Der neue Feminismus (1):Total von der Rolle

Die moderne Frau fühlt sich mittlerweile so überfordert, wie der Mann es schon lange ist. Kein Wunder, bei der Auswahl: Supermutti, Pornofeministin oder Mäuschen - was darf's denn sein?

Violetta Simon

Die emanzipierte Frau hat sich lange ausgeruht auf dem Erbe, das ihr Rosa Luxemburg, Alice Schwarzer und ihre Kampfgenossinnen hinterlassen haben. Nicht ohne Verbitterung haben einige Frauenrechtlerinnen zur Kenntnis genommen, wie gedankenlos die nächste Generation mit den Früchten ihres mühseligen Kampfes umsprang.

frauentypen

Vamp oder Hausfrau - von wegen! Für Frauen gibt es heute weitaus mehr Rollen.

(Foto: Foto: iStock, Montage: sueddeutsche.de)

Und doch war genau dieses Abstreifen eines mittlerweile als verstaubt empfundenen Feminismus die einzig denkbare Konsequenz. Nachdem die erste Welle der Frauenbewegung 1918 den Frauen das Wahlrecht bescherte und die zweite Welle in den 60ern sich auf die Diskriminierung der Mütter konzentrierte, gönnte sie sich in den 90ern bereits den Luxus, sich für die Schwulen- und Lesbenbewegung stark zu machen.

Seitdem passierte nicht mehr viel, außer vielleicht die öffentliche Hinrichtung von Eva Herman, deren "Mütter-an-den-Herd"-Tiraden weitaus mehr Empörung hervorgerufen haben als die jüngsten Schock-Parolen einiger Porno-Feministinnen mit Tourette-Syndrom. "Frauen wie Charlotte Roche oder Lady 'Bitch' Ray haben vielleicht neue Claims für weibliche Selbstdarstellung im medialen Diskurs abgesteckt, damit aber noch keinen neuen feministischen Ansatz entwickelt", moniert die deutsche Autorin Mia Ming ("Schlechter Sex"). "Der so genannte neue Feminismus ist nicht vergleichbar mit der Emanzipation in den 70er Jahren. Er besteht aktuell allenfalls aus ein paar Fernsehauftritten und Büchern, die zufällig gleichzeitig erschienen sind".

Emanzipation? Überflüssig!

Sieht ganz danach aus, als habe sich die Frauenbewegung in der selbstgefälligen Erkenntnis aufgelöst, dass die Frau von heute keine Emanzipation mehr braucht. Schon das Wort an sich erscheint überflüssig, denn: Schließlich gibt es nichts mehr, von dem wir uns noch emanzipieren müssen. Längst ist die moderne Frau gleichberechtigt, eine von ihnen ist unsere Bundeskanzlerin. Frauen dürfen Auto fahren, wählen gehen und arbeiten. Ja, mehr als das: Sie können dabei auch gleich noch beweisen, wie sie Kind und Karriere unter einen Hut bekommen.

Dumm nur, dass aus dem "gleichen Recht für alle" auch ganz schnell ein großer Haufen erdrückender Pflichten für die moderne Frau entstanden ist. Und gerade, als wir ansetzen wollten zum erneuten Protestgeheul, hat uns Frau von der Leyen gezeigt, wie man als siebenfache Mutter mal eben Familienministerin wird. Da haben wir uns ganz schnell wieder hingesetzt und weitergepfriemelt an dem Experiment, Karriere zu machen und zugleich die Geburtenrate oben zu halten.

Die Frau, der neue Mann

Nun haben wir den Salat: Wir sind gleichberechtigter, als uns lieb ist. Womit geklärt wäre, was wir sind. Doch wissen wir auch, wer wir sind? Betrachtet man die Vielzahl an Frauenbildern, die unsere Gegenwart hervorbringt, schaudert man ob der gespaltenen Persönlichkeit unserer Gesellschaft. Die Frau scheint mittlerweile derselben Orientierungslosigkeit verfallen wie der Mann.

