auf die Spitze treibt - mit einem klösterlichen Defilee. Eine Parade von Nonnen spaziert da vorbei, von der schwarzen Haube über die gestärkte Stehkragenbluse bis hin zum schwarzen Rock in vollem Ornat. Nicht mal der Rosenkranz fehlt: Jedes Model hat noch eine lange Goldkette mit Amulett umgehängt bekommen. Eine Kollektion wie ein Keuschheitsgelübde. "Oh Gott, ich vermisse Lee", sagt eine silberhaarige Frau beim Rausgehen.

Lee Alexander McQueen, der "Fashion-Rottweiler", der "radikalste Modemacher seiner Generation", dessen infernalische Shows eine ganze Fashion Week umkrempeln konnten: Er fehlt wirklich. In streng privatem Rahmen werden in Paris 15 Modelle vorgeführt, die er vor seinem Tod im Februar noch fertiggestellt hat. Es sind verschwenderisch bestickte Brokatmäntel und Kleider in Gold und Purpurrot, dazu aus Rosen geschmiedete Schuhe und gefiederte Irokesenhauben. Das Haus Tudor auf Punk - das ist der letzte, fast schon museal anmutende Gruß des dunklen Romantikers an sein Publikum.

"Für Lee"

Das Label soll weitergeführt werden, heißt es. Wer aber könnte McQueen ersetzen? In den Nobelkaufhäusern im 9. Arrondissement haben sie hier und da ein Schaufenster für ihn freigeräumt. Kostüme vergangener Spektakel: die Gürteltierschuhe, die Gothic-Jacken, die Schößchenkleider, schillernd wie Insektenpanzer. Einigen Kollektionen ist diesmal eine Widmung vorangestellt: "Für Lee." Das sind pathetische Bekenntnisse, die man den Modemenschen getrost abkaufen darf. Aber das Karussell dreht sich natürlich trotzdem weiter.

Die Wirtschaftskrise ist bei den Designern noch nicht angekommen. Vielleicht kommt sie gar nicht. Im Chanel-Stammhaus in der Rue Cambon stehen Horden von Asiatinnen händeringendem Personal gegenüber - die ikonographischen 5000-Euro-Kostüme sind fast ausverkauft. Der Erfolg der Marke Chanel hat mit ihrem hohen Wiedererkennungswert zu tun, und längst bemühen sich auch andere Designer, das Profil der eigenen Marke wieder zu schärfen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Chanel sein Publikum frösteln ließ.

Chanel auf Eis

Zwar ist die internationale Klientel weiterhin bereit, für Luxuskleidung viel Geld auszugeben - aber es soll dann bitteschön schon "The real thing" sein. Darum bleiben diese Prêt-à-Porters ohne große Überraschungen, sie zeigen Variationen auf längst eingeführte Themen.

Kleine Exaltiertheiten wie die Schultercapes aus Plastik bei Yves Saint Laurent oder Vivienne Westwoods Luftschlangen-Schals schaffen es ohnehin nicht in die Läden. Dort sind die Hosen weiter, die Röcke länger, die Absätze niedriger. Hauptsache, die Signatur stimmt. Gib der Kundin, was sie erwartet: Keiner weiß diese Regel besser zu beherzigen als Karl Lagerfeld für Chanel.

Lagerfelds Handschrift

Es ist die spektakulärste Show der Woche und sicher die teuerste. Und sie ist auch - eiskalt. Kaum zehn Grad dürften es sein im Grand Palais. Noch von den hinteren Plätzen aus kann man die Erste-Reihe-Damen in ihren Chanel-Kostümchen zittern sehen. All das ist vergessen, als sich in der Mitte der alten Weltausstellungshalle der Vorhang hebt.

Auf einer leuchtend blauen, von Wasser überspülten Fläche steht ein riesiger Eisberg. 15 Containerladungen Eis, aus Schweden herangekarrt und zu einem Stück verschmolzen. Für den Bruchteil einer Sekunde ist kein Laut zu hören. Dann machen tausend Münder gleichzeitig: "Aaahhh. . .!"

Arktische Eleganz

Unmöglich hinterher zu sagen, was am Schönsten war. Die Models, wie sie zum "Eisbär"-Song von Grauzone in Fellstiefeln durchs Wasser stapften? König Karl, wie er in weißer Jeans, mit gepudertem Pferdeschwanz und gnädiger Miene die Huldigungen entgegennahm? Der Eisberg? Oder doch: die Mode?

Yeti-Hosen, mit Kunstpelz verbrämte Rocksäume und Ärmel, die klassischen Kostüme und eine cremeweiße Serie wallender Mäntel, fließender Jacken und Wollkleider mit Wasserfall-Volants - ein Klimawandel-Wintermärchen. Alles zusammen war phantasievoll und witzig, konservativ und elegant, kapriziös und versponnen. Aber es war immer und ohne Zweifel: Chanel.

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