Dem Geheimnis auf der Spur:Würzburgs Lügensteine

Würzburger Lügensteine im niederländischen Teylers Museum

Würzburger Lügensteine, ausgestellt im niederländischen Teylers Museum.

(Foto: Wikimedia Commons/Ghedoghedo/CC BY-SA 3.0)

Anfangs waren die angeblichen Fossilien eine wissenschaftliche Sensation, dann ein Skandal im 18. Jahrhundert. Doch wer war der Fälscher?

Von Florian Welle

Hier ein Insekt, dort ein Vogelfuß. Dazwischen immer wieder in die Höhe schießende Blätter und Kräuter. So weit, so gut. Doch die vermeintlichen Fossilien werden aus heutiger naturwissenschaftlicher Sicht immer bizarrer. Da hockt eine Spinne in ihrem Netz, fliegt eine Biene zu einer Blüte und paaren sich Frösche; Sonnen werfen ihre Strahlen, und Kometen ziehen ihren Schweif hinterher. Schließlich zahllose Objekte, übersät von Schriftzeichen, die an arabische, griechische erinnern. Eine Buchstabenfolge ist hebräisch und ergibt übersetzt das Wort "Jehovah".

Die geheimnisvollen Steine gehören zur Gruppe der sogenannten Würzburger Lügensteine, die ihren großen Auftritt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatten. 1725 erwarb Johann Bartholomäus Adam Beringer, seines Zeichens Medizinprofessor an der Universität Würzburg, Leiter des angesehenen Julius-Spitals, fürstbischöflicher Leibarzt und nebenher Hobby-Paläontologe, nach eigenen Angaben "etwa 2000 Figurensteine". Fundort: das unweit von Würzburg gelegene Eibelstadt. Ein gutes Jahr später erschien darüber seine Schrift "Lithographiae Wirceburgensis" mit mit 21 Bildtafeln des Kupferstechers Johann Georg Puschner. Daraus entwickelte sich der bedeutendste Fossilfälschungsskandal in der Geschichte der Paläontologie.

Dieser Skandal gibt bis heute Anlass zu vielfältigen Spekulationen, denn was damals genau geschah, ist nicht mehr eindeutig zu enträtseln. Weder ist wirklich geklärt, wer die handflächengroßen Lügensteine aus Kalkstein herstellte. Noch was das Motiv dahinter gewesen sein könnte. Zu besichtigen sind die Steine mit ihren reliefartigen Darstellungen, von denen heute noch über 500 existieren, in mehreren Sammlungen, so im Museum für Franken in Würzburg, in der Universitätsbibliothek der Stadt und im Bamberger Naturkunde-Museum.

Wer sich mit dem Skandal beschäftigt, muss all die Legenden beiseiteschieben, die bereits im 18. Jahrhundert zu kursieren begannen, im Neunzehnten ins Kraut schossen und bis in die Gegenwart das Wissen um die Corpora delicti prägen. In Christian Gottlieb Jochers "Allgemeinem Gelehrten-Lexico" von 1784 kann man über Beringer lesen: "Er war einer der ersten, welcher die Versteinerungen um Würzburg aufzusuchen anfieng; war aber dabey so leichtgläubig, daß er eine Menge Steine, in welche eine muthwillige Hand, um seinen Fleiß zu verspotten, allerley seltsame Figuren eingegraben hatte, für ächte Werke der Natur hielt, und sie in diesem Wercke abbildete, und weitläufig beschrieb. Als er den Betrug entdeckte, so suchte er die Exemplare dieses Buches zu unterdrücken, soll auch über den Verdruß gestorben seyn."

