Die Deutschen und ihre Familienplanung:Schatz, wann kriegen wir Kinder?

Erst Karriere, dann Familie - oder beides? Theoretisch ist alles drin. Das ist ja das Drama. Deutschland schrumpft. Doch Demographen glauben, dass sich etwas ändern könnte: Dem Land der vielen Kinderlosen steht vielleicht die Trendwende bevor.

Hannah Beitzer, Felix Berth, Tanja Rest und Martin Zips

Neulich hat sich mal wieder jemand ein Herz gefasst und ihr Die Frage gestellt. Vielmehr, sie nicht einfach so gestellt, sondern sie erst umkreist und sich dann vorsichtig herangerobbt. "Das klang ungefähr so: ,Du sag mal, äh, vielleicht trete ich dir da jetzt zu nahe, aber irgendwie, was ich dich längst mal fragen wollte: Wollt ihr eigentlich keine Kinder?'" Sie lacht, als sie das erzählt, es ist kein gezwungenes Lachen, aber es soll schon eine Botschaft aussenden. Nämlich, dass sie da drübersteht. Sie sagt: "Verrückt, wie schwer sich selbst enge Freunde tun, das anzusprechen." Gut, aber wie hat sie Die Frage beantwortet? "Ich habe gesagt: ,Mein Gott, ich bin jetzt 38, ein paar Jährchen hab' ich ja wohl noch.'"

Die Pläne der Koalition treffen vor allem Familien

Der Traum von der eigenen Familie - die meisten Paare träumen ihn nach wie vor. Wenn nur der Realitäts-Check nicht wäre. Der ergibt dann oft: vorerst besser nicht.

(Foto: AP)

I. In der Warteschleife

Cecile Schröder (Name geändert), dunkle Kurzhaarfrisur, apartes Gesicht, Wohlfühlklamotten, hantiert in der Küche ihrer Münchner Wohnung an der Espressomaschine und arbeitet sich gleichzeitig am Kinderthema ab. Spontan würde man sagen, die Küche gehört zwei glücklichen Menschen. Sie können sich Designerstühle leisten, nehmen sie dann aber nicht wichtig genug, um den Ikea-Tisch rauszuwerfen. Sie haben Zeit zu reisen, in den Regalen stehen Mitbringsel aus aller Welt. Sie haben eine ganze Pinnwand mit ihren Gesichtern dekoriert: Cecile und Ralf auf der Zugspitze, in Guatemala, beim Squash, beim Anschneiden der Hochzeitstorte. Seit elf Jahren sind sie ein Paar, seit sechs Jahren verheiratet. Ihre Ehe sei "von den Umständen her gerade etwas kompliziert, aber insgesamt doch sehr happy", sagt Cecile Schröder.

Warum sind diese beiden, die grundsätzlich Kinder bekommen wollen und rein körperlich wohl auch könnten, nicht schon längst Eltern geworden? Die ehrliche Antwort auf Die Frage lautet: Weil sie den richtigen Zeitpunkt noch nicht gefunden haben. Bis Anfang 30 habe sie sich erst mal austoben müssen, sagt Cecile Schröder, "frei von Verantwortung", danach wollte sie beruflich Fuß fassen. Aber die Firma, bei der sie als Graphikdesignerin anfing, ging pleite, beim nächsten Arbeitgeber war sie unglücklich, schließlich warf sie alles hin und begann eine Ausbildung als Modedesignerin - "mein eigentlicher Traumjob, schon immer". Cecile Schröder war 37 Jahre alt, als sie bei einem kleinen Münchner Label in ihr zweites Berufsleben startete, vorher sei an Kinder nicht zu denken gewesen, sagt sie: "Mir war immer wichtig, dass ich berufstätig bin, kreativ sein kann, mein eigenes Geld verdiene."

Etwa zur gleichen Zeit wurde ihr Mann Ralf, ein Ingenieur, nach Frankfurt versetzt. Seither pendelt er. Montagmorgen ins Taxi und zum Flughafen, Freitagabend wieder zurück nach Hause. Sie haben sich damit ganz gut arrangiert, aber unter diesen Bedingungen ein Kind großziehen? "Das können wir uns beide nicht so recht vorstellen. Wenn schon Familie, dann richtig."

