Constantin Gillies hat zwei kleine Kinder und arbeitet Teilzeit. In seinem kürzlich erschienenen Buch "Wickelpedia - Alles, was man(n) übers Vaterwerden wissen muss" geißelt der freie Wirtschaftsjournalist die mangelnde Bereitschaft vieler Geschlechtsgenossen, als Vater ihre männliche Würde zu bewahren.
sueddeutsche.de: Männer, die in ihrer Vaterrolle aufgehen, bezeichnen Sie als "Warmduscher" oder "Weichflöten". Warum sind Sie so gemein?
Gillies: ( lacht) Ich glaube, dass manche Leute ihrem eigenen Gesinnungsterrorismus erliegen. Selbst bei Nieselregen sind sie auf dem Spielplatz, füllen das Sandförmchen 30, 40 Mal. Wenn die mir nachher sagen: "Das Schönste was es gibt, ist, Zeit mit meinem Kind zu verbringen", denke ich mir: Das glaubt Ihr doch selbst nicht! Vielleicht mangelt es mir ja auch an Phantasie, aber ich finde, hier wäre mehr Realismus angebracht.
sueddeutsche.de: Beschreiben Sie doch mal den Unterschied zwischen dem konventionellen und dem "neuen" Typ Vater.
Gillies: Der "alte" Typ Vater lernte sein Kind vor der Pubertät kaum kennen, weil er den ganzen Tag arbeitete. Früher hatte er, wenn überhaupt, eine Nebenrolle. Inzwischen will er eine Hauptrolle spielen und ein bisschen mehr mitmachen, bei allem.
sueddeutsche.de: Daran ist doch nichts auzusetzen, oder?
Gillies: Ich möchte den Leuten auch nicht sagen, wie sie zu leben haben. Aber dass Frau von der Leyen uns vorschreiben will, wann und wie lange sie beim Kind sind, das ist Schwachsinn.
sueddeutsche.de: Aber die Richtung ist nicht schlecht, oder?
Gillies: Grundsätzlich ist das ein guter Plan, doch entscheidend ist das Timing. Dass der Vater die Zeit zwangsweise im ersten Lebensjahr beim Kind sein muss, halte ich für Quatsch. Das ist genau die Zeit, in der das Kind mit dem Vater überhaupt nichts anfangen kann.
sueddeutsche.de: Reden wir doch mal davon, was die Väter eigentlich wollen.
Gillies: Ich glaube, die Väter sind geprägt von einem diffusen Gefühl. Die Zahl der Väter, die wirklich nur noch Teilzeit arbeiten wollen, ist verschwindend gering, weil sie insgeheim ahnen, dass das eine Menge Arbeit nach sich zieht. Die meisten würden gern im Büro bleiben. Arbeit im Büro ist für uns abgespeichert unter "bezahltem Urlaub". Im Vergleich zu einem Tag daheim mit meinen zwei Kindern ist es Freizeit.
sueddeutsche.de: Was ist Ihrer Meinung nach die größte Angst der Männer in Bezug auf ihre Vaterrolle?
Gillies: Dass sie aufgerieben werden zwischen der Aufgabe als Hauptverdiener und als Bezugsperson. Die Theorie von der Work-Life-Balance funktioniert einfach nicht, und selbst wenn es einem gelingt, bleibt es wahnsinnig anstrengend.
sueddeutsche.de: Haben Väter wirklich so wenig zu lachen mit ihren Kindern?
Gillies: Ganz ehrlich: Erst mit zwei Jahren fing es für mich an, lustig zu werden. Vorher war das richtig harte Arbeit, und die hat zu 95 Prozent des Tages keinen Spaß gemacht. Väter wären besser bedient, wenn sie ihre Kinder im Alter von zwei bis drei Jahren betreuen würden, da hätten alle was davon. Davor interessieren sich die Kleinen nur für Wesen mit Brüsten.
Die 2:1-Regel - Fortsetzung nächste Seite.
sueddeutsche.de: Sie sprechen von "Spaß" - die Mütter können sich den Luxus nicht leisten, zu sagen: keine Lust auf Säuglingspflege.
