Deutschlands erstes Topmodel:"Lernt erst mal was Anständiges"

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Hinstellen, einatmen, klick - eine Begegnung mit Karin Stilke, die in den dreißiger Jahren als Fotomodell Karriere machte.

Silke Lode

Als Karin Stilke jung war, gab es den Supermodelzirkus noch nicht. Es gab keine Zickenkriege, keine Castingshows, keine Visagisten, keine stundenlangen Shootings. "Hinstellen, einatmen, klick - so war das", erinnert sich die 90-Jährige. Aufrecht sitzt sie in ihrem Stadthaus in Hamburg-Pöseldorf in einem Sessel. Ihre Augen und Lippen sind dezent geschminkt; Lachfalten ziehen sich durch ihr junggebliebenes Gesicht.

Karin Stilke war früher einmal das, was man heute ein Topmodel nennt. (Foto: Foto: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

"Man zog sich an, trug noch etwas Lippenstift auf und machte die Bilder. Vormittags Dolmetscherschule, nachmittags drei bis vier Kleider - fertig", beschreibt sie ihren Tagesablauf damals, und fast scheint es, als würde sie sich angesichts der ganzen Modelhysterie heute ein wenig nach dieser unaufgeregten Zeit zurücksehnen.

Karin Stilke war früher einmal das, was man heute ein Topmodel nennt. Kaum eine Woche verging, in der sich ihr Foto nicht in Dame oder Elegante Welt fand. In den dreißiger Jahren posierte sie in strengen grauen Kostümen, in den frühen fünfziger Jahren strahlte sie der jungen Bundesrepublik als "Deutschlands beliebtestes Fotomodell" von Litfasssäulen entgegen - sie warb damals für Zigaretten.

F. C. Gundlach, der große Modefotograf, setzte sie wenig später in Silberfuchscapes, weißen Schals und Barretmützen auf einem Schiff in Szene. Die Zeiten ändern sich, und die Models mit ihnen. Karin Stilke ist eine Zeugin dieses Wandels. Deshalb widmet das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe der Mutter der Topmodels eine Ausstellung, die Modefotografien von ihr zeigt und zudem den Lebensweg einer Frau dokumentiert, die exemplarisch für die Anfänge ihres Berufs steht.

Entdeckung auf dem Ku'damm

Karin Stilke lebt heute allein in ihrem Stadthaus, ihr Mann ist vor mehr als 30 Jahren verstorben. Sie ist eine lebhafte, elegante Dame, die pausenlos von ihrer Zeit vor der Kamera erzählen kann. So etwas wie ein Casting hat sie nur einmal erlebt: Vor zehn Jahren, da war sie 80. "Zum zweiten Mal in meinem Leben wurde ich angesprochen, ob ich nicht modeln wolle", erinnert sie sich. "Ich ging morgens hin. Aber das dauerte ewig, dauernd zupfte man an mir herum, die ganze Atmosphäre - das war kein Spaß für mich."

Ihre Entdeckung geschah beinahe nebenher. Die Modefotografin Yva sprach sie 1936 auf dem Kurfürstendamm an; Stilke ließ sich gerade in Berlin zur Dolmetscherin ausbilden. Eine Woche später waren die ersten Aufnahmen gedruckt. Der Beginn ihrer Karriere. Pelzmäntel und Abendkleider, Bademode und Accessoires - Stilke zeigte, was die Auftraggeber wünschten und hielt die Luft an, bis Fotografen wie Imre von Santho, Ruth Eppler oder Sonja Georgi mit ihren Posen zufrieden waren. Hinstellen, einatmen, klick. Modelagenturen gab es noch nicht, die Fotografen riefen selbst bei ihr an.

Morgens besuchte Stilke die Dolmetscherschule, nachmittags wurde sie fotografiert, abends tauchte sie in die Berliner Intellektuellenszene ein. Im Literaturzirkel Karl Vollmüllers, dem Mitautor des Drehbuch des "Blauen Engels", lernte sie Erich Kästner, Josef von Sternberg und Vladimir Nabokov kennen. Begegnungen, die sie noch heute beeindrucken. "Als Kind habe ich nur Backfischromane gelesen", sagt sie. Backfisch, so habe man damals gesagt. Das Wort Teenager gab es noch nicht. Ebenso wenig wie den Beruf des Fotomodells.

Den Sommer 1937 verbrachte Karin Stilke mit ihren Künstlerfreunden in Venedig. Dort freundete sie sich mit Marlene Dietrich an. "Marlene! Oh mein Gott, sie war wunderschön", seufzt sie heute noch. "Ich war so beeindruckt von ihr." Nicht von der Diva Dietrich, sondern vom Menschen. "Sie war uns gegenüber völlig normal", erzählt Stilke. "Nett, herzlich, intelligent, angenehm. Und sie hat gerne gekocht." Beeindruckt war auch Stilkes langjähriger Freund Erich Maria Remarque, ebenfalls mit von der Partie. Damals in Venedig habe er Marlene kennengelernt, erinnert sich Stilke. "Das war der Anfang ihrer Romanze."