Sie wisse, sagt Cecile Schröder, dass man ihr Optimierungswahn vorwerfen könne, "manchmal frage ich mich ja selbst, ob dahinter nicht doch ein krasser Egoismus steckt. Ob wir vielleicht einfach nicht bereit sind, einem Kind zuliebe Kompromisse zu machen." Andererseits: "Eine Freundin von mir ist mit 40 Jahren gerade zum ersten Mal Mutter geworden und sagt, sie hat vorher ihr Leben sortiert und kann das jetzt total genießen." Also warum nicht noch ein wenig aushalten, bis auch Cecile und Ralf ihr Leben sortiert haben, mit den richtigen Jobs in derselben Stadt? Ralf Schröder hatte gerade ein Vorstellungsgespräch in München, nun warten sie auf das Ergebnis. Der richtige Zeitpunkt, vielleicht kommt er ja noch.

Deutschlands späte Mütter

II. Deutschlands späte Mütter

Wie den Schröders geht es vielen Paaren in Deutschland. Wo es gilt, einen Entschluss zu fassen - "Ja, wir wollen ein Kind" - türmen sich die ungeklärten Fragen. Ja, wir wollen ein Kind, aber: Sind wir innerlich denn schon bereit dafür? Können wir uns das überhaupt leisten? Ist unsere Beziehung auch stabil genug? Halten wir es aus, eine Weile beruflich kürzer zu treten? Haben wir dann noch genügend Zeit für unsere Freunde, unsere Hobbys, unsere Beziehung, uns selbst? Ist ein Leben zu zweit, ohne Kinder, am Ende nicht doch einfacher?

Und so passiert es, dass viele Paare kinderlos bleiben, ohne das je geplant zu haben. Besonders in Deutschland. Nirgendwo in Europa verzichten so viele Menschen auf eine eigene Familie wie in den alten Bundesländern. Mehr als 20 Prozent der Frauen, die Mitte der sechziger Jahre geboren wurden, sind heute noch kinderlos, wie mehrere Untersuchungen zeigen. Das bedeutet: Etwa jede fünfte Frau in Westdeutschland bekommt keinen Nachwuchs.

Unter Akademikerinnen ist es sogar fast jede dritte - das sind Rekorde, die regelmäßig Negativschlagzeilen machen. Gleichzeitig beobachten Mediziner und Demographen mit Besorgnis, dass Frauen in Deutschland immer später schwanger werden. Das durchschnittliche Alter der Mütter zum Zeitpunkt der Geburt klettert langsam, aber stetig nach oben: Im Jahr 2010 lag es bereits bei 30,5 Jahren. Noch so ein deutscher Rekord.

III. Beim Kinderwunsch-Arzt

Ein paar der Frauen, die lange, vielleicht zu lange mit dem Kinderkriegen gewartet haben, kommen dann eines Tages zu Klaus Diedrich in die Uniklinik Lübeck, in eines der 121 "Kinderwunsch-Zentren" der Bundesrepublik. Der Chefarzt kennt die Hoffnungen dieser Frauen ("Die Reproduktionsmedizin ist heute so gut, die wird's schon richten"), doch er warnt vor dem festen Glauben an die Lösung im Labor: "Wir können heute vieles, keine Frage", sagt Diedrich seinen Patientinnen dann, "doch wir sind nicht besser als die Natur."

Zwar wissen inzwischen viele junge Frauen, dass die Chance auf eine natürliche Schwangerschaft etwa ab ihrem 35. Geburtstag deutlich fällt, was nach Ansicht der Mediziner daran liegt, dass die Qualität der Eizellen abnimmt und Stoffwechselerkrankungen die Empfängnis erschweren können. Weniger bekannt ist allerdings, dass das für künstliche Befruchtungen genauso gilt: "Jenseits der vierzig sinkt die Chance auf eine erfolgreiche künstliche Befruchtung auf unter zehn Prozent", sagt Diedrich. Sein Rat: "Wenn ich mit Dreißigjährigen diskutiere, empfehle ich, das Thema entspannt zu sehen, doch gut ist es, etwa bis zum 35. Geburtstag eine Entscheidung getroffen zu haben."