Gillies: Sie tun sich dafür auch wesentlich leichter. Es ist nunmal so, dass sich ein Mann an seine neue Rolle erst einmal gewöhnen muss. Ein Tag mit dem Kind ist für uns extrem schwierig, weil wir bei null anfangen. Die meisten Mütter beherrschen das von Natur aus. Ich habe das in einer sogenannten 2:1-Regel beschrieben. Wenn ein Mann einen Tag lang ein Kind betreut, zählt das wie zwei Tage bei einer Frau.
sueddeutsche.de: Moment - männliche Betreuung ist doppelt so viel wert wie weibliche, wie bei Fernsehköchen und Zeugwarten, die Hausarbeit plötzlich zu einer kreativen, wertvollen Tätigkeit erheben? Das ist jetzt aber nicht Ihr Ernst, oder?
Gillies: Aber nein, sie wird von Männern nur als doppelt so anstrengend empfunden! Ich sage das voller Hochachtung. Untersuchungen haben ergeben, dass der männliche Körper beim Einkaufen ähnlichen physischen Belastungen ausgesetzt ist wie in einem Kampfjet. Ebenso ist es bei der Betreuung. Wenn das zuvor nicht eingeübt wird, treten den Vätern gleich die Adern hervor. Auch ich war zunächst am Limit. Es mag Männer mit natürlichem Zugang geben. Ich kenne keine.
sueddeutsche.de: Dann überlassen Sie die Erziehung in den ersten Jahren also lieber der Mutter?
Gillies: Nein, ich habe von Anfang an mitgemacht, aber ich laufe abends nicht rum und sage: "Ich gehe völlig darin auf und für mich ist es das Schönste!"
sueddeutsche.de: Und was sagen Sie stattdessen?
Gillies: Das, was jede gute Mutter abends sagt: "Ich sitze heute zum ersten Mal. Ich bin fertig. Ich will nicht reden. Ich habe Kopfschmerzen!"
sueddeutsche.de: Fühlen Sie sich wohl in dieser Rolle?
Gillies: Nur bedingt. Als Mann betritt man eine Welt, die für die Zielgruppe Frau gemacht ist und auf Väter nicht eingestellt ist. Kommen Sie mal in so eine Runde, die nur aus Müttern besteht - da gibt es auf allen Seiten Vorurteile! Das wird meist nicht angesprochen, aber es existiert ein Revierverhalten. Ich denke jedoch, wenn es erst einmal mehr Väter gibt, dann ändert sich das mit der Zeit.
sueddeutsche.de: Aber Sie ermutigen die Männer in Ihrem Buch ja auch nicht gerade, um jeden Preis durchzuhalten.
Gillies: Ich ermutige dazu, es einmal auszuprobieren, aber es nicht auf ein Podest zu stellen. Wenn sie merken, dass es nicht klappt, sollten sie sich eingestehen: Das Säuglingsding ist nichts für mich, da habe ich keinen Spaß dabei. Genau das schaffen die meisten nicht.
sueddeutsche.de: In Ihrem Buch ist die Rede von "Monstern", "Brut" oder "Chucky, die Mörderpuppe". Warum haben Sie sich überhaupt Kinder angeschafft?
Gillies: Diese Frage musste ja kommen. Es gibt Tage, da sind meine beiden Kinder wirklich Monster. In meinem Buch erwähne ich auch den Grönemeyer-Hit "Kinder an die Macht" - diese Forderung ist der totale Unfug! Wenn Kinder an der Macht wären, wäre die Menschheit längst ausgestorben. Kinder sind skrupellos und ohne Moral.
sueddeutsche.de: Klingt ja furchtbar.
Gillies: Man muss es einfach nur realistisch sehen. Bei so vielen Dingen ist man kritisch, nur bei Kindern nicht. Wenn ich meine beiden Kleinen in einem bestimmten Alter alleine gelassen hätte, wären sie sich an die Gurgel gegangen. Das darf man ruhig auch mal sagen.
sueddeutsche.de: Wissen Ihre Kinder, was da über sie im Buch steht?
Gillies: Was meine Kinder später mal zu dem Buch sagen werden, steht auf einem anderen Blatt. Ich fürchte, da komme ich in Erklärungsnot. Deshalb möchte ich hiermit anmerken, dass die schönen Momente überwiegen!