Der neue Feminismus: Die F...-Falle:Wie frei macht "dirty talking"?

Vulgäres Reden und Schreiben über Sex wird zurzeit gleichgestellt mit einer neuen, freien Weiblichkeit. Die Frauen tappen dabei wieder einmal in zwei uralte Fallen - die sie sich diesmal auch noch selbst gestellt haben.

Birgit Lutz-Temsch

Sprache kann wunderschön sein. Sie kann phantastische Bilder entstehen lassen, Gefühlslagen vom einen auf den anderen Moment völlig verändern. Nie kommt es nur darauf an, was, sondern auch, wie es gesagt wird. Welche Wörter wir in welchen Momenten wählen.

frauenschuh in mausefalle

Voll in die Bitch-Falle getappt: Wer es ncht vulgär mag, ist bestimmt verklemmt.

(Foto: Foto: iStock/sueddeutsche.de)

Und damit sind wir mitten in dem Problem, das vielleicht gar kein Problem ist, das derzeit aber als eine Kernfrage des weiblichen Daseins dargestellt wird. Mit welcher Sprache haben wir Sex, haben wir überhaupt eine Sprache für Sex, und wenn nicht, haben wir dann überhaupt den richtigen Sex? Guten, befreiten Sex, den wahren Sex, der in uns wohnt? Den Sex, den wir nicht auszuleben wagen, weil seit "Das Leben des Brian" das weibliche Geschlechtsorgan Mumu heißt, was ungefähr ein so antörnender Ausdruck ist wie die Vorstellung von Männern mit Sockenhaltern?

Ohne Frage ist vor allem auch mit sprachlicher Hilfe die weibliche Sexualität über Jahrhunderte hinweg niedergeknüppelt, kontrolliert, unterdrückt, mit Moral- und Ehrvorstellungen belegt worden, die Frauen in der Tat unfrei werden ließen, und in weiten Teilen der Welt passiert das auch heute noch.

Aber im Deutschland des dritten Jahrtausends? Brauchen wir da sprachliche Vorbilder wie Charlotte Roche? Wir brauchen Bücher wie "Feuchtgebiete" vielleicht, wie wir alle künstlerischen Ausdrucksformen brauchen, die zum Dialog anregen und die Menschheit in irgendeiner Form bereichern.

Aber brauchen Frauen eine solche Sprache, um sexuell frei zu sein oder zu werden? Muss wirklich jemand, damit wir tradierte und einengende Hygienevorschriften hinter uns lassen - die die Frau angeblich nur zum Pläsier der sie gebrauchenden Männer zum Rasierer greifen lässt - in sehr detailreicher Sprache schildern, wie frei es macht, mit der Vagina die Brille einer dreckigen Fernfahrertoilette sauberzumachen, wie Charlotte Roche das ihre Romanfigur tun lässt?

Müssen wir uns mit aller sprachlichen Eindringlichkeit das Bild aufdrängen lassen, wie diese Figur im Aufzug des Krankenhauses einen gebrauchten Tampon auf den Haltegriff klatscht, damit sie der Sterilität mal wieder ein Schnippchen schlägt und ihre Weiblichkeit damit ohne Zwänge auslebt? Wenn, dann ist der Zustand der deutschen Frauen tatsächlich ein sehr bedauernswerter.

Verhärtung statt Lockerung

Sprache kann auch als Waffe eingesetzt werden und tief verletzen. Eine wie in Roches Buch angewendete Sprache kann selbst auf eingefleischte Roche-Fans angreifend, anekelnd, sogar beklemmend wirken. Beklemmung ist nun nicht unbedingt ein Synonym für Freiheit.

Und das ist das Problem an verbalen Befreiungsversuchen wie dem Roches und anderer Frauen, die sich neuerdings einer expliziten, man kann auch sagen, vulgären Sprache bedienen: Wer sich bereits frei fühlt, braucht das alles nicht.

Wer eine Befreiung wirklich bräuchte, dem ist durch die Suggerierung solch drastischer Bilder mit genau dieser Sprache aber nicht geholfen - im Gegenteil. Frauen, die in einem Umfeld leben, in dem der "Wert" der Frau fast ausschließlich über eine restriktive Sexualität definiert ist, werden eine derartige Sprache als extrem verletzend erfahren. Und auf keinen Fall zum Anlass nehmen, über die eigene unterdrückte Sexualität nachzudenken.

