Der Fall Jack Unterweger:Worte und Taten

Der Fall Jack Unterweger: Jack Unterweger nach seiner Verhaftung in Miami und kurz vor seiner Auslieferung nach Österreich im Februar 1992.

Jack Unterweger nach seiner Verhaftung in Miami und kurz vor seiner Auslieferung nach Österreich im Februar 1992.

(Foto: Bill Cooke/AP)

Der Mörder Jack Unterweger wurde im Gefängnis als Schriftsteller berühmt. Als der Österreicher freikam, folgte eine Mordserie - die Indizien waren eindeutig.

Von Willi Winkler

Ich habe nur eine Chance, die ich mir selbst gebe, und verdammt, die will ich nutzen, mit jeder Faser", hatte er der Schriftstellerin Andrea Wolfmayr vor seiner Entlassung geschrieben. Nach 20 Jahren und acht Monaten, er hatte es genau nachgerechnet, nach einem halben Leben im Gefängnis würde er endlich freikommen. 645 Tage in der Freiheit blieben ihm, die er nutzte, um mindestens zehn Frauen bestialisch zu ermorden, den BH um den Hals geknotet.

So hatte er es zum ersten Mal sechzehn Jahre zuvor gemacht, als er Margret Schäfer umbrachte, wofür er eine lebenslängliche Haftstrafe verbüßen sollte. Johann Unterweger, genannt Jack, galt als unheilbar aggressiv, ein Sadist, nicht integrierbar, eine Gefahr für die Gesellschaft. Doch im Gefängnis wurde er ein anderer. Wie alle anderen ließ sich Jack Unterweger tätowieren, aber er wurde so fügsam, dass er bald als Streber auffiel.

Er holte den Hauptschulabschluss nach, belegte einen Fernkurs in Erzähltechnik und begann wie besessen zu schreiben: Gedichte, Dialoge, Szenen, Prosa in wilden Stammel- und Stummelsätzen, ein schier endloser Wortstrom, sein ganzes furchtbar elendes Leben. Die uneheliche Geburt, kein Vater, die Mutter gab ihn weg, der Großvater prügelte ihn, Erziehungsheim, Lehre, Lehre abgebrochen, Diebstahl, Gelegenheitsarbeiten, Körperverletzung, Gefängnis, wieder gestohlen, geschlagen, eingebrochen, wieder Gefängnis, wieder geklaut und dann die Frau umgebracht. Eintausendzweihundert Seiten hatte diese Unglücksgeschichte zunächst, die gekürzt in der berühmten Literaturzeitschrift Manuskripte vorabgedruckt wurde, neben Texten von Oskar Pastior und Hubert Fichte.

Unterweger schrieb nicht nur, er entfaltete eine unerhörte Literaturbetriebsamkeit. Gründete eine eigene Zeitschrift, nannte sie Wort-Brücke, bat Autoren drinnen und draußen um Beiträge. Er ließ sich einen Stempel machen, der ihn als "Schriftsteller" auswies, die Anschrift neutral 3500 Krems, Steiner Landstraße 4. Das war die Adresse des Gefängnisses, in dem er fünfzehn Jahre zubrachte, ehe ihn die Liberalisierung des Strafvollzugs, seine Texte und nicht zuletzt seine Schläue vorzeitig befreiten.

Seiner Brieffreundin Andrea Wolfmayr lieferte er ein Kurzpsychogramm: Er sei "das Ekel in Person, Tiger im chinesischen Bereich, Öl ins Feuer der Frauen, aber eben auch so gefährlich", doch genau das machte ihn so attraktiv. Die Titel seiner Bücher waren eindeutig: "Kerker", "Tobendes Ich", "Fegefeuer oder die Reise ins Zuchthaus". Das Grazer Forum Stadtpark veranstaltete 1985 um den schreibenden Mörder herum das Symposium "Die geknebelte Gesellschaft", für die er exemplarisch litt.

"Einen so gut auf die Freiheit vorbereiteten Mörder finden wir nie mehr wieder"

Die Kultur wallfahrtete zu diesem gefährlichen Wundertier, es gab Interviews aus dem Gefängnis, Petitionen wurden formuliert, schließlich waren es siebenhundert Kulturschaffende von Ernst Jandl bis Günter Grass, die seine Freilassung forderten. Jack Unterweger, der steirische Bankert, der angelernte Lude, der Gelegenheitsdieb und Raubmörder, war ein leuchtendes Beispiel für eine mustergültige Resozialisierung geworden. "Einen so gut auf die Freiheit vorbereiteten Mörder finden wir nie mehr wieder", soll der Gefängnisdirektor gesagt haben.

Der Tiger, leibhaftig ein schmächtiges Kerlchen, kam am 23. Mai 1990 frei und hatte einen Stundenplan wie ein Rockstar. Lesung in Klagenfurt, dann sofort nach Wien, Live-Auftritt im Club 2 ("Flugzeug auf ORF Kosten", schreibt er stolz), Termine beim Fotografen, beim Herrenschneider. Die Frauen stürzen sich auf den "Häfendichter", den Knastpoeten. Die Verführung mit Literatur wirkte weiter. Jetzt ging es ans Verwalten des im Gefängnis erworbenen Ruhms.

Doch der Film über sein Leben war bereits zwei Jahre zuvor im Kino gelaufen, er hatte alles erzählt und konnte sich nur wiederholen. Was er jetzt schrieb, wirkte blass, Morden ging doch leichter als Schreiben. Die Bewunderung der Frauen - in weniger als zwei Jahren hat er angeblich mit 150 geschlafen, wie er notierte - war ihm nicht genug, er musste sie unterwerfen. Dass er mindestens neun Prostituierte ermordete, überging er.

In Graz fuhr er nach einer Lesung mit seinem Ford Mustang mit dem Kennzeichen W - Jack 1 am Straßenstrich vor und holte sich eine Frau. "Wichtig ist die Ichperson, die Selbstbestätigung", hatte er als autodidaktischer Psychologe erkannt. Als sich die Indizien dafür häuften, dass er der Serienmörder war, interviewte er als milieukundiger Experte den leitenden Polizeibeamten für den Rundfunk. Er hoffte auf eine Empfehlung der österreichischen Kollegen, und konnte tatsächlich bei Recherchen im kalifornischen Rotlichtmilieu die Polizei in Los Angeles begleiten. Dort brachte er drei Frauen um. Er wiederholte sich, er wiederholte auch seine Morde; die Opfer wurde auf die gleiche Weise erdrosselt. Nach einem Fluchtversuch wurde Unterweger festgenommen und vor Gericht gestellt.

In der Kultur war der Autor Jack Unterweger eine einzige Peinlichkeit geworden. Einer seiner Förderer, der Journalist Günther Nenning, zeigte Reue: "Aus dem Nichts transportierten wir ihn eilig zum Ruhm. Die Promi-Literaten sind oft verblüffend schwächliche Figuren - der begabte Killer-Literat erscheint ihnen stark, verführerisch und ansteckend."

Unterweger wollte nicht schuldig sein, ein dünner DNS-Beweis reichte aber zur Verurteilung. Sechseinhalb Stunden nachdem ihn das Grazer Geschworenengericht wegen neunfachen Mordes mit lebenslanger Haft bestraft hatte, am frühen Morgen des 29. Juni 1994, nahm Jack Unterweger die Senkel seiner Turnschuhe und den Zug seiner Hose und erhängte sich damit in seiner Zelle. Die Erleichterung war allgemein.

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