Die Geschichte vom Croissant:"Von den Dings da zwei Stück"

Nicht alle Deutschen können Französisch - Croissants essen sie trotzdem gerne.

Hermann Unterstöger

Wie doch die Völker, ohne dies zu wissen oder gar zu wollen, einander oft in die Hände spielen! Einer Anekdote nach wollten die Türken, als sie 1683 Wien belagerten, sich durch ein Tunnel in die Kaiserstadt vorarbeiten, hatten aber nicht mit den österreichischen Bäckern gerechnet. Diese buken wie üblich des Nachts, und da es dabei eher ruhig zugeht, vernahmen sie das unterirdische Graben, Schaufeln und Scharren. Sie schlugen Alarm, und zum Dank für ihre vaterländische Wachsamkeit bekamen sie die Lizenz, künftig Hörnchen in Form des türkischen Halbmonds backen zu dürfen - die Kipferl, richtig.

Die Geschichte vom Croissant: Türkischer Halbmond, Kipferl oder Croissant - seit Marie Antoinette das Gebäck nach Frankreich brachte, ist es aus dem Land nicht mehr wegzudenken.

Türkischer Halbmond, Kipferl oder Croissant - seit Marie Antoinette das Gebäck nach Frankreich brachte, ist es aus dem Land nicht mehr wegzudenken.

(Foto: Foto: Istockphoto)

Bis hierher ist die Geschichte schwer legendär. Etwas historischer wird sie anno 1770, als Marie Antoinette, Franz' I. und Maria Theresias Tochter, aus Gründen der Staatsräson nach Frankreich verheiratet wurde. Sie beziehungsweise ihr Leibbäcker brachten das Kipferl mit nach Paris, von wo aus es sich als Croissant (das heißt: aufgehender Mond) übers Land und späterhin über fast die ganze zivilisierte Welt verbreitete. Es gilt als so kern- und erzfranzösisch wie der Eiffelturm, l'amour oder die Gaulois, und man fragt sich, ob die Franzosen, wenn ihnen diese Nationalbedeutung schon 1792/93 bewusst gewesen wäre, nicht davon Abstand genommen hätten, Marie Antoinette auf die Guillotine zu bringen.

Zuerst die Türken, dann die Österreicher und nach ihnen die Franzosen: Das ist ein Joint Venture von nicht alltäglichem Zuschnitt, und das Croissant war den Aufwand ja wohl wert. Dass die Deutschen daran nicht beteiligt waren, lag an den Umständen, den sogenannten Zeitläuften. Sie sind aber heute dabei, diesen Mangel durch emsigen, manchmal fast exzessiven Verzehr von Croissants mehr als wettzumachen.

Der damit verbundene kulinarische Zugewinn steht außer Frage. Wenn man auch der heimischen Semmel, der Brezn oder dem Weizenmischbrot ohne Not keins reinwürgen sollte, so muss man dem Croissant doch diverse Vorteile attestieren, insbesondere eine Lockerheit und Duftigkeit, die der nachweisbaren Fetthaltigkeit förmlich Hohn zu sprechen scheint.

Sagen wir zu viel, wenn wir das Croissant als Botschafter des Savoir-vivre sowohl ein- als auch hochschätzen? Mit jedem Croissant ist ein Stück von dieser französischen Lebensart in die deutschen Mägen und somit auch Seelen eingegangen, was man schon daran erkennt, dass Leute, die noch vor Jahren auf die Croissants deuteten und "Von den Dings da zwei Stück" sagten, heute oft so bestellen: "Deux croissants, s'il vous - ach herrje, wir sind ja gar nicht mehr im Lubéron, wir sind ja wieder in Germering."

Betrachten wir die Chose mal so: Wenn es den Deutschen gelungen ist, ihren Weg aus der vielbeklagten Enge in die große, weite, elegante Welt zu finden, dann nicht zuletzt mit Hilfe des Croissants, mögen dessen Brösel unseren Ordnungssinn auch empfindlich stören. Danke, Türken, danke, Österreicher, danke, Franzosen!

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