Auf seinem Weg zu sich selbst taumelte der einstige Patriarch und Ernährer der Familie durch die Palette weiblicher Wunschbilder und stolperte dabei doch nur immer tiefer in die Falle männlicher Unzulänglichkeiten. Jenseits von Macho, Softie und Alleskönner bewegt er sich nun im Orbit der Bedeutungslosigkeit - als "Bild von einem Mann".

Jetzt, da die Emanzipation nicht mehr als Programm dient, geht es uns Frauen ähnlich. Mit dem Unterschied, dass das Experiment unserer Identitätsfindung nicht schrittweise, sondern auf mehreren Ebenen zugleich erfolgt. Es haben sich zur selben Zeit mehrere Frauentypen etabliert, die unterschiedlichen Motiven folgen und sich eigene Lebenswelten schaffen.

Mit der Unterscheidung zwischen Mutter und Karrierefrau allein ist es dabei nicht getan. Bereits als Mutter hat eine Frau die Wahl, ob sie jenseits des Jobs lieber die "Demeter-Glucke" oder die stylische "Latte-Macchiato-Mutti" verkörpern möchte.

Vom Alpha-Mädchen bis zur Super-Mutter - lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Frauentypen unsere Gesellschaft hervorbringt ...

Total von der Rolle

Kann und soll man Frauen überhaupt auf diese Art in Schubladen stecken? "Ich denke schon, dass eine Kategorisierung in diesem Zusammenhang sinnvoll ist", sagt Paula-Irene Villa, Soziologie-Professorin an der LMU München, "solange man die verschiedenen Typen nicht mit konkreten Personen verwechselt".

Na, dann trauen wir uns mal - mit ihrer Hilfe:

Die Business-Mutter Sie ist die Powerfrau, die alles kann: den Job wuppen und die Familie managen. Hauptsächlich arbeitet sie - als Ärztin, Vorsitzende, Freischaffende. Die Kinder laufen eher nebenher. Die Probleme, die dieser Spagat zuweilen aufwirft, sind eine willkommene Gelegenheit, zu beweisen, dass sie bei all dem Stress noch Mensch geblieben ist. Sie kokettiert mit Kakaoflecken auf dem Businesskostüm und dem Chaos im Kinderzimmer, die Bewunderung der Gesellschaft ist ihr sicher.

Die Vollzeit-Mutti Diese Frau ist eigentlich Managerin eines Kleinunternehmens, sieht die Familie als Projekt. Termine - vom Baby-Schwimmkurs bis zur musikalischen Früherziehung - werden vorgeburtlich koordiniert und entsprechend inszeniert. Ernährung, pädagogisches Konzept und Freizeitgestaltung werden mit derselben Ernsthaftigkeit organisiert, mit der sie zuvor Business-Pläne erstellt hat.

Die Demeter-Glucke Immer bio, immer organisch, in ständiger Angst vor Allergien und Giften lebend, glaubt sie fest an die Kraft der Homöopathie und Anthroposophie. Sie lässt ihre Kinder lieber nicht impfen und hängt ihnen Bernsteinketten um den Hals, damit sie leichter zahnen. Beim Elternabend in der Kita beschwert sie sich bitterlich, weil es gesüßten Tee gibt und normale Brezen statt Dinkelstangen.

Die Ultra-Materialistin Diese Frauen sind nicht zwingend karriere-, jedoch stets materiell orientiert. Sie verwirklichen sich überwiegend bis ausschließlich über Statussymbole: große Eigentumswohnung, Designer-Klamotten, Marken, Urlaub, teure Restaurants. Viele von ihnen leben diese - auch bei Männern verbreitete Lebensform - unabhängig vom Partner, manche orientieren sich dabei an männlichen Vorbildern.

