Süddeutsche Zeitung

Kolumne: Die Altersweisen:Ist jemand böse, der Böses tut?

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Kevin, 18, glaubt daran, dass sich Menschen bessern können, und Isie, 90, hat unter ihrer bösen Vermieterin gelitten. Wie junge und alte Menschen die Welt sehen, erzählen sie in dieser Kolumne.

Kevin, 18, lebt in Greifswald und engagiert sich bei Fridays for Future

"Ich habe zu der Frage tatsächlich gerade eben erst ein passendes Buch gelesen, es heißt "Im Grunde gut" von Rutger Bregman. Darin erklärt er nach Hannah Arendt, dass der Mensch vom Bösen verführt werde, weil das Böse oft im Gewande des Guten daherkomme. Ein Beispiel: Kriegstreiber, Terroristen und so weiter denken ja, dass sie auf der richtigen Seite der Geschichte stehen und nicht auf der falschen. Oder ein Rassist. Der tut auch Böses. Aber er wurde ja nicht als böses Baby geboren, sondern hat sich den Rassismus der Gesellschaft angeeignet. Mit Hannah Arendt könnte man es so formulieren, dass der Mensch vom Bösen verführt wird, also zum Beispiel von rechter Hetze, die getarnt unter dem Siegel des Heimatschutzes daherkommt.

Den meisten Menschen, die Böses tun, kann ich verzeihen. Es kommt natürlich auch auf die Schwere der Tat an. Körperliche Übergriffe sind was anderes als eine Beleidigung. Aber Menschen können sich bessern. Man muss ihnen halt die Chance dazu gehen. Die wahren Bösen sind für mich Menschen, die ganze Völker mit ihrer Ideologie manipulieren. Wie zum Beispiel Putin. So jemandem muss man nicht verzeihen."

Isie, 90, lebt in einem Seniorenheim in Kochel am See und hatte früher in Nordrhein-Westfalen eine Wirtschaft

"Ich muss gerade an meine Vermieterin denken, bei der ich die letzten zwanzig Jahre gewohnt habe. Sie hat mir das Leben sehr schwer gemacht, wo sie nur konnte. Ich habe alleine in der Wohnung gelebt, mit meiner Katze. Mein Mann war tot, die Katze war das Einzige was mir von unserer Familie geblieben ist. Und meine Vermieterin wollte mir die Katze wegnehmen. Heute kann ich sagen, dass es nicht meine Schuld war, dass unser Verhältnis so schwierig war. Ich war immer freundlich, bin oft einen Schritt auf sie zugegangen. Doch die Vermieterin war verbittert. Ich weiß nicht warum, aber sie hat in allen Dingen das Schlechte gesehen. Alles war für sie negativ. Nichts machte ihr Freude.

Sie tat mir viel Böses, sorgte dafür, dass ich mich in meiner Wohnung nicht mehr wohl gefühlt habe. Wegen ihr glaube ich schon, dass Menschen die Böses tun auch böse Menschen sind. Aber ich habe gelernt, dass das niemals auf einen selbst abfärben sollte. Ich habe immer versucht, dieser schlimmen Frau mit einem Lächeln zu begegnen. Danach ging es mir dann besser, weil ich ich selbst geblieben bin. Trotz all ihrer Bösartigkeit."

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