Bloß ist ärztlicher Rat nicht immer leicht zu befolgen. Mal fehlt einer Frau der feste Partner, mal hat sie den Eindruck, es sei nicht "der Richtige". Mal ist der Einstieg in den Job noch nicht geschafft, mal lockt die Karriere, die in Deutschland oft nur denen offensteht, die sich nicht auch noch um Kinder kümmern müssen. Und: Nicht immer sind sich die Partner einig, ob und, wenn ja, wann sie eine Familie gründen wollen.

All das lässt Frauen oft jahrelang zögern, weshalb die Patientinnen der Reproduktionsmediziner immer älter werden. Die etwa 50.000 Frauen, die im Jahr 2009 mit Hilfe eines "Kinderwunsch-Zentrums" schwanger werden wollten, waren im Mittel bereits 35 Jahre alt. Der Trend zur späten Mutterschaft geht also vorerst weiter. Was auf den Spielplätzen der Großstädte zu dem seltsamen Phänomen führt, dass man oft nicht auf den ersten Blick sagen kann, wer da eigentlich mit dem zweijährigen Jungen oder dem dreijährigen Mädchen spielt: Ist es die Mutter oder doch die Großmutter? Der Vater oder der Opa?

Die jungen Eltern

IV. Die jungen Eltern

Bei Sami und Katharina Bill und ihrem Sohn Jakob ist der Altersunterschied schon überschaubarer, aber den perfekten Zeitpunkt zum Kinderkriegen haben auch sie nicht gefunden. Beide Eltern studierten noch Szenische Künste in Hildesheim, als Jakob vor zwei Jahren geboren wurde. Das Studium haben die beiden - sie ist 28, er 33 Jahre alt - immer noch nicht abgeschlossen. Sie arbeiten vorerst freiberuflich, Sami Vollzeit, Katharina Teilzeit. "Mein Mann hat nach der Geburt sofort angefangen, Geld zu verdienen", erzählt Katharina Bill. Sie sitzt in ihrem Wohnzimmer im Berliner Bezirk Köpenick, vor zwei Jahren sind sie aus Hildesheim weggezogen, weil Sami Leiter einer Berliner Medienwerkstatt wurde. "Wir wollten unseren Unterhalt auf jeden Fall zum größten Teil selbst stemmen", sagt sie. Inzwischen arbeitet ihr Mann an verschiedenen Theatern - gerade ist er für eine Produktion in Wuppertal, weit weg von seiner Familie.

"Das ist total schwer für uns beide", sagt Katharina Bill und schiebt mit der Hand Herbstblätter auf der Tischplatte hin und her, die sie mit ihrem Sohn gesammelt hat. Der sitzt gerade im Schlafanzug, mit verstrubbelten Haaren und Schlaf in den Augen, auf einem Hochstuhl und blättert ein Bilderbuch durch. "Papa fährt Zug", sagt er und zeigt auf das Bild einer Eisenbahn. "Papa - Wuppertal." Schwer ist die Trennung auch für den Vater, wie er später am Telefon erzählt: "Man will ja dabei sein, wenn er aufwächst. Da bin ich schon traurig, wenn er zum Beispiel am Telefon weint."

Aber die Bills sind keine Menschen, die sich lange mit dem aufhalten, was ohnehin nicht zu ändern ist. Von ihnen geht eine große Gelassenheit aus, "Urvertrauen" nennen sie das. Man könnte auch sagen: Sie lassen die Dinge auf sich zukommen. "Das Gute ist: Wenn ich gerade kein Projekt habe, dann bin ich richtig da", sagt der Vater. "Wer bei Siemens arbeitet, morgens in die Firma geht und abends zurückkommt, der verbringt er auch nicht mehr Zeit mit seinem Kind als ich mit Jakob." Zuletzt hatte er im Sommer sieben Wochen frei, da waren sie zusammen in den Alpen unterwegs. Andere hätten ihm immer wieder prophezeit, dass mit einem Kind alles ganz anders werde, erzählt Sami Bill. "Aber auf diesen Moment warte ich immer noch." Reisen, Partys, Jobwechsel - all das höre ja nicht auf, nur weil man Vater ist. "Man hat halt einfach etwas dazubekommen", so sieht er das.