Künstlerfreunde, Italienreise, Affären - das klingt nach Glamour und großer Welt. Doch Karin Stilke besteht darauf: All das habe mit ihrer Arbeit als Fotomodell nichts zu tun gehabt. "Ich habe nie berühmte Leute am Set kennengelernt. Nur Curd Jürgens, der war mit meiner Fotografin Sonja Georgi befreundet", sagt sie. Damals hätte der Beruf auch noch nichts "Verruchtes" an sich gehabt. Das habe erst in den fünfziger Jahren angefangen. Und selbst die waren noch meilenweit von Skandalgeschichten, Drogen und Magersucht der heutigen Models entfernt.

Ihre Berufskolleginnen nimmt Stilke aber energisch in Schutz. Die Umstände seien schuld, nicht die Menschen. "So ist die neue Welt", sagt sie und lehnt sich in ihrem Sessel zurück. Claudia Schiffer, Nadja Auermann oder Naomi Campbell finde sie ganz reizvoll, sagt sie. Die jüngsten Modetrends oder Heidi Klum und ihre Topmodel-Kandidatinnen kennt Karin Stilke nicht - seit einigen Jahren ist sie fast blind.

Einladung von Goebbels

Karin - die damals noch Lahl hieß - und Georg Stilke lernten sich 1938 auf einer Feier in Berlin kennen. Er stammte aus einer Unternehmerfamilie, sein Großvater hatte die glänzende Idee, in Bahnhöfen Buchhandlungen einzurichten. Als die beiden drei Jahre später heirateten, sollte der hübschen Karin Lahl auf einem Amt ausgeredet werden, den Vierteljuden Stilke zum Mann zu nehmen. Aber Karin gab ihrer großen Liebe das Jawort.

"Das Dritte Reich war eine fürchterliche Zeit", sagt sie heute. "Man wusste nie, wem man vertrauen kann, was die Nazis sich als nächstes ausdenken. Ich war einmal bei Goebbels eingeladen, das konnte ich zum Glück ausschlagen. Ich hatte zuvor Leni Riefenstahl kennengelernt und an ihr gesehen, wie schwer es ist, wieder rauszukommen, wenn man den Nazi-Größen einmal nahe ist."

Von den Honoraren, die Supermodels heute kassieren, habe sie nicht einmal zu träumen gewagt, sagt Karin Stilke. Das Geld habe zum Leben gereicht, basta. Summen will sie nicht nennen. Wohl aber verrät sie, dass sie es immer bar direkt im Studio bekam. Sie sei unglaublich stolz gewesen, als sie zum ersten Mal das Geld in den Händen gehalten habe, sagt sie. Ihr Mann war allerdings nicht sehr glücklich mit ihrem Beruf. "Er fand es wahrscheinlich unter seiner Würde, dass seine Frau arbeitete. Hätte er nein gesagt - ich hätte sofort aufgehört."

Heute zu modeln, das könne sie sich nicht vorstellen, sagt Karin Stilke. Mitte der fünfziger Jahre wurden die letzten professionellen Aufnahmen von ihr gemacht. Die gesellschaftlichen Pflichten an der Seite ihres Mannes nahmen zu, gleichzeitig war Stilkes Typ weniger gefragt. Aufwendige Shootings, magersüchtige Models, Schönheitsoperationen - das hält die alte Dame sowieso für Irrsinn. "Wenn ich eine ganz schreckliche Nase hätte, würde ich sie heute vielleicht auch operieren lassen. Aber niemals den Busen. Da sind die Geschmäcker so verschieden. Am Ende macht man ihn größer oder kleiner, und dem nächsten gefällt es genau andersherum."

Auch sonst hält Karin Stilke gute Ratschläge für diejenigen bereit, die in das Geschäft mit der Schönheit einsteigen wollen: "Lernt erst mal was Anständiges, macht einen Schulabschluss. Modeln ist ein Spaß, das sollte man nebenbei machen. Euren Beruf könnt ihr erst an den Nagel hängen, wenn ihr so viel verdient wie die Schiffer." Denn darin ist Karin Stilke sich damals wie heute sicher: "Modeln ist sowas Oberflächliches. Das ist kein Beruf."

Die Ausstellung "Karin Stilke: Fotomodell" ist im Museum für Kunst und Gewerbe am Steintorplatz in Hamburg zu sehen. Wegen des großen Zulaufs wurde sie bis zum 13. Januar 2008 verlängert.

© SZ vom 15.09.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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