Designer-Kollektion bei H&M:Heute im Angebot: Lanvin

Nun entwirft auch das älteste französische Couturehaus für H&M. Eine richtige Liason gehen Masse und Luxus trotzdem nicht ein, sie fummeln nur ein wenig - aus Prestige-Gründen.

Verena Stehle

Manchmal muss die Modewelt Märchen erzählen. Es gibt die Geschichte vom Übergrößenmodel, das in die Welt hinausgeht und ein Star wird. Oder das Märchen von der eitlen Hochmode und der komplexbehafteten Massenmode, die unzertrennlich werden.

Designer-Kollektion bei H&M: Nach Jimmy Choo und Sonia Rykiel entwirft auch das älteste französische Couturehaus Lanvin eine Kollektion für H&M.

Nach Jimmy Choo und Sonia Rykiel entwirft auch das älteste französische Couturehaus Lanvin eine Kollektion für H&M.

Wie bei allen Märchen ist auch an diesen ein Fünklein Wahrheit dran. Ja, man sieht mehr kurvige Frauen auf Laufstegen. Und ja, immer mehr Designer entwerfen limitierte Kollektionen für Massenmodeketten. Aber all die Chefdesigner, Chefstylisten und Chefredakteure wissen: Dünn wird nie aus der Mode kommen. Und: die Hochmode wird immer etwas Besseres und "Masse" ein Schimpfwort bleiben. Die Wissenden würden das nur nie laut sagen.

Die Liaisons, die Luxus und Masse immer öfter miteinander eingehen, stehen unter dem Motto Masstige, einem Begriff, den 2003 Michael J. Silverstein, Analyst bei der Boston Consulting Group, definiert hat. Masstige bedeutet: Masse und Prestige fummeln ein wenig, aber gehen nicht zusammen ins Bett. Sonia Rykiel, die Französin mit den roten Haaren, ist die Galionsfigur dieses sehr erfolgreichen Marketingmodells: Schon Ende der 70er Jahre hatte sie ein paar günstige Teile für den Modeversand "3 Suisses" entworfen. Immer mehr Bekleidungsketten zogen nach, erst "Target", dann "La Redoute" und dann die bekannteste, "H&M". Heute gilt ein Designer ohne Capsule Collection als fast so unzeitgemäß wie einer ohne Facebook-Account.

H&M holt sich seit 2004 die weltbesten Designer, die für ein Gastspiel das hundertköpfige H&M-Designteam um Lucas Ossendrijver anleiten. Verkaufsstart der Kollaborationen: gerne im November, einem der umsatzstärksten Monate der Bekleidungsindustrie.

Die größten Coups der Schweden

Nach zuletzt Rei Kawakubo (Comme des Garçons) und Sonia Rykiel haben die Schweden nun Alber Elbaz an Land gezogen, was neben Karl Lagerfeld als bisher größter Coup der Schweden gilt. Elbaz, der aussieht wie ein drolliger, etwas überfütterter Pinguin, ist seit 2001 Chefdesigner von Lanvin. Das ist nicht nur das älteste Couturehaus der Welt - es wurde 1889 von Jeanne Lanvin gegründet -, sondern auch eines der derzeit gehyptesten. Moderredakteurinnen, verwöhnte Pariser Gesellschaftsdamen, ihre Töchter - sie alle können nicht genug kriegen von Elbaz' femininen, oft drapierten und asymmetrischen Kleidern. Lanvin liebt, wem die Rockstargroupieoutfits von Balmain zu nuttig und wem Celine oder Jil Sander zu minimalistisch sind. Elbaz' Unterschrift ist die Riesenschleife, die Beträge auf den Preisschildern sind weniger verspielt. Und mindestens dreistellig.

Von Elbaz sind nun zwei entscheidende Aussagen überliefert: "Ich bin nicht cool." Und: "Ich werde nie Massenmode produzieren." Wie überzeugt man so einen, sich auf eine Massenmodekette einzulassen? Gigantischer Scheck? Hypnose? H&M antwortet diplomatisch: "Wir bieten die Möglichkeit", so Pressesprecherin Nadine Schmidt, "die Entwürfe einem größeren Publikum zugänglich zu machen."

H&M ist mit über 1900 Filialen in über 35 Länder vertreten. Auf der Modeketten-Weltrangliste belegen die Schweden den dritten Platz, nach Gap und Inditex (Zara). Zum Vergleich: Lanvin hat weltweit 38 Boutiquen, und wird dazu in ausgewählten Nobelkaufhäusern verkauft. Aber wenn die gerade so ausgewählt sind und Lanvin auch sonst wunderbar dasteht, was Umsatz, Image und Klientel betrifft - nützt der Deal nicht vor allem den Schweden?