Der eigentliche Wendepunkt kam für ihn schon im Jahr 2006, als er Katharina fragte, ob sie ihn heiraten möchte. Zwei Jahre später war es so weit. Sie haben sich dann unbedingt ein Kind gewünscht. Warum auch nicht? "Ich wollte immer Kinder haben, und ich wollte nicht alt sein, wenn ich meine Kinder bekomme", sagt Sami Bill. "Man kann das ja immer weiter rausschieben. Man kann aber auch sagen: Wenn es passiert, dann passiert es eben." Auch seine Frau hatte keine großen Bedenken, mit 26 Jahren und mitten im Studium Mutter zu werden. "Ich bin da vielleicht ein bisschen naiv rangegangen und dachte mir: So ein Kind, das läuft dann einfach so mit", sagt sie heute. "Da war mein Kinderwunsch wohl so groß, dass ich mein Hirn teilweise ausgeschaltet habe."

Etwas komisch ist es schon für sie, dass ihre Kommilitonen jetzt beruflich Gas geben, sich weiterentwickeln, Geld verdienen. "Aber ich hab' ja noch Zeit. Schließlich arbeiten wir inzwischen alle so lange und werden so alt. . ." Das Problem, das hätten oft die anderen, in deren Weltbild eine so junge Mutter nicht hineinpasst. "Wenn sie mich und Jakob sehen, fragen viele als Erstes: ,Und, wann geht's bei dir wieder los?'" Als Mutter sei man ein seltsames Zwischending, findet sie, "nicht arbeitslos, aber auch nicht Teil der Erwerbsgesellschaft". Mittlerweile geht Jakob zu einer Tagesmutter, und Katharina Bill schreibt ihre Diplomarbeit zu Ende: "Dann bin ich bald vollständig rehabilitiert." Sie lacht.

Kommt die Trendwende?

V. Kommt die Trendwende?

Junge Frauen wie Katharina Bill, die ganz selbstverständlich Mutter werden, sind im heutigen Deutschland die Ausnahme. Aber könnten sie vielleicht die Zukunft sein? Wäre es denkbar, dass sie den Trend der nächsten Jahre bestimmen und Paare sich bald wieder früher für Kinder entscheiden? In Ländern wie Schweden oder den Niederlanden steigt das durchschnittliche Alter der Mütter bei der Geburt seit einigen Jahren kaum noch an. Offenbar kommt dort eine Entwicklung zum Stillstand, die die vergangenen Jahrzehnte geprägt hat: Junge Frauen wurden immer besser und immer länger ausgebildet, was den Zeitpunkt der ersten Geburt kontinuierlich nach hinten schob.

In Deutschland wird die Dauer der Ausbildungen in den nächsten Jahren sinken. Das verkürzte Gymnasium spart vielen Jugendlichen ein Jahr Schulzeit, die reformierten Studiengänge mit Bachelor und Master verhindern, dass junge Menschen bis zum 30. oder 32. Geburtstag an den Universitäten bleiben. Bislang haben die Demographen in den Geburtsstatistiken zwar noch wenig Bewegung registriert, aber viele glauben, dass sich etwas tun wird. Michaela Kreyenfeld vom Max-Planck-Institut für demographische Forschung etwa sagt: "Ich kann mir vorstellen, dass das Aufschieben der Geburten in den nächsten Jahren auch in Deutschland zum Stillstand kommt."

Was sich bereits geändert hat, sind die Gespräche über die Kinderfrage. Wer heute mit Dreißigjährigen redet, bekommt nur selten zu hören: "Kinder kommen für mich nicht in Frage." Das klang vor zwei Jahrzehnten noch anders. Da war gerade für Frauen aus dem städtischen, akademischen Milieu auch eine Zukunft ohne Kinder vorstellbar. "Kinder sind wie Kletten" - das war einer der Leitsätze, den zwar nicht die ganze Generation unterschrieben hätte, aber doch ein Teil von ihr, der sich als fortschrittlich und emanzipiert begriff.