Wenn erst eine solche Sprache eine frei gelebte Sexualität beweist, werden sie diese noch mehr als "unrein, sündig, verdammend" empfinden und die ihnen aufgezwungenen Regeln sogar zu ihrer Verteidigung und zu ihrem Schutz verwenden - denn viel zu sehr sind sie in ihrer Welt gefangen. Geholfen ist damit niemandem.

Neue Regeln braucht die Frau

Und schließlich tappen sowohl die Schöpferinnen dieser neuen verbalen Befreiung als auch deren Konsumentinnen in zwei uralte Fallen: Erstens: Sie machen nichts anderes, als schon wieder neue Vorschriften zu erfinden, beziehungsweise sie sich aufdrängen zu lassen - also genau das, was seit Jahrhunderten passiert, womit sich Frauen ebenso lang herumschlagen, und was Bücher wie das von Charlotte Roche angeblich erst nötig macht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Alles, nur kein Gänseblümchen-Sex!

Wie frei macht "dirty talking"?

Nur sollen die Frauen sich diesmal schlecht beim Sex fühlen, wenn sie dabei nicht eine vulgäre Sprache einsetzen und sich zuvor geduscht haben. Denn das bedeutet: Gänseblümchen-, Hausfrauen- oder Emanzensex, verklemmt, unecht, männerdominiert.

Schon wieder lassen sich Frauen sagen, wie sie Sex haben sollen - nur sagen sie es sich diesmal auch noch selbst. Und schon wieder lassen sie es zu, dass aus der Diskussion über eine Facette der weiblichen Sexualität - diesmal die Sprache - eine Diskussion über die Weiblichkeit an sich und sogar das Erblicken eines neuen Feminismus am Horizont wird. Und wieder ist dabei der erste und leider auch einzige Zugang zur Betrachtung der Frau ihre Sexualität.

Warum hat nicht ein Buch Erfolg, in dem steht, dass Frauen Sex einfach so haben sollen, wie sie Sex haben wollen, dass sie sich ihre Achselhaare rasieren oder zu Zöpfen flechten sollen, dass sie während des Sex reden oder schweigen, mit dem Partner die Sex-Sprache entwickeln sollen, die ihnen gefällt, egal ob sie nun schlampig, prüde oder albern ist? Warum kann es der Gesellschaft nicht endlich egal sein, wie Frauen Sex haben, wann und warum? Haben Frauen keine anderen Probleme, die einer Betrachtung wert wären, aber mit Sex rein gar nichts zu tun haben?

Reden über Sex

Und hier sind wir bei der zweiten Falle, in die Frauen tappen, und die vielleicht sogar der Schlüssel zu Büchern wie dem von Charlotte Roche ist: Denn wenn vor allem eine Frau ausspricht, dass sie die endlose Debatte über den Sex der neuen oder alten oder emanzipierten oder modernen Frau satt hat, dass Männer und Frauen einfach Sex haben sollten, und zwar am besten jeden Tag anders, anstatt ihn immer wieder zu sezieren, und dass man außerdem den Sex im Deutschland des dritten Jahrtausends aus dem öffentlichen Leben auch etwas mehr heraushalten könnte, weil er nun mal etwas Privates und seit spätestens den Siebzigern mindestens einmal jährlich neu befreit worden ist - dann wird sofort auf die Sexualität der dies fordernden Person geschlossen. Verklemmt? Als Kind zu wenig genuckelt und oral geschädigt?

Das ist das große Problem beim Reden und Schreiben über Sex: Sobald es jemand tut, wird der Inhalt des Gesagten auf das Sexualleben des Redners projiziert - vor allem bei Rednerinnen. Sex, so sprachlich enttabuisiert und öffentlich durchleuchtet er sein mag, wird in einem solchen Moment auf einmal wieder als das Persönliche wahrgenommen, das er eigentlich ist. Leider ist dies in einem solchen Moment aber völlig unangemessen.

Dieses immer wiederkehrende Muster, dass demjenigen, der über Sex redet, dieser Sex automatisch zugeschrieben wird, ebnet Büchern wie dem von Roche und den Texten der neuen Hip-Hoperinnen schlussendlich erst den Weg: Um ein möglichst verruchtes, aufregendes, interessantes, freies Sexualleben zumindest vorzutäuschen, bedienen sich Frauen nun also einer schockierenden, verletzenden, vulgären und schlicht unästhetischen Sprache.

Und weil diese Sprache, so abstoßend sie sein mag, nun doch wieder als Anbiederung verwendet wird, ist dies nichts weiter als ein Reflex auf männliche Kommunikationsmuster. Und damit mit Sicherheit: weder frei noch befreiend.

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