Der neue Mann:Bye-bye, Bübchen

In den vergangenen Jahren musste Mann vor allem eines sein: möglichst nicht-männlich. Doch Mode und Gesellschaft sind vom Peter-Pan-Syndrom geheilt - die echten Kerle kommen zurück. Ein Glück.

Verena Stehle

Im ersten Moment hält man es für ein YouTube-Quatschvideo, weil er sonst ja auch gern Quatsch macht. Aber es wird nicht quatschig, es bleibt so hochseriös wie ein Industriekaufmann beim Kundengespräch. Yoko Winterscheidt wirbt seit neuestem für Nassrasierer von Gillette. Im Spot, um den es hier also geht, trägt er Jackett, hellblaues Hemd und eine betonierte Frisur, wie Barbies Ken sie mal aus Plastik trug, bevor er sich als Surferboy mit blonden Strähnchen besser verkaufte.

Jojo Winterscheidt

MTV-Moderator Joko Winterscheidt (links neben ihm Kollegin Mirjam Weichselbraun) gehört der aussterbenden Männergattung der Hipster an.

(Foto: dpa)

Winterscheidt, 32, ist Moderator beim Jugendsender MTV und sagt als solcher zu allem und jedem "Alter". Stets trägt er coole Turnschuhe und die in Hipster-Kreisen virulente Hitlerjugendfrisur. Dass dieser MTV-Posterboy nun für Gillette wirbt, ist so abwegig, als würde Claude-Oliver Rudolph für "Perwoll" mit einem rosa Mohairpulli kuscheln.

Winterscheidt ist Berufsjugendlicher. Bedeutet: Er wird für seine Nicht-Männlichkeit bezahlt. Genau wie diese pfirsichgesichtigen Jünglinge in Röhrenjeans mit "Chaos"-Tattoos, die in den letzten Jahren die Modewelt und unser Straßenbild prägten.

Gezüchtet hatte diese Knilche in den späten Neunzigern Hedi Slimane, als er noch "Creative Director for Menswear" bei Dior war. Sie versinnbildlichten das, was Ally Sheedy in den Achtzigern in dem Film The Breakfast Club sagte und was, noch viele Jahre früher, J.D. Salinger mit seinem Fänger im Roggen meinte: "Wenn du erwachsen wirst, stirbt dein Herz."

Diese Gefahr scheint seit einiger Zeit gebannt zu sein, beziehungsweise: sich ins Gegenteil verkehrt zu haben. Soziologen stellten in den letzten Jahren besorgt fest, dass Männer noch mit vierzig vor der Playstation hockten - und nannten diese Exemplare "Man child". Eigentlich ist es gar nicht so unbegreiflich, dass Männerforscher, die Zeit-Redaktion und Eva Herman darin eine Krise des Mannes sahen.

Doch nun haben wir 2011. Plötzlich dampfen die Titelseiten und Laufstege nur so vor Testosteron. Und junge Männer machen wieder Männersachen: Sie lassen sich die Bärte in Barbershops stutzen, praktizieren "Mixed Martial Arts" und werden auch wieder häufiger Vater. Dieses ganze Jungsein-Ding, das die Modewelt so erfrischt hatte wie ein Rasensprenkler an einem lähmend-heißen Sommertag - es wurde offenbar mit der Zeit etwas klamm, da draußen.

"Wir haben eben eingesehen", so Gert Jonkers, Chefredakteur von Fantastic Man, "dass wir keine schlaksigen Teenager mehr sind". Sein zweimal jährlich erscheinendes Gentleman's Style Journal ist das smarteste und überraschendste Männermagazin, das es derzeit am Kiosk zu kaufen gibt. Während die Konkurrenz austauschbare Hollywoodprominenz auf den Titel hebt, zeigt Fantastic Man den Performancekünstler Francesco Vezzoli. Und im Heft, wo andere neue Aluminiumfahrräder oder schwellende Brüste zeigen, findet man in Fantastic Man eher einen Mini-Essay über den Bowlerhut, ein Psychogramm des Händedrucks oder eine Bildstrecke mit schraffierten Bergansichten.

