Die Deutschen und ihre Zeit:Schnell, schnell, schnell

Die Deutschen und ihre Zeit: "Wo ist nur die Zeit geblieben?": Die Deutschen versuchen, mehr in ihren Tag zu packen als vor zehn Jahren - Gedränge vor einer U-Bahn in München.

"Wo ist nur die Zeit geblieben?": Die Deutschen versuchen, mehr in ihren Tag zu packen als vor zehn Jahren - Gedränge vor einer U-Bahn in München.

(Foto: Robert Haas)

Berufstätige Frauen bügeln mehr, Männer sind länger im Büro. Dabei hätten alle gern mehr Zeit für die Familie. Tut sich wirklich so wenig in der Gesellschaft?

Von Constanze von Bullion

Man muss sich die Sache vorstellen wie einen Film, der zu schnell abgespielt wird, jedenfalls schneller, als es bisher so üblich war. Im Haushalt zum Beispiel muss es jetzt flotter gehen. Der Hemdkragen wird nicht mehr ganz so liebevoll gebügelt. Für die Textilpflege wenden die Deutschen im Schnitt nur noch zwölf Minuten am Tag auf, 2001 war es immerhin noch eine Viertelstunde. Auch das Tischdecken wurde unermüdlich optimiert. Statt 14 Minuten brauchen die Menschen dafür nur noch zehn Minuten. Und wer zu den Dinosauriern gehört, die noch kaputte Radios reparieren, statt sie wegzuwerfen, schafft das jetzt in anderthalb statt wie früher in zwei Stunden.

Sind die Deutschen in eine Art Zeitmaschine geraten?

Wie geht das eigentlich? Sind die Bundesbürger in eine Art Zeitmaschine geraten? Nicht ganz. Aber wenn man den Zahlenkolonnen glauben darf, die das Statistische Bundesamt im Auftrag des Bundesfamilienministeriums erstellt hat, dann muss es jetzt immer schneller gehen im Haushalt, weil die Deutschen mehr Zeit mit bezahlter Arbeit verbringen wollen, aber eben auch mit ihren Kindern.

"Ich glaube, wir alle kennen das Gefühl: Wo ist nur die Zeit geblieben?", sagte der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Roderich Egeler in Berlin. Dort präsentierte er am Mittwoch mit Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) die Erhebung "Wie die Zeit vergeht", in der die Zeitverwendung der Deutschen gemessen wurde. Rund 11 000 Personen in etwa 5000 Haushalten haben dafür zwischen 2012 und 2013 ein Zeittagebuch geführt. Vom Zähneputzen bis zum Schlafenlegen der Kinder oder dem Abend vorm Fernseher hatten sie darin jede Tätigkeit zu notieren, die länger als zehn Minuten dauerte. Herausgekommen ist das Bild einer Gesellschaft, die wohl gern im Aufbruch wäre und irgendwie moderner, aber nicht zu wissen scheint, wie das geht.

Immerhin, einige Dinge sind in Bewegung in Deutschland, zum Beispiel bei der Erwerbsarbeit. Männer wie Frauen gehen heute öfter einer bezahlten Tätigkeit nach als noch in den Jahren 2001 und 2002. Damals stellte das Statistische Bundesamt die letzte Untersuchung über die Zeitverwendung der Deutschen an. Frauen gingen damals im Schnitt 13 Stunden in der Woche für Geld arbeiten, gut zehn Jahre später waren es 16 Stunden. Auch Männer verbringen mehr Zeit am Arbeitsplatz als 2001, wenn auch nur eine halbe Stunde pro Woche.

Gilt die traditionelle Rollenverteilung noch?

Für Frauen ist es also offenbar einfacher geworden, Beruf und Familie zu vereinbaren. Wer etwas genauer hinschaut wird allerdings feststellen, dass Frauen erheblich öfter als Männer unbezahlte Tätigkeiten verrichten. Bei ihnen machen bezahlte und sozialversicherte Jobs nur ein knappes Drittel der Arbeit aus, die sie tatsächlich leisten - zwei Drittel bestehen aus Haushalt, Kinderbetreuung, Ehrenamt, Pflege von Angehörigen.