Geld ist für die übrigens bei den Kapsel-Kollektionen nicht der Hauptaspekt. Klar freute man sich in der Stockholmer Schaltzentrale, als damals Ende November 2004 der Umsatz mal eben um 24 Prozent nach oben schnellte - wegen der Linie von Karl Lagerfeld, die in nur zwei Tagen verkauft war. Aber weil solche Kollektionen nicht nur limitiert, sondern auch punktuell sind, nehmen sie sich in Geschäftsberichten von CEO Karl-Johan Perrson winzig aus. Aber: "Mit Designer-Kollektionen verursachen Modeketten oftmals einen großen Hype", sagt Philip Beil, Modeexperte der Strategieberatung Roland Berger. "Wenn es dazu noch ein begehrter Designer ist, der eine Leuchtturmwirkung hat, gibt das der Marke einen modischen Twist."

Der eine oder andere Konsumkritiker mag bereits über einen Leserbrief nachdenken, in dem steht, dass H&M mit seinen Designern doch nur von den steigenden Billigimporten aus China ablenken will, mit denen die Preise überhaupt nur so klein gehalten werden können. Fest steht: Kooperationen mit großen Namen brennen sich in die Köpfe ein. Man kennt die japanische Kette Uniqlo, seit ihre Beraterin Jil Sander heißt. Und Hess Natur gilt nicht mehr als muffig, seit sich der Spanier Miguel Adrover dort austobte, den New Yorks coolstes Mädchen Chloë Sevigny anhimmelt, die wiederum wir ein bisschen anhimmeln.

Neue Märkte, neue Kunden

Um Aufmerksamkeit zu generieren, zündet H&M regelrechte Werbe-Feuerwerke. Anlässlich von Sonia Rykiels Strickkollektion wurde eine Kirmes im Pariser Grand Palais aufgebaut, mit Zuckerwatte und Riesenrad; die New York Times berichtete groß. Für Lanvin läuft just eine gigantische virale Werbekampagne auf diversen digitalen Kanälen wie Twitter und YouTube. Von diesen globalen Gratis-Kampagnen profitieren, und da kommen wir zu der zweiten Antwort auf die cui bono?-Frage, vor allem die Designer, die eben auch nicht Dagobert Duck-haft im Geld baden.

Matthew Williamson beispielsweise hatte sich im Frühling 2009, als er an der Reihe war, gerade von Pucci getrennt, einen Flagshipstore in New York eröffnet und dazu noch einen Finanzinvestoren verloren. "Für die einen Designer ist es eine Marketing-Plattform für ihre Hauptmarke", erklärt Philip Beil, "andere sehen es als kreative Herausforderung, eine Kollektion auf einem niedrigeren Preisniveau zu entwickeln. Ein Lagerfeld brauchte das Geld sicher nicht." Nathalie Rykiel, Tochter und Artistic Director von Sonia Rykiel, fasst zusammen: "Mit H&M wurden wir auf ganz neuen Märkten wahrgenommen. Die Kunden sind dennoch sehr verschieden. Es gibt ein paar junge Mädchen, die in Sonia-Rykiel-Boutiquen shoppen; aber die kamen auch schon vor H&M."

Also alles für jeden: wunderbar. Aber jetzt die Fragen, auf die Marketing-Erstsemester schon die ganze Zeit gewartet haben: Wird ein Luxuslabel nicht entzaubert, wenn es unter Neonröhren liegt? Kommt es nicht zu Kannibalisierungseffekten, wenn ein Name für einen Bruchteil des sonstigen Preises verkauft wird? Die Antwort lautet: Nein. Und nein.Die Gefahr für die Hauptmarke ist laut Philip Beil grundsätzlich gering - wenn die Aktion zeitlich und vom Volumen her begrenzt ist und das Partnerunternehmen eine ausreichend gute Positionierung hat. Problematisch wäre also erst, wenn eine Chanel-Linie dauerhaft bei Kik erhältlich wäre. Das ärgste Risiko, das man als Marke unter Berücksichtigung aller oben genannter Faktoren eingeht, ist, dass die Kollektion liegenbleibt. Stella McCartneys Oversize-Mäntel und Seiden-Jumpsuits konnte man noch Wochen später auf Grabbeltischen entdecken. Geschadet hat es nicht: Die Beatles-Tochter ist heute eine der erfolgreichsten Frauen der Branche. Sie war nur damals schon ihrer Zeit voraus, heute werden die Sachen bei Ebay verkauft: gebraucht, trotzdem zum Originalpreis.

Den kurzen Ausflug in die Massenmode wird Lanvin unbeschadet überstehen. Und Elbaz wird fortan als jugendgeprüft innovativ gelten, als streetsmart und völlig unhochnäsig; vielleicht sogar als cool. Ganz egal, dass weltweit ab 23. November seine Entwürfe vom ständigen Auffalten, Zusammenknäulen, Hinschmeißen, Herunterfallen, Mit-Straßenschuhen-drüber-laufen kein bisschen mehr nach Lanvin aussehen.

Oder vielleicht auch - gerade gut so.

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