Jüngere Frauen scheinen das heute seltener so zu sehen. Michaela Kreyenfeld und ihr Chef Joshua Goldstein sprechen jedenfalls schon von einer "Trendwende", die sich bei den Geburtsjahrgängen ab 1970 zeige. Diese Frauen bekommen mehr Kinder als Frauen, die in den Sechzigern geboren wurden. Zwar sind das noch keine endgültigen Zahlen, denn die Generation der siebziger Jahre ist mit dem Kinderkriegen noch nicht durch. Doch Kreyenfeld traut ihren Rechnungen: "Die Trendumkehr ist sehr wahrscheinlich."

Späte Reue

VI. Späte Reue

Für Ursula Gebauer (Name geändert) spielt die Trendwende, sollte sie wirklich kommen, keine Rolle mehr. Sie ist 55 Jahre alt. Sie sagt, sie habe den richtigen Zeitpunkt zum Kinderkriegen leider verpasst. Bis vor kurzem war es kein Problem für die Hamburgerin, keine Kinder zu haben. Sie hatte es ja so gewollt. Und die Männer, mit denen Ursula in ihrem Leben zusammen war, die wollten auch keinen Nachwuchs.

Zweimal hat Ursula Gebauer abgetrieben. Nicht leichtfertig, sie hatte sich das vorher gut überlegt. Schließlich ist sie selber gerne mit Geschwistern aufgewachsen und hat als Erzieherin gearbeitet, bevor sie in die Werbebranche gewechselt ist. Sie hat sich letztlich für den Beruf und die Beziehung entschieden, gegen eine Familie. In der Werbebranche arbeitet sie noch immer. Leitende Position, mehr als ein Dutzend Mitarbeiter hören auf ihr Kommando. Ansonsten genießt sie ihre Freiheit. Kneipen, Kino, Kultur - wie will man das mit Kindern vereinbaren? "Bei manchen mag das gehen", sagt die große Frau mit den hellen Haaren, "aber nur, wenn der Mann mitmacht."

Der erste Mann, von dem Ursula Gebauer schwanger wurde, war Musiker. "Hans war ständig unterwegs. Wenn man mit so einem ein Kind bekommt, ist man quasi alleinerziehend", sagt sie. "Ja, wahrscheinlich ist es als Alleinerziehende sogar noch einfacher als mit so einem unsteten Typen, bei dem man sich noch nicht mal auf ein monatliches Einkommen verlassen kann. Und welcher Vermieter nimmt schon einen Musiker mit Frau und Kind bei sich auf?" So dachte Ursula. Also besser Schwangerschaftsabbruch. Hans war auch dafür - und irgendwann war mit ihm Schluss.

Mit Thomas, dem zweiten Mann, von dem Ursula ein Baby erwartete, hätte man schon eher eine Familie gründen können. Aber auch Thomas, der Unternehmensberater, mochte kein Kind. Warum eigentlich nicht? "Heute frage ich mich das", sagt Ursula Gebauer. "Hatte das was mit mir zu tun?" Thomas sagt ganz offen: "Mir waren Beruf, Freunde und Hobbys schon immer wichtiger als Familie. Außerdem bin ich doch selber noch ein Kind."

Ursula trieb also wieder ab, diesmal hielt die Beziehung. Seit zwölf Jahren ist sie schon mit Thomas zusammen. "Aber erst jetzt bedrückt es mich, dass ich keine Kinder habe", gesteht sie. "Erst jetzt spüre ich eine große Sehnsucht und habe das Gefühl, wirklich etwas verpasst zu haben." Und keine Kinder, das bedeutet eben auch: keine Enkelkinder. Das ist eine Wahrheit, die mit zunehmendem Alter greifbarer wird.

Manchmal hat Ursula Gebauer Angst, von ihrem Gefühl aufgefressen zu werden. Dann geht sie für ein paar Sitzungen zu ihrer Therapeutin. "Die sagt, ich muss mein Leben so akzeptieren, wie es ist." Ab und zu unternimmt sie mit Nachbarskindern einen Ausflug oder führt ihren 18-jährigen Neffen zum Essen aus. Doch das ist was anderes. "Eine Mutter ist eine Mutter", sagt sie. "Ich bin immer nur Verwandtschaft oder die nette Frau von nebenan." Dass sie das einmal so schmerzen würde, das hätte sie sich früher nicht gedacht. "Im Beruf bist du sofort ersetzbar. Zu Hause nicht", sagt sie. "Ich hatte dieses Gefühl völlig unterschätzt."

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