Designer Patrick Mohr:Ausgeflippter Lumpensammler

Auf der Berliner Modewoche hebt Patrick Mohr die Geschlechtergrenze auf und schickt Obdachlose auf den Laufsteg. Ein Gespräch über Kreativität und Kommerz.

Katharina Höller

Der Münchner Designer und Paradiesvogel Patrick Mohr erhielt als Bester seines Jahrgangs 2007 an der Modeschule Esmod den "Prix Createur". Er assistierte beim dänischen Designer Henrik Vibskov und wird in der Branche als vielversprechendes Nachwuchstalent gehandelt. Seine Zukunft sieht er in Paris und New York. Auf der Berliner Fashion Week präsentiert der 29-jährige Newcomer eine Kollektion zum Thema Obdachlosigkeit.

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Ob arm oder reich, Mann oder Frau - wir sind alle gleich, findet der Münchner Modedesigner Patrick Mohr.

(Foto: Foto: oh)

sueddeutsche.de: Der Obdachlose als Hauptinspiration - Wie sind Sie darauf gekommen?

Patrick Mohr: Ich hatte schon immer ein Herz für Obdachlose. Alle Menschen sind gleich - ich mache da keine Unterschiede.

sueddeutsche.de: Aber Sie entwerfen doch nicht aus reiner Nächstenliebe, oder?

Patrick Mohr: Ausschlaggebend war meine eigene Vergangenheit. Ich habe selbst Schicksalsschläge hinnehmen müssen, Erfahrungen mit dem Tod gemacht und fühle mich diesen Menschen deshalb besonders verbunden. Aber das ist sehr persönlich und ich möchte darauf nicht näher eingehen.

sueddeutsche.de: Stimmt es, dass Sie Obdachlose auch als Models auf den Laufsteg schicken?

Mohr: Es ist ganz einfach die logische Konsequenz aus dem Thema meiner Kollektion. Ich wollte das so plakativ wie möglich umsetzen. Außerdem denke ich, dass gerade die Modebranche dem Thema Armut mehr Beachtung schenken sollte.

sueddeutsche.de: Was haben die Obdachlosen davon?

Mohr: Ich wollte ihnen mit der Show ein schönes Erlebnis bescheren. Und es wirkt: Die freuen sich und strahlen übers ganze Gesicht. Außerdem kriegen sie Klamotten und Schuhe geschenkt, und ich spende für den Strassenfeger, das Berliner Obdachlosenmagazin.

sueddeutsche.de: Wie spiegelt sich das Thema Obdachlosigkeit in Ihrer Kollektion?

Mohr: Die Inspiration ist bei jedem einzelnen Stück ersichtlich. Der Look ist sehr ausgefranst und asymmetrisch, es hängt und zipfelt überall heraus - die Silhouette ist der Optik eines Lumpensammlers nachempfunden. Nahe liegt auch das Material: Ich habe fast nur Leinen verwendet, außer für die Jeans und die T-Shirts.

sueddeutsche.de: Glauben Sie wirklich, dass die Leute den sogenannten Penner-Look auch tragen werden?

Mohr: Zugegeben, es waren sehr extreme Showpieces dabei - die sind nicht tragbar. Aber überwiegend sind die Sachen für Leute wie dich und mich gedacht. Ich grenze meine Zielgruppe nicht ein - schon allein deswegen, weil meine Sachen nicht so unverhältnismäßig teuer sind wie bei anderen Designern.

sueddeutsche.de: Haben Sie keine Angst, dass sich das Modepublikum von Ihrer Kollektion vor den Kopf gestoßen fühlt?

Mohr: Das spielt für mich keine Rolle, in erster Linie mache ich das für mich. Dem einen wird es gefallen, dem anderen nicht.

sueddeutsche.de: Dennoch müssen Sie ja von etwas leben. Was denken Sie: Kann man mit solch ausgefallenen Entwürfen überhaupt Geld verdienen?

Mohr: Das ist die Herausforderung und gleichzeitig die Kunst - die Balance zwischen Kreativität und Kommerz zu halten. Ein Designer ist gut, wenn er ein Produkt herstellt, das die Kunden ihm abkaufen. Neben den ausgeflippten Teilen gibt es außerdem jede Menge Jeans und Shirts, die tragbar sind und trotzdem hohen Wiedererkennungswert haben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Mohr über den Unterschied zwischen Mann und Frau denkt.

Patrick Mohr: Ich trenne nicht nach Geschlechtern

sueddeutsche.de: Neben dem Obdachlosen-Look sorgt noch ein anderes Merkmal Ihrer Kollektion für Aufsehen: Die Entwürfe für Frauen und Männer unterscheiden sich nicht voneinander.

Mohr: Für mich sind Mann und Frau eine Einheit. Ich trenne nicht nach Geschlechtern. Die körperlich gegebenen Besonderheiten sind für mich nicht inspirierend. Das ist auch die Aussage meiner Arbeit: Ich will deutlich machen, dass die Unterschiede nicht so groß sind.

sueddeutsche.de: Wollen Sie mit dieser Aussage einfach nur provozieren? Oder haben Sie eine Botschaft.

Mohr: Es ist nicht meine Absicht zu provozieren. Doch die Provokation ist automatisch vorhanden, weil viele Menschen noch zu sehr in diesem separaten Geschlechtsdenken verhaftet sind. Das ist es, worauf ich aufmerksam machen möchte.

sueddeutsche.de: Auch Ihr persönlicher Look ist recht eigenwillig. Ist das Teil des Konzepts "Patrick Mohr"?

Mohr: Es gibt kein Konzept. Ich bin einfach so, ich kann nicht anders. Schon als Kind war ich immer ein Außenseiter, kleidete mich bunter und flippiger als die anderen. Statt Turnschuhen trug ich Cowboystiefel. Dabei ist mir mein Erscheinungsbild gar nicht so wichtig. Was zählt ist, dass jeder Mensch echt und sich selbst treu sein sollte.

sueddeutsche.de: Die kreative Elite Deutschlands tummelt sich in Berlin. Was tun Sie hier in München?

Mohr: Ich bin in Rosenheim aufgewachsen und habe in München Mode studiert. Zunächst hatte ich hier gewisse Anpassungsschwierigkeiten, aber mittlerweile mag ich es. Die meisten tragen mich auf Händen. Es gibt hier nicht so viele exotische Designer - deshalb bin ich bei der Münchner Avantgarde recht beliebt.

sueddeutsche.de: Wie die Männerkollektionen auf der Mailänder Modewoche beweisen, ist der Clochard-Look im Kommen. Halten Sie sich in diesem Trend für richtungsweisend?

Mohr: Was ich zeige, ist auf jeden Fall richtungsweisend, weil es eine ganz eigene Note hat. Wäre möglich, dass der ein oder andere mich vielleicht sogar kopieren wird.

sueddeutsche.de: Hand aufs Herz: Dann haben Sie sich also von Mailand nicht inspirieren lassen?

Mohr: Ich gucke mir die Schauen gar nicht an. Ich habe keine Ahnung, was da gelaufen ist.

sueddeutsche.de: Sie werden mitunter als die "neue deutsche Modehoffnung" gehandelt. Was denken Sie darüber?

Mohr: Irgendetwas muss ja dran sein.

sueddeutsche.de: Wie lebt sich's als aufstrebender Designer mit der Finanzkrise?

Mohr: Problematisch ist sicherlich, dass die Unternehmen sehr spät und manche sogar gar nicht bezahlen. Auf der anderen Seite hätte es meine Show nicht geben, wenn es nicht vielen anderen schlecht ginge. Die Wirtschaftskrise macht den Platz für mich frei.

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