Zählt man bezahlte und unbezahlte Tätigkeiten zusammen, wie das Statistische Bundesamt es tut, arbeiten Frauen in der Woche eine Stunde mehr als Männer. Die Zeit, die sie mit Abspülen und Putzen verbringen, ist zwar geschrumpft, von 33 auf knapp 30 Stunden die Woche - weil manches im Schnellverfahren erledigt oder abgegeben wird. Die unbezahlte Arbeit aber macht bei Frauen immer noch zwei Drittel ihrer Tätigkeit aus. Bei Männern ist das Verhältnis umgekehrt: zwei Drittel Arbeit gegen Geld, ein Drittel für Gotteslohn.

Das klingt nicht, als habe sich an der traditionellen Rollenverteilung in Deutschland allzu viel geändert. Zur Ehrenrettung des männlichen Geschlechts ist immerhin zu erwähnen, dass Väter sich bemühen, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen - auch wenn sie noch mehr im Büro sitzen als früher. Der Mann, der nach einem Tag im Geschäft abends noch im Keller versucht, den kaputten Toaster zu löten, ist rarer geworden. Aber auch am Spaten sieht man Männer seltener. Sie verbringen laut Erhebung anderthalb Stunden pro Woche weniger mit Gartenarbeit oder handwerklichen Tätigkeiten als zehn Jahre vorher. Wer Geld verdient und Zeit mit seinen Kindern verbringen will, knapst sie sich bei Freizeit und Hobby ab.

Wie das Statistische Bundesamt ermittelt hat, arbeiten Väter und Mütter pro Woche etwa zehn Stunden mehr als Kinderlose. Das liegt an größeren Haushalten oder Kinderpflege oder Transporten des Nachwuchses zum Fußballplatz. Mit ihrer Zeitaufteilung aber sind viele unzufrieden. Jeder dritte Vater wünscht sich laut Studie mehr Zeit für Unternehmungen mit seinen Kindern, jeder zweite möchte kürzer am Schreibtisch sitzen oder im Labor. Frauen in kleiner Teilzeit würden gern etwas mehr arbeiten, nur jede fünfte Mutter sehnt sich nach mehr Zeit mit ihren Kindern.

Väter verbringen zehn Minuten mehr Zeit mit Kindern

Von einer paritätischen Verteilung der Aufgaben aber sind die Deutschen laut Studie weit entfernt. "Mütter verbringen mit Kindern etwa doppelt so viel Zeit wie Väter", sagte der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Roderich Egeler. Vätern nähmen sich heute zwar mehr Zeit für ihre Kinder als 2001. Allerdings handle es sich im Schnitt um zehn Minuten pro Woche.

Dass die Verhältnisse sich nur sehr langsam ändern, liegt auch an den Frauen. Mütter gehen öfter arbeiten als früher, laut Erhebung verbringen sie dennoch genauso viel Zeit mit Vorlesen oder Gesprächen mit Kindern wie nichterwerbstätige Mütter. Das bedeutet: Stress und Verzicht auf Freizeit. Dennoch nehmen Mütter daheim oft eine traditionelle Aufgabenteilung hin. Sie stehen im Schnitt eine Stunde pro Woche am Bügelbrett - wenn sie denn bügeln-, der Beitrag der Väter geht hier gegen null. Dafür schicken Mütter gern Väter vor, wenn es ans Renovieren geht. Autowaschen bleibt laut Studie Männersache, Mütter sparen sich das Wischen am Wagen.

Alles wie immer also? Bundesfamilienministerin Schwesig halten die Zahlen nicht ab, einen Trend zu gerechterer Arbeitsteilung zu erkennen. "60 Prozent der Paare wünschen sich eine partnerschaftliche Teilung der Aufgaben", sagte sie am Mittwoch. Wo jeder dritte Vater mehr Zeit mit Kindern verbringen und etwa jede vierte Mutter mehr arbeite wolle, müssten flexiblere Modelle wie die Familienarbeitszeit her. Warum die Verhältnisse sich eigentlich nicht schneller ändern, wenn so viele es wollen, wird die Ministerin gefragt. Das sei eine Sache, antwortet sie, "die jede Partnerschaft ausdiskutieren muss".

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