Was haben die DDR, die FAZ und die Deutsche Bahn gemeinsam? Nein, es geht nicht um Gorbatschows Satz "wer zu spät kommt, den bestraft das Leben". Alle drei sind 1949 gegründet worden und würden, gäbe es sie noch alle drei, in diesem Jahr 75. Die DDR ist, wie bekannt, früher verschieden und gilt nur noch wenigen als Alternative für Deutschland, auch weil dieser Begriff heute von jenen besetzt ist, die unter anderem in der Sylter Pony-Bar die Erinnerung an das Deutschland vor 1945 aufrechterhalten. Die Bahn hieß damals, 1949, Deutsche Bundesbahn und war auch nicht pünktlicher als heute, was damals an den Kriegsschäden lag, heute aber daran, dass sie eine bundeseigene Aktiengesellschaft ist und die Parteien immer ihre Spitzenkräfte, in letzter Zeit gerne die in braunen Halbschuhen, zu Verkehrsministern machen. Im Vergleich mit Bahn und DDR gibt es über die FAZ nichts Negatives zu sagen.
In diesem Jahr jedenfalls hat man den Eindruck, dass unablässig Dreivierteljahrhundert-Geburtstage gefeiert werden, nicht nur von Institutionen (DGB) oder gar Staaten (der Bundesrepublik), sondern natürlich auch von Menschen. Meryl Streep, Horst Seehofer und Bruce Springsteen zum Beispiel werden 75. Bei der einen ist das erstaunlich, beim anderen angemessen und beim dritten kaum glaubhaft. Übrigens wird, speziell bei Geburtstagsreden, die Benutzung der Phrase "75 ist das neue 60" (oder 50 oder sonst was) mit einem sechswöchigen, unbezahlten Praktikum als Kammerdiener bei Mathias Döpfner bestraft.
Apropos unbezahltes Praktikum: Auch die Deutsche Journalistenschule (DJS) wird 75, sie wurde im April 1949 als Werner-Friedmann-Institut vom damaligen SZ-Gesellschafter und nachmaligen Chefredakteur Werner Friedmann gegründet. Seitdem haben mehr als 2600 Journalistinnen und Journalisten unbezahlt, aber höchst freiwillig diese Ausbildung durchlaufen, darunter Menschen, die man kennt, wenn auch nicht unbedingt als Journalisten (Günther Jauch, Maxim Biller), sowie viel mehr, die sich untereinander kennen und von denen manche deswegen meinen, sie seien irgendwie wichtig, mindestens aber systemrelevant. Die Diskussionen darüber, für welches System man relevant ist und ob man "System" nicht auch gendern müsste, halten in den Redaktionskonferenzen an. Es gibt dazu demnächst eine von drei Branchendiensten live gestreamte Vollversammlung, zwei Arbeitsgruppen, eine psychologische Beratung sowie immer dienstagabends einen scrum.
Wenn man mit Politikern und anderem Promivolk verkehrt, entsteht leicht der Eindruck, man sei selbst bedeutend
Ich bekenne, ich war auch auf der DJS, und es gab auch eine Zeit, in der ich mich für wichtig, gar bedeutend hielt. Letzteres war ein Irrtum, möglicherweise sogar eine Dummheit, aber immerhin eine erklärbare: Wenn man mit Politikern m/w/d, Schauspielern, Schriftstellerinnen oder anderem Promivolk verkehrt, entsteht leicht der Eindruck, man sei selbst bedeutend, obwohl man nur eine Funktion innehat. In Berlin gab es zu meiner Zeit Lokale, die ausschließlich davon lebten, dass sich dort die Träger und Innen verschiedenster Funktionen gegenseitig ihrer Wichtigkeit versicherten. Ich habe wenig Hinweise, dass sich das grundlegend geändert hätte. Außerdem ist der Journalismus als solcher eine der am meisten selbstreferenziellen Branchen. Das bedeutet, dass man mit Journalistinnen und Journalisten am besten über andere Journalisten und Journalistinnen sprechen kann, weswegen in den Talkshows auch immer, allerdings keineswegs nur Journalisten sitzen.
Keine Frage, der Journalismus ist wichtig, nicht nur wegen Artikel 5 Grundgesetz und so. Und die DJS ist, nach meinem völlig subjektiven Urteil, immer noch die beste, auf jeden Fall aber die älteste Journalistenschule der Bundesrepublik. Wie sich das gehört, gibt es dieser Tage eine Feier, der Bundeskanzler kommt (wer sonst, siehe oben unter "Bedeutung"), und Markus Söder, der gerne Bundeskanzler geworden wäre, hätte er nicht Armin Laschet daran gehindert, spricht auch. Söder ist, man möchte es kaum glauben, ausgebildeter Journalist. Er hat ein Volontariat beim Bayerischen Rundfunk absolviert, weswegen man aber nicht schlecht über das öffentlich-rechtliche System urteilen sollte.
Bei so einer 75-Jahr-Feier ist es wie bei jedem Klassentreffen, wenn die Schulzeit lange zurückliegt: Man fragt sich einerseits des Öfteren, wer das da drüben ist, die oder den man eigentlich kennen müsste, weil es blöd ist, wenn man dauernd Leute ohne Namen anredet und außerdem auch noch in der Du-Sie-Bredouille steckt. (Ich wollte mir mal für solche Gelegenheiten einen Anstecker emaillieren lassen mit der Aufschrift: "Du? Nein, danke".) Andererseits wollen die, die einen selbst (er)kennen, immer wissen, wie es jetzt als Rentner ist und was man denn von der Krise in der XY-Zeitung hält, die man doch beurteilen könne, weil man ja selbst ... (siehe oben unter "selbstreferenziell").
Das klingt jetzt alles mindestens melancholisch. Also, für den Fall, dass diese Zeilen ein junger Mensch lesen sollte, der sich überlegt, ob der Journalismus der richtige Beruf wäre: doch, auf jeden Fall. Man lernt ungewöhnliche Menschen kennen (Verleger, Gerd Schröder, mit Saddam Husseins Außenminister habe ich mal Tee getrunken). Es ist meistens spannend, man kann Gutes tun (Schlechtes auch, je nachdem wo man arbeitet).
Und die DJS ist ein guter Anfang, um bedeutend zu werden (siehe oben).