Depressionen:Ein Herz und eine Seele

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Depressionen steigern das Risiko für einen Infarkt. Doch Ärzte unterschätzen die psychischen Herzensangelegenheiten.

Werner Bartens

Wenn das Herz leidet, schlägt das aufs Gemüt. Umgekehrt können Erschöpfung und Depression das Herz belasten. Im Volksglauben ist dieser Zusammenhang fest verankert, doch die Wissenschaft interessiert sich erst relativ kurze Zeit dafür.

Erschöpfung und soziale Probleme gehen dem Infarkt oft voraus (Foto: Foto: Foto: istock)

Inzwischen zeigen neue Forschungsergebnisse jedoch, wie massiv Herz und Seele aufeinander reagieren. "Depressivität und negative Gefühle erhöhen die Gefahr für einen Infarkt so stark wie Bluthochdruck", sagt Karl-Heinz Ladwig von der Klinik für Psychosomatik der Technischen Universität München.

In München und am GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg hat der Arzt untersucht, wie Menschen sich verändern, bevor sie ein Infarkt trifft. "Charakteristisch ist ein Leistungsabfall, ein Knick in der Lebenslinie", sagt Ladwig.

"Nicht die typischen EKG-Veränderungen oder Enge in der Brust fielen auf, sondern die Leute waren ausgebrannt und konnten kaum Sozialkontakte aufrecht erhalten." Erschöpfung in den sechs Monaten zuvor sei so typisch für einen drohenden Infarkt, dass Ärzte diesen Beschwerden mehr Aufmerksamkeit schenken sollten.

Kurz vor dem Infarkt verstärken sich die Symptome. Ladwig und sein Team konnten dies zeigen, indem sie Abrechnungsdaten der Krankenkassen von Tausenden Patienten auswerteten. "Ein paar Tage vor dem Infarkt gingen die Leute gehäuft zum Arzt", sagt Ladwig. "Dort wurden aber keine Herzmedikamente verordnet, sondern hauptsächlich Psychopharmaka." Seelische Nöte und Erschöpfung, nicht Herzbeschwerden standen im Vordergrund der Beschwerden.

Ehrgeizig, aggressiv, leistungsorientiert

Anfang der 80er-Jahre hat der Psychosomatiker Adrian Appels von der Universität Maastricht erstmals in einer Studie im European Heart Journal beschrieben, dass "vitale Erschöpfung" auf einen drohenden Infarkt hinweisen kann. Appels fragte sich damals: "Was haben Frauen bei ihren Männern vor einem Infarkt beobachtet, was wir Ärzte mit unseren technischen Mitteln nicht sehen konnten?" Zumeist war ein unerklärlicher Leistungsabfall der Männer vorausgegangen.

Mittlerweile ist bekannt, dass depressive Veränderungen häufiger bei Menschen auftreten, die einem Verhaltensmuster entsprechen, das früher als Typ A oder Managerpersönlichkeit bezeichnet wurde - ehrgeizig, aggressiv, leistungsorientiert. "Diese Leute essen oft schnell und lassen andere nicht ausreden", sagt Ladwig.

Sie erleben beruflich wie privat viel Reibung, der sie standhalten müssen, was irgendwann nicht mehr gelänge. Dann würden sie pessimistisch, verlören das Interesse an Dingen, die sie zuvor begeistert haben, fühlten sich leer und gefühlskalt. Psychosomatiker kennen dieses Phänomen als "emotional freezing".

Bedrückte Beamte

Diese Form von Niedergeschlagenheit entspricht keiner schweren Depression, die Erkrankte antriebsarm und arbeitsunfähig macht und nur an Suizid denken lässt. "Wir reden hier von Menschen mit chronisch negativ getönten Gefühlszuständen", sagt Peter Henningsen, Chef der Klinik für Psychosomatik an der TU München. "Sie können zumeist noch arbeiten, haben Familie und werden nicht automatisch für krank gehalten."

Eine große Studie mit britischen Beamten habe gezeigt, dass depressive Verstimmungen und ein erhöhtes Infarktrisiko besonders ausgeprägt waren, wenn sie wenig Rückhalt am Arbeitsplatz erlebten und sich ungerecht behandelt fühlten.

Auffällig ist, wie oft die großen Volksleiden Herzinfarkt und Depression gemeinsam vorkommen. 17 bis 27 Prozent der Patienten mit Koronarer Herzkrankheit leiden zusätzlich an Depressionen. "Bis zu 20 Prozent der Männer zwischen 45 und 75 Jahren erleben in dieser Altersspanne eine depressive Verstimmung, die das Infarktrisiko erhöht", sagt Ladwig. Das Risiko für einen Herzschlag sei um das 1,6-fache größer - auch für Frauen.