Sie würden nicht irgendwelche Männerideale abbilden, so Jonkers, sondern die Realität: "Mode glamourisiert immer einen gewissen Modeltyp. Männlichkeit wird durch die Wirklichkeit bestimmt, durch Charakter. Die Realität ist so viel spannender als irgendjemandes Phantasie."

Dennoch: Eine fiktive Figur ist Auslöser für das neue Männerbild, das gar nicht neu wirkt, sondern wie aus der Zeit vor Gleichstellungspolitik und "Gender Wars". Wir sprechen von, genau, Don Draper, diesem höllisch gutaussehenden Macho-Werber aus der längst legendären Fernsehserie Mad Men. Seit dem Start im Juli 2007 wird Drapers Look allerorten zitiert, die Modekritikerin Suzy Menkes wollte gar in sämtlichen Models der Pariser Männermodenschauen Herbst/Winter 2010 kleine Don Drapers ausgemacht haben.

Dabei ist der einfach ein Typ in einem gutsitzenden Anzug mit einer "No Nonsense"-Frisur aus einer Fernsehserie. Aber darin ist er eben - ein Mann, kein Junge. Standard in den Sechzigern, heute wieder neu.

Die Hänflinge in Skinny Jeans sind verschwunden

Auf den Fotos der aktuellen Männermodemesse Pitti Uomo in Mailand sieht man beispielsweise bei Domenico Dolce und Stefano Gabbana den herkulanischen David Gandy auf dem Laufsteg. Gandy war das bestbezahlte Männermodell der Branche, bevor ihm die Hedi-Slimane-Jungs die Jobs wegschnappten, weil Modelagenten und Luxuskunden ihn plötzlich als "too big" empfanden - als zu groß, zu schwer, zu fett oder alles zusammen.

Jon Hamm

Er gilt als neuer Traummann und Stilvorbild: Macho-Werber Don Draper (dargestellt von Jon Hamm) aus der US-Erfolgsserie Mad Man.

(Foto: Associated Press)

Bei Dolce&Gabbana schritt er mit triumphierendem Blick und sehr großen Muskeln den Catwalk ab - nur leider bekamen das seine vormals ärgsten Konkurrenten gar nicht mit, es waren nämlich kaum mehr welche da. Ein paar liefen noch, für Jil Sander und Thierry Mugler. Aus dem Publikum aber waren sie ganz verschwunden, die Hänflinge in Skinny Jeans.

In Zeiten, in denen Hipster zum Schimpfwort geworden ist und Hipster Bashing - Hipster beschimpfen - eine beliebte Blogger-Disziplin, haben clevere Männer geschaltet: Nicht mehr das seltene Turnschuhmodell aus Japan bringt Street Credibility, sondern: Samtslipper. Tweedjacketts mit Blümchen im Knopfloch. Plus-Four-Hosen. Ringelsocken in antiken Schnürschuhen. In Straßenstilblogs wie Jakandjil.com findet man jedenfalls jetzt schon einen Haufen Bilder mittelalter Modeassistenten, die aussehen, als verkörperten sie bei einem verrückten Laienspiel die Doppelrolle Oscar Wilde und Edward Herzog von Windsor.

Bei ihnen zu Hause liegt gerade sehr wahrscheinlich auf einem wie zufällig arrangierten Magazinturm das aktuelle Fantastic Man oben auf; das mit dem sehr vergnügten Bryan Ferry auf dem Cover. Es kommt einem fast so vor, als würde Ferry alle die auslachen, die ihn bloß für einen alternden Rock-Onkel gehalten hatten. Er trägt Anzug und Hemd. Wie es sich für einen Mann gehört.

Anzug und Hemd waren auch die Leitmotive der Pariser Männermodenschauen, von Dries Van Noten über Jean Paul Gaultier bis Yves Saint Laurent. Und Mäntel! Und Hüte! Was man dagegen kaum noch sah, war Sportmode. Nur in den allerhöchsten Modekreisen, wo man Trends antizyklisch aufgreift, sind noch Sportschuhe erlaubt. Der ergraute Robert Rabensteiner beispielsweise, Modechef der L'Uomo Vogue, trägt dieser Tage zum feinen Zwirn Vans-Schuhe, ohne Socken.