Auch die These, dass Kollegen Beringer verulkt haben, widerspricht den Tatsachen

Beringer, nach neuestem Forschungsstand 1670 in Würzburg geboren, wird hier als naiver Laie beschrieben, der hinters Licht geführt wurde. Die Wahrheit ist jedoch, dass er seine "Würzburger Lithografie" zu einem Zeitpunkt herausgab, als der Vorwurf des Betrugs schon in der Luft lag. Mehr noch: Beringer selbst geht bereits mehrmals darauf ein: "Ein paar Antagonisten, deren Namen ich aus Schonung nicht nennen will, die ich aber als Kollegen der akademischen Sozietät kenne ... "

Gänzlich unzutreffend ist auch die Vermutung, sein baldiger Tod sei aus Gram eingetreten. Beringers Ansehen nahm durch die Affäre keinerlei Schaden. Zusätzlich zur Würzburger Anstellung wurde er auch zum fürstbischöflichen Leibarzt von Bamberg gekürt und gab noch im Todesjahr 1738 die "Gründlich und richtigste Untersuchung" der Kissinger Heilquelle heraus. Weitere Legenden setzten Ende des 19. Jahrhunderts August Demmin und Karl von Zittel in die Welt, die in dem Betrug einen Studentenscherz sehen wollten.

Lange Zeit hielt man eine später ebenfalls legendenhaft ausgeschmückte Intrige seiner Kollegen Jean Ignace Roderique und Johann Georg von Eckhart für die wahrscheinlichste Erklärung. Der Mathematiker Roderique und der Universitätsbibliothekar Eckhart wollten demnach den erfolgreichen Beringer blamieren. Zu diesem Zweck beauftragten sie mehrere junge Kerle aus Eibelstadt, Fälschungen von Versteinerungen anzufertigen. Als sie diese am 31. Mai 1725 zum ersten Mal Beringer anboten, war der so begeistert, dass er fortan die Burschen dafür bezahlte, immer mehr Steine zu suchen. Im Legendenteil dieser zunächst gar nicht so abwegigen Geschichte kam Beringer erst hinter den Betrug, als man ihm einen Stein mit seinem Namen unter die Nase hielt. Er ging vor Gericht und gewann. Roderique musste die Stadt verlassen, Eckhart verlor seine Ämter. Beringer selbst vernichtete die gesamte dem Fürstbischof Christoph Franz von Hutten gewidmete Schrift.

Gegen dieses Ende sprechen allerdings die Tatsachen. Weder wurde das Buch damals verbrannt, noch musste Roderique weggehen und Eckhart seine Stellung aufgeben. Doch selbst der Kern dieser Geschichte wird durch Fakten in Frage gestellt. Vor allem dadurch, dass Roderique erst im Winter 1725/26 nach Würzburg kam. Ein Intrigant war er nicht, allerdings sah er nach seiner Ankunft die wundersamen Versteinerungen mit Skepsis und begann nun selbst, welche anzufertigen und sie Beringer zu verkaufen. Als deshalb die Gerüchte, es handele sich um Fälschungen, immer lauter wurden, kam es zu einem Ortstermin. Im April 1726 traf sich der Fürstbischof mit allen Beteiligten in Eibelstadt, wo Roderique dann seine handgefertigten Steine präsentierte. Übrigens war auch der große Baumeister Balthasar Neumann anwesend, der auch Sammler der ominösen Steine war.

Doch selbst dies hielt Beringer nicht davon ab, wenig später seine "Lithographiae" herauszubringen und dort auch den besagten Ortstermin zu erwähnen. "Warum stoppte er nicht die Herausgabe?", fragte Birgit Niebuhr, eine der fundiertesten Kennerinnen des Lügensteine-Falls, einmal und antwortete: "Beringer wusste sicher wie die Lügensteine zustande gekommen waren!"

Heißt: Beringer war in dieser Angelegenheit möglicherweise nie der Betrogene, sondern selbst der Betrüger. Wollte er sich wichtig machen? Freilich gibt es weitere Hypothesen. Manche halten die Jesuiten für die Strippenzieher, andere sehen in den Lügensteinen ein intellektuelles Spiel unter Gelehrten. Wie dem auch sei: Der Fall Beringer trug wesentlich zum Aufschwung der Geowissenschaften bei. Von da ab wurde die Entstehung von Fossilien rationaler diskutiert, und die Zeiten von Sintflut-Theorien und ähnlichem neigten sich endgültig ihrem Ende entgegen.

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