Süddeutsche Zeitung

Briten über Deutsche:Kein Bier vor dem Sex

Der britische Guardian hat in einer Serie über Europa ausführlich über Deutschland berichtet. Das Ergebnis: So schlimm sind wir gar nicht.

Noch immer nehmen britische Medien Deutschland vor allem dann wahr, wenn es neue Details aus dem "private life of the Führer" oder sonstige Hitleriana zu vermelden gibt. Auch der deutsche Fußball wird mittlerweile einigermaßen ernst genommen. Doch da endet meist schon das Interesse. Darum freut man sich als regelmäßiger Konsument englischer Zeitungen natürlich, wenn ein respektables Blatt wie der Guardian Deutschland in seiner Reihe "New Europe" eine Woche lang Reportagen, Hintergrundberichte und Kommentare widmet. Und wie immer, wenn etwas aus der Draufsicht geschrieben wird, kann man als vermeintlicher Insider dazulernen.

So hat der Kolumnist Simon Jenkins bei seinem ersten Besuch in Berlin seit zehn Jahren ein Deutschland vorgefunden, das "Europa dominiert wie, wagen wir's zu sagen, seit den 1940er Jahren nicht mehr". Was Jenkins besonders an Deutschland schätzt, ist sein dezentraler Charakter: "Seine Herrscher und ein Großteil des Kulturlebens mögen in die neue Hauptstadt zurückgekehrt sein, aber seine Finanzen sind in Frankfurt, seine Industrie an der Ruhr und seine Zeitungen in München und Frankfurt."

Derart präpariert wendet man sich anderen Stücken zu: Ein Reporter besucht eine Hamburger Kleinfamilie. Das Bild, das vom deutschen Mutter- und Vaterschaftsurlaub gezeichnet wird, ist ein bisschen rosig. Treffender beschrieben sind die Unterschiede zwischen dem deutschen Verhältnis zu Immobilien (mieten oder kaufen und für immer drin wohnen) und dem englischen (spekulieren).

Neben einem interessanten Bericht über Migranten kann man sich in zwei Spalten über "Deutschland auf einen Blick" informieren. So wird unter der Rubrik "Essen und Trinken" mitgeteilt, sowohl Würste ("von leicht obszönen Thüringer Pimmeln bis zu den in Ketchup ertrinkenden Currywürsten Berlins") als auch Spargel seien "nationale Leidenschaften". "Riesige Kuchenstücke" werden "zu jeder Tageszeit" verzehrt, und zum Abendessen gibt es eher Lasagne als Weißwurst.

Dass Grüner Veltliner als einer der unterschätzten Deutschen Weine aufgelistet ist, dürfte österreichische Leser allerdings etwas überraschen. Im Bereich "Intellektuelles Leben" sind Daniel Kehlmann und Helene Hegemann als "enfants terribles" des Literaturbetriebs apostrophiert; unter "Liebe und Sex" wird angemerkt, deutsche Frauen seien "von legendärer Resolutheit".

Und: "Briten sind oft überrascht, dass Deutsche anscheinend keinen Alkohol brauchen, um zum ersten Mal miteinander zu schlafen." Schön, das mal so zusammengefasst zu bekommen.

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Quelle:
SZ vom 16.03.2011/mea/jubl
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