Apropos Vans: Selbst dieses Label des nicht erwachsen werden wollenden Skateboarders reagiert auf den Reifeprozess in der Mode. Die neue Frühjahrskollektion kommt daher, als sei sie für einen Ivy-League-Dozenten entworfen worden. Tom Cooke, US-Produktchef von Vans Skate Footwear, erklärt das so: "Viele Firmen haben eingesehen, dass der Skateboard-Lifestyle mehr umfasst als nur Skateboarden. Skateboarder interessieren sich für Kunst, Fotografie, Musik und Design. Sie brauchen Klamotten, die sie sowohl auf dem Brett als auch zur Vernissage tragen können. Deshalb haben wir unseren Produktmix um einige elegantere, erwachsenere Teile erweitert."

Für Kunden, die Vans seit Kindertagen treu sind, gibt es zusätzlich eine noch erwachsenere, höherpreisige Speziallinie namens "Vans Vault", für die die Firma mit gerade angesagten Künstlern, Marken und Designern zusammenarbeitet, etwa Eames oder Marc Jacobs.

Dinge tun, die von einem Mann erwartet werden

Carine Roitfeld, als ehemalige Chefin der progressiven Vogue Paris auch für das männliche Pendant Vogue Hommes International verantwortlich, ließ kurz vor ihrem Abgang noch schnell das ziemlich verknitterte 70er-Jahre-Supermodel Matt Collins für den Titel fotografieren, daneben steht: "Die Macht des Alters". Was sich wie alles von Roitfeld nicht wie eine Headline, sondern eher wie ein Befehl liest.

Inzwischen scheint der Gedanke an Altsein, Erwachsensein oder Mannsein bei ebenjenem nicht mehr dieselben Aversionen hervorzurufen wie die Worte "Kerzenschein-Dinner" oder "Problemgespräch". Im englischsprachigen Raum ist die Wendung "To man up" plötzlich sehr populär, sie bedeutet so viel wie: Dinge tun, die von einem Mann erwartet werden. Verantwortung übernehmen. Die Kontrolle haben. Stark sein. Also alles andere als ein Schmusekätzchen.

Männer, das hat schließlich auch gerade der Focus in einer "exklusiven Studie" evaluiert, "besinnen sich auf ihre Urkräfte. Selbstsicher, aber auch entspannt." Wer nicht weiß, was genau diese Urkräfte sind, kann übrigens eine sogenannte Manngeburt buchen - ein neunmonatiges Initiationsseminar, in dem verkümmerte Y-Chromosomen aufgepäppelt werden. Es scheint gewirkt zu haben, was Barack Obama in seiner Antrittsrede als 44. Präsident der Vereinigten Staaten sagte: "The time has come to set aside childish things" - höchste Zeit, kindische Dinge sein zu lassen.

Zum Schluss noch einmal konkret: Wie sollte der perfekte Mann 2011 aussehen? Wie ein weiser Alter? Macho? Oder doch Industriekaufmann? Schwierig, denn: Der neue Mann sollte sophisticated aussehen, aber gleichzeitig prollmäßig hochtrainiert sein. Ein Dandy, aber eben wie einer, der in Elternzeit geht. Einer, der für die Frauenquote ist, aber einen machohaften Bottega-Veneta-Ledertrenchcoat trägt.

Den gleichen Typ hat wohl auch US-Schauspielerin - und Single - Chloë Sevigny im Kopf, die ja so toll ist, dass man als Mann und als Frau ein bisschen in sie verliebt sein muss. In der Januar-Ausgabe des US-Playboy sagt sie: "Ich will einen Mann, der maskulin ist. Einen, der mit seinen Händen umgehen und Sachen bauen kann und Survival-Techniken beherrscht. Gesichtsbehaarung ist ein Antörner. In New York hänge ich viel mit hippen Künstler-Typen rum, aber ich stehe eher auf den starken, körperlich beeindruckenden Mann. Wie einen Holzfäller."

Ziemlich sicher ist: Die Jungstage waren ein Waldspaziergang dagegen.

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