Die Neo-Konservative Den Kampfparolen bewegter Frauen gegenüber zeigt sie sich beratungsresistent. Was für sie in diesen unruhigen Zeiten zählt, sind ideelle Werte wie Familie, Rechtsstaat, Moral. Es gibt nicht viele von ihrer Sorte - Neo-Konservative haben ein Image-Problem. Das sieht man an Autorinnen wie Ilona Ostner, die bestimmte Marktprinzipien als "Entfamilialisierung" der Kinder kritisiert ("Krippenzwang") oder natürlich Eva Herman, die sich mit der Mutterkreuz-Romantik ihres "Eva-Prinzip" das eigene Grab geschaufelt hat.

Die Tussi Sie konzentriert sich darauf, sich durch die äußere Erscheinung abzuheben. Sehr beliebt sind künstliche Fingernägel, Strähnchen, Strass, Solariumbräune. Diese offen zur Schau getragene Künstlichkeit steht im krassen Gegensatz zum kultivierten Understatement des Bildungsbürgertums. Während die einen ihren Körper dezent durch Yoga, Joggen und Wellness in Form halten, stehen die anderen ganz offen dazu, nachgeholfen zu haben. Ja, mehr noch: Alle sollen sehen, wie teuer das war. Und je weniger man verdient, desto stärker soll es auffallen.

Die Alpha-Mädchen Spricht man von Frauentypen, kommt man um diesen nicht herum. Mit obszönen Gesten und dem Fäkal-Vokabular einer Gang aus den Bronx drängen sie in unser Bewusstsein - oder werden von den Medien dorthin gedrängt. Niemand kommt vorbei an den "Feuchtgebieten" von Charlotte Roche und den provokativen Songs und Texten von Lady "Bitch" Ray (ihr erstes Buch "Bitchism - Du hast es nicht verstanden, Ficker!" erscheint im Herbst). Sie werden zu allem gefragt, haben zu allem etwas zu sagen. Sie geben sich mal flockig, mal pampig, gelten als politisch ambitioniert oder zumindest denkend. In jedem Fall grenzen sie sich in ihrer Außenwahrnehmung lustfreundlich von der alten Frauenbewegung ab.

Wer wollen wir sein?

Bleibt die Frage, die auch schon Thea Dorn in ihrem Buch "Die neue F-Klasse" gestellt hat: "An welchen Rollenmodellen soll sich die Frau von heute denn nun orientieren? Und wer außer den Frauen soll unsere Gesellschaft voranbringen, wenn die Männer im Wesentlichen damit beschäftigt sind zu jammern, dass früher alles besser war?" Frauen wie Charlotte Roche und Ray Bitch werden es nicht sein, wenn es nach Mia Ming geht: "Mit Gesprächen über Sex werden wir da nicht weit kommen. Sie dienen nur der Unterhaltung, und Unterhaltung hat nicht die Kraft zur Veränderung."

Da fällt uns ein: Einen Frauentyp haben wir vergessen. Das Mäuschen! War ja klar, so schüchtern, wie es da in der Ecke steht. Dieser Frauentyp trägt Achseltäschchen und Ballerinas, ist meist unvorbereitet - im Leben wie im Studium - und spricht vorwiegend leise. Das Mäuschen ist trotz schlechtem Image und mangelnder Durchsetzungskraft noch immer nicht ausgestorben. Wenn sie noch ein bisschen durchhält, wird sie sich sogar als das ultimative Überlebensmodell entpuppen. Sie wird noch da sein, wenn der Mann reif ist für seine Emanzipation und die Frau sich auf ihre emotionale Kompetenz rückbesinnt. Ähnlich jener Organismen, die aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit selbst einen atomaren Angriff überstehen.

Wir müssen also nur etwas Geduld haben. Das Leben ist ein Zyklus - bald beginnt alles wieder von vorne. Frauenbewegung inklusive.

Unabhängig davon wird sich die Frau mutmaßlich weiterhin in einem sexualisierten Kontext darstellen, da ist sich Paula-Irene Villa sicher: "Hure oder Heilige, klug oder schön, Mutter oder Weib - die Frauen sind immer näher dran an der Natur des Geschlechts. Männer sind eher Menschen."

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