Elternkolumne „Die Erziehungsberechtigten“Aus dem Leben eines Torwartvaters

Lesezeit: 2 Min.

(Foto: Lorenz Mehrlich)

Unser Kolumnist wurde beim Fußball schon mal vom Platz gestellt – als Vater, nicht als Spieler. Um sich abzulenken, beobachtet er jetzt während der Spiele seines Sohnes die anderen Eltern.

Von Patrick Bauer

Obwohl ich bis in meine späte Jugend beim ehrwürdigen NFC Rot-Weiß Neukölln ein auffallend limitierter Rechtsverteidiger war, der sich Mühe gab, in jeden Zweikampf zu spät zu kommen, gelang es mir erst als neben dem Platz stehender Vater, vom Platz gestellt zu werden. Mein Sohn war neun und hatte in der letzten Spielminute auswärts beim fragwürdigen MSV Bajuwaren im Münchner Osten einen unberechtigten Handelfmeter gehalten und das Unentschieden gerettet. Dass ich Rot sah, lag daran, dass der Schiedsrichter ein Choleriker war. Und dass ich ihn im Jubel sehr laut gefragt habe, ob er endlich Ruhe gebe, aber ich schwöre, ich rief „Meine Fresse!“, nicht „Halt die Fresse!“ Kinderfußball, herrlich: Ich habe Väter am Spielfeldrand schon Stirn an Stirn gesehen und Bierbänke schmeißen, und einer hat sich vor Wut mal seine Regenjacke zerrissen. Aber so bin ich nicht. Der Platzverweis war mir eine Lehre, ich nehme mich seitdem zusammen. Meist stelle ich mich abseits der Zuschauer, irgendwo hinters Tor, und schweige. Man ist als Torwartvater ziemlich allein, man ist der Einzelsportlervater unter Mannschaftssportlereltern. Für einen Torwartvater haben die zehn Mitspieler vor allem einen Auftrag: dafür zu sorgen, dass der Torwart nicht in die Bredouille kommt. Sepp Maier hat mal gesagt, ein guter Torwart müsse verrückt sein. Ein guter Torwartvater dagegen wird im Laufe der Zeit verrückt!

Um mich abzulenken, beobachte ich seit acht Jahren – mein Sohn ist heute 14, und eine meiner beiden Töchter hat zwischendurch auch Fußball gespielt – während der Spiele gerne die anderen. Es gibt alles zu sehen: Mütter, die ihren Söhnen in der Halbzeit spezielle Lieblingshaferkekse, die es nur in einer Boutique in Bordeaux zu kaufen gibt, in den Mund schieben. Paare, die im Vertrauen auf eine Profikarriere große Autos angezahlt haben und den Social-Media-Account des Nachwuchses kuratieren. Frauen, die T-Shirts tragen, auf denen steht: „Manche Leute müssen das ganze Leben lang warten, ihren Lieblingsspieler zu treffen – ich habe meinen geboren.“Ich glaube, man kann den schmalen Elterngrat zwischen grenzenloser Liebe und zügelloser Projektion, zwischen Kinderträumen, die man möglich machen will, und eigenen Träumen, die man nicht loslassen will, nirgendwo sonst so gut erkennen.Sicher, ich könnte darauf verzichten, jedes zweite Wochenende bei Sonnenaufgang in die Peripherie zu fahren und am Wurstsemmelstand schlechten Filterkaffee zu trinken. Aber ich will keine Sekunde missen. Das nervöse Schweigen auf der Hinfahrt, das erschöpfte Schweigen danach. Das blinde Verständnis, das so weit geht, dass mein Sohn nach einem Gegentor in meinem Gesicht erkennt, was ich denke („Komm früher raus!“), obwohl ich versuche, alle Gesichtsmuskeln einzufrieren (oft herrschen so früh am Sonntag eh Minustemperaturen).Es gibt kein schöneres Vater-Kind-Bonding. Besonders berührt hat mich im Münchner Kinderfußball ein Duo: Ein Nachwuchsschiedsrichter, wenig älter als mein Sohn, der zu jedem Spiel von seinem Vater begleitet wurde. Ich meine: Nur Schiedsrichter haben noch weniger zu gewinnen als Torhüter. Aber da kamen sie, jedes Wochenende aufs Neue. Die Fehlentscheidung des Jungen beim letzten Spiel ignoriere ich hier mal, meine Fresse!

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