Deutsche Esskultur:Das Ende der Currywurst

Mit oder ohne Darm: Die Currywurst ist die fleischgewordene Ikone der deutschen Alltagskultur. Von Herbst an ist sie ein Fall fürs Museum. Zeit für einen Abschied?

Ulrike Bretz

Die Currywurst liegt im Sterben. Leichenblass und lauwarm ruht sie in ihrer durchgeweichten Pappschale mit gewelltem Rand, bedeckt von Ketchup mit gelbem Pulver, eine bunte Plastikgabel steckt in ihrem schlaffen Leib. Bald findet sie ihre letzte Ruhe in einem Sarg aus Glas, in ihrer Heimatstadt Berlin: Im Sommer soll dort das Deutsche Currywurst Museum eröffnet werden.

Currywurst

Alles hat ein Ende, auch die Currywurst: Der einst beliebteste Imbiss der Deutschen ist ein Fall fürs Museum.

(Foto: Foto: dpa)

Die Currywurst, der Inbegriff der deutschen Imbisskultur, ist offenbar reif fürs Museum. In einem Museum landen die Objekte, denen zwar eine gewisse Mindestbedeutung für die Kultur einer Gesellschaft innewohnt, die aber nicht mehr im Alltag verankert sind. Ausstellungsstücke sind Sachzeugen mit Symbolwert. Sie verweisen auf vergangene Epochen. Zeiten, die nicht mehr existieren. "Schaut her, Kinder" - wird auf dem Schild neben der Vitrine stehen - "das haben wir Deutschen einst gegessen!"

Die musealisierte Brüh- oder wahlweise Bratwurst wird auf eine Zeit verweisen, in der die Deutschen die braune Bratensoße nicht mehr sehen konnten. Eine Zeit, in der sie hungrig jeden kleinen Hauch von Exotik aufsogen, der mit der gelben Gewürzmischung und dem roten Ketchup durch die Nachkriegsstuben wehte.

Dann kamen die achtziger Jahre. Die Currywurst erlebte ihren Höhenpunkt. Kommissar Schimanski nahm, wie all die anderen Arbeiter der Nation, im grauen Anorak sein Abendessen an der Imbissbude an der Ecke ein und schmierte sich Mayonnaise an den Schnäuzer.

Herbert Grönemeyer sang ihr eine Hymne: "Kommse vonne Schicht, wat Schönret gibt et nich als wie Currywurst." Dann wurde Gerhard Schröder Kanzler - und adelte die Speise. Durch seine offen zugegebene Liebe zu ihr wurde sie salonfähig: Edelrestaurants setzten die Wurst auf ihre Speisekarten.

Doch seit Schröder nicht mehr Kanzler ist, ist die Wurst ebensowenig eine Schlagzeile wert wie der Pfälzer Saumagen. Hin und wieder flammt der alte Patentstreit auf, etwa durch Uwe Timms Novelle "Die Entdeckung der Currywurst" neu entfacht.

Sushi statt Currywurst

Die Wurst ist längst zum Kult geworden - doch mit dem, was sie einst war, hat sie nicht mehr viel zu tun. In aktuellen Ranglisten der beliebtesten Snacks der Deutschen dümpelt die gewürzte Wurst auf Platz fünf vor sich hin.

Die traditionelle Currywurst scheint vom Aussterben bedroht. Wie der graue Anorak, der Schnäuzer und das Wort "Imbiss". Diese Dinge haben keinen Platz mehr in einer Welt, in der man nicht mehr einkaufen geht, sondern shoppen, Trammezini statt überbackenem Baguette bestellt, sich mit Nordic Walking anstatt mit Dauerlauf fithält und Latte macchiato dem Filterkaffee vorzieht.

Wer was auf die Hand will, kauft sich Takeaway-Sushi oder Falafel. Wer Curry will, geht zum Inder. Und wer Exotik sucht, fliegt nach Madagaskar. Wichtig ist, dass wir bei dem, was wir tun, gut aussehen. Und dass es sich gut anhört, wenn wir darüber reden. Aber Currywurst Spezial - das klingt nach Pommes rot-weiß, nach Fett und Friteuse, nach Null-Nährwert. Es hört sich gar nicht gut an.

Doch es gibt Rettungsversuche. Die Currywurst aus dem Supermarkt-Kühlregal, die man zu Hause in die Mikrowelle schiebt, ist keiner. Aber die schicken Läden, die Lifestyle verkaufen wollen, geben sich redlich Mühe. In Hamburg bieten sie Bio-Currywurst an, damit man beim Essen wenigstens das Gewissen beruhigen kann. Im Ruhrpott wird die Wurst mit den schärfsten Toppings - klingt einfach besser als Soße! - serviert. Sie zu probieren, ist eine kleine Mutprobe. Irgendeinen Reiz muss man offenbar bieten, wenn man die Wurst an den Mann bringen will.

Ein "Sightseeing-Muss"

Wer das schnelle Gericht verkaufen will, gibt seiner Location nicht den Namen "Hilde's Imbisswagen". Sondern nennt ihn, ganz cool, "Extrawurst" oder "Foxy Food". Hinter der Theke stehen nicht die drei Damen vom Grill, sondern studentische Aushilfsjobber. Schließlich will man das jugendliche Ausgehvolk als Kunden gewinnen. Die Currywurst hat all das offenbar nötig, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Vielleicht kann das Currywurst Museum das inoffizielle deutsche Nationalgericht, das die fleischgewordene Legende einmal war, ja wirklich retten. Zu befürchten ist aber, dass hinter der Idee ganz einfach eine weitere Touristenattraktion für Berlin-Besucher steckt. Nicht umsonst preisen die Ausstellungmacher ihr Museum als "Sightseeing-Muss" und "einzigartige Erlebnisausstellung" an.

Die Rechnung könnte aufgehen: Wer sich in einem Trabbi durch die Hauptstadt kutschieren lässt und ganz generell für jeden Spaß zu haben ist, macht auch einen Abstecher zur Currywurst. Also: Betrachtet sie belustigt, wie sie da trashig hinter der Glasscheibe liegt! Und geht dann ein paar Häuserecken weiter, zum Checkpoint Charly! Dort, im Mauermuseum liegen die Relikte der DDR-Alltagskultur.

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