Dem Geheimnis auf der Spur:Zu Hause bleiben

Beethovens 6. Symphonie an der Tagebaukante

Statue des Komponisten Ludwig van Beethoven in Bonn.

(Foto: dpa)

Wieso schaffte es Ludwig van Beethoven nicht nach London, obwohl für seine geplante Tour nach England schon alles vorbereitet war?

Von Wolfgang Schreiber

London lud stets die Musiker ein, so Beethovens Lehrer Joseph Haydn. Der erreichte noch im Risikoalter, er war über sechzig, zwei Mal von Wien aus die briti-sche Metropole, triumphierte dort mit neuen, gut honorierten Symphonien. Reiselust und Tatkraft des Lehrers imponierten dem Schüler aus Bonn. Beethoven, in Wien ansässig geworden, äußerte öfters die Lust zu reisen - nach Italien, Polen oder in die Schweiz, nach Paris oder London. Aber die Wiener hielten ihn fest, sie feierten den stürmischen Elan des jungen Klaviervirtuosen. Seine Musik hörten sie als einen Befreiungsschlag aus allen Konventionen des Feudalismus.

"Solche Musik ist die Tatkraft an sich, die Tatkraft selbst, aber nicht als Idee, son-dern in ihrer Wirklichkeit", schrieb Thomas Mann im "Doktor Faustus" über Beethovens dritte Leonoren-Ouvertüre. Im wirklichen Leben scheute Beethoven das Reisen, anders als Mozart, der die Welt eroberte. Und anders als Mozarts "Figaro"-Librettist Lorenzo da Ponte, der es bis nach New York schaffte und dort starb.

"Ohne Reisen ist man wohl ein armseliges Geschöpf!", bekannte Mozart dem Vater - aus Paris. Beethoven war nur in Wien richtig mobil, 68-mal hat er die Wohnung gewechselt, im Schnitt alle sechs Monate. Umso widersprüchlicher aber sein steter Wunsch, Wien zu entfliehen.

Der 33-jährige Beethoven kannte Fernweh durchaus. Er wollte sich sogar in Paris ansiedeln

Mehr als ein Dutzend mal verbrachte Beethoven die Sommerwochen im idyllischen Baden, am Rande des Wienerwalds. 1811 sehnte er sich ins warme Klima Italiens, der angeschlagenen Gesundheit wegen, aber Dr. Malfatti redete es ihm aus. Besser seien die Thermalquellen in den böhmischen Bädern. Also fuhr Beethoven nach Karlsbad, 1812 nach Teplitz, wo er Goethe traf. Bei aller Bewunderung für den Dichter: Goethes Liebedienerei dem Adel gegenüber missfiel dem republikanischen Freigeist. Nur ein einziges Mal besuchte Beethoven Berlin, 25-jährig, über Prag, Dresden, Leipzig. Er kannte Fernweh: Der 33-Jährige dachte ernstlich daran, nach Paris zu übersiedeln! Und Heimweh: Nicht einmal in die Geburtsstadt Bonn, an "unseren Vater Rhein", wie er mal schrieb, ist er zurückgekehrt.

Reichlich spät war es endlich so weit - 1817 auf nach London! Mehrfach schon hatte Beethoven das Verlangen, die Hauptstadt des Vereinigten Königreichs zu sehen, 1794 etwa, um Haydn auf dessen zweiter Englandtour zu begleiten. Jetzt wurde die Londonreise konkret, die Einladung kam von der Philharmonic Society, in deren Konzerten Beethovens Musik eine beherrschende Rolle spielte, mit großer Publikumsresonanz. Den Kontakt zur Gesellschaft besorgte Beethovens Schüler Ferdinand Ries, selbst Pianist und Komponist, der in London lebte.

"Mein liebster Beethoven", schrieb Ries am 9. Juli 1817: Die Philharmonische Gesellschaft "wünscht Ihnen einen Beweis der großen Achtung und Erkenntlichkeit zu geben, für die so vielen schönen Augenblicke, die wir durch Ihre außerordentliche genialischen Werke so oft genossen haben". Die Gesellschaft biete Beethoven die Summe von 300 Guinees, rund 3000 Gulden in Wien, verbunden mit Bedingungen. Er solle "nächstkommenden Winter hier in London sein" und für die Philharmonic Society "zwei große Sinfonien schreiben, die das Eigentum derselben bleiben sollen". Er dürfe keine Komposition für die Konkurrenz schreiben oder dirigieren "während unserer acht Conzerte", die von Ende Februar bis Mitte Juni stattfänden. Für Reisekosten könne er mit 100 Guinees im voraus rechnen. Sodann: William Ayrton, Chef der Italienischen Oper in King's Theatre, werde ihm den Auftrag zu einer Oper erteilen. Ries begeistert: Wir "freuen uns wie Kinder, Sie hier zu sehen".

Beethoven antwortet einen Monat später: Die Angebote seien "sehr schmeichel-haft", die Bedingungen akzeptiere er. Nur, da er gleich "an der Composition dieser großen Symphonien zu arbeiten anfange", brauche er die 150 Guineen als Vorauszahlung, "damit ich mich mit Wagen und anderen Vorrichtungen zur Reise ohne Aufschub versehen kann". Im übrigen hoffe er "auf den Beistand der Gesellschaft" für Londoner Benefizkonzerte. Und er will wissen, wie groß dort das Orchester sei, wie die Streicher-Bläser-Besetzung, wie die Akustik des Saals. Er bittet um "die Bewilligung oder Bestätigung des Obigen in englischer Sprache". Als die Antwort viel später eintrifft, hat Beethoven ein Sprachproblem: "Wissen Sie denn niemanden", so an Adlatus Zmeskall, "der uns den Brief auch nur mündlich übersetzen könnte?".

Er musste ferner hinnehmen, dass London nicht allen Wünschen entgegen kam, der Reisekostenvorschuss wurde nicht gewährt. Woran die Reise scheiterte, ist keineswegs eindeutig. An Beethovens defekter Gesundheit? Seinem "störrisch" introvertierten Charakter? Im Brief an Gräfin Marie Erdödy vom Juni 1817 ist Schlimmes zu lesen: "Zu viel bin ich die Zeit herumgeworfen worden, zu sehr mit Sorgen überhaüft, u. seit 6ten Oktober 1816 schon immer kränklich, seit 15ten Oktober überfiel mich ein starker Entzündungskatharr, wobey ich lange im Bette zubringen muste u. es mehrere Monathe währte..." Reisestimmung klingt anders.

Das Leben, niederschmetternd: "Mein Gehörs Zustand hat sich verschlimmert." Taubheit, der Wohnungswirrwarr, Alltagschaos, die Vormundschaftsqual um den unseligen Neffen Karl, die Disharmonie gegen die Welt. Fazit: Er sei "die Beute elender Menschen". Die Londonreise endet im Schweigen. Nur eines konnte ihm helfen: seine Mission, Musik zu komponieren - die 9. Symphonie, die Missa solemnis, die letzten Sonaten und Streichquartette - die er für Londons kommerzielles Musikleben nie geschrieben hätte.

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