Für die Häufung beider Leiden gibt es mehrere Erklärungen. In verschiedenen Studien wurde beobachtet, dass bei Depressiven nicht nur die Stimmungs-, sondern auch die Gerinnungslage verändert ist: Ihre Blutplättchen verklumpen leichter, den Gefäßen droht Verstopfung. Das autonome Nervensystem, dass unwillkürlich Pulsschlag, Atmung und Verdauung steuert, ist bei Depressiven weniger anpassungsfähig, was Infarkte begünstigen kann. "Das höhere Infarkt-Risiko ist ja kein Voodoo-Phänomen, sondern schlägt sich im Körper nieder", sagt Ladwig.

Zudem sind im Blut Depressiver Entzündungsstoffe wie Interleukin 6, Interleukin 9 und Tumornekrosefaktor-alpha erhöht. Auch das C-reaktive Protein, das bei Entzündungen ansteigt, steigt bei negativen Gefühlen an. "Das ist doch wahnsinnig, dass der Körper nicht nur auf Giftstoffe oder Verletzungen mit einem Anstieg der Entzündungswerte reagiert, sondern auch auf mentale Überforderung", begeistert sich Ladwig.

Unter Depressiven gibt es mehr Raucher

Die Wahrscheinlichkeit, einen Infarkt zu erleiden, wird durch das Verhalten Depressiver weiter erhöht. Sie werden nachlässig, ernähren sich schlechter und achten nicht auf Warnsignale des Körpers. Zudem befolgen Patienten mit Depression ärztliche Ratschläge seltener und nehmen Medikamente unzuverlässiger ein. Unter Depressiven gibt es mehr Raucher. Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen und Übergewicht sind fast doppelt so häufig wie in der Normalbevölkerung.

Wer eine Kombination dieser Risikofaktoren - das Metabolische Syndrom - aufweist, hat ein Risiko von 16 bis 18 Prozent, in den kommenden zehn Jahren eine Herzerkrankung zu erleiden.

Auch wenn die Herzattacke überlebt wird, beeinflusst die Stimmung die Prognose: Wer nach einem Infarkt depressiv wird, hat ein dreifach erhöhtes Risiko, an den Komplikationen zu sterben, berichtete der New Yorker Psychiater Alexander Glassmann auf einer Tagung für Neuropsychopharmakologie in Wien, die am heutigen Mittwoch zu Ende geht.

Selbst wer bisher körperlich gesund war, erhöht die Wahrscheinlichkeit, später einen Herzschlag oder Schlaganfall zu erleiden, wenn ihn eine Depression ereilt. Die Variabilität der Herzfrequenz sagt ebenfalls viel darüber aus, wie groß die Chance ist, den Infarkt zu überleben. Schwermut dämpft die Fähigkeit des Herzens, mit ausgleichenden Veränderungen der Pulsrate auf unterschiedlichen Anforderungen zu reagieren.

Glassmann fordert, Patienten, denen ein Infarkt droht oder die ihn erlitten haben, konsequent Psychopharmaka zu geben. Das ist bisher Wunschdenken. "Wer psychisch krank ist und einen Infarkt bekommt, hat geringere Chancen, optimal versorgt zu werden - sei es mit Medikamenten, einem Bypass oder der Aufdehnung der Kranzgefäße", beklagen John Newcomer und Charles Hennekens im aktuellen Journal of the American Medical Association (Bd.298, S.1794, 2007). Die Sterblichkeit nach Infarkt ist bei psychisch Kranken um 19 Prozent höher als im Durchschnitt der Bevölkerung.

Vermeidbare Todesfälle

Auch in der Vorsorge werden Depressive vernachlässigt. Eine große US-Studie zeigte 2006, dass 88 Prozent der psychisch Kranken mit Fettstoffwechselstörung keine Cholesterinsenker bekamen. Bei 30 Prozent der Diabetiker blieb die Zuckerkrankheit unbehandelt, 62 Prozent bekamen trotz Hochdruck keine Arznei. "Wenn Kardiologen und Psychiater nicht enger zusammenarbeiten, werden vermeidbare Todesfälle durch Infarkte bei psychisch Kranken immer häufiger", befürchten Newcomer und Hennekens.

Der Appell, psychische Herzensangelegenheiten nicht zu vernachlässigen, richtet sich an Ärzte wie Angehörige. "Es gehört zu den erstaunlichsten Erkenntnissen der letzten Jahre, wie stark sich Depression und Infarkt beeinflussen", sagt Peter Henningsen. "Auch unter Kardiologen ist das zu wenig bekannt. Nur auf körperliche Faktoren wie Rauchen, Bluthochdruck und Diabetes zu achten, ist zu wenig."

© SZ vom 17.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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