Dem Geheimnis auf der Spur:Künstliche Diamanten

Hermann Meincke

Hermann Meincke behauptete 1950, Diamanten züchten zu können.

(Foto: SZ Photo)

Wie ein falscher Doktor mit erfundenen Edelsteinen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und seine Investoren reinlegte. Dies ist die Geschichte von Hermann Meincke.

Von Josef Schnelle

Berühmte Diamanten werden - wenn sie nicht der Koh-i-Noor, der Berg des Lichts sind - oft nach Herrschern und Potentaten benannt, nach dem indischen Großmogul, nach Erzherzog Joseph oder nach dem russischen Grafen Orloff. In diese Aufzählung wollte sich Anfang der Fünfzigerjahre offenbar auch der damalige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard einreihen mit einem "Ludwig Erhard Diamanten".

Es ist bis heute ungeklärt, ob diese Benennung vorher vertraglich festgelegt worden war oder ob sie einer Laune des Erfinders und Tüftlers Hermann Meincke entsprang, dem das Wirtschaftsministerium großzügig unter die Arme gegriffen hatte, als er seinen Plan vortrug, in Bad Godesberg als weltweit Erster künstliche Diamanten herstellen zu wollen. Unter den Fittichen des Wirtschaftsministeriums und sogar auf dessen Gelände hatte sich Meincke ein kleines Luftschloss in einem fensterlosen ehemaligen Gasmasken-Prüfbau der Gallwitz-Kaserne errichtet. Da widmete er sich der "Züchtung" künstlicher Diamanten und wohnte zeitweise auch dort. 1950 hatte Dr. Meincke, wie er sich nannte, zusammen mit dem Geschäftsmann Ernst Werner die Hamak gegründet, die Hartmaterial Kommanditgesellschaft. Die Firma hatte 800 000 DM Einlagekapital, das von einer Gruppe reicher Rheinbarone aufgebracht worden war. Von Wirtschaftsminister Erhard kam ein hilfreicher Persilschein für Investoren: "Auf Wunsch bestätige ich Ihnen, dass ich wegen der Bedeutung Ihrer Produktion für die Devisenlage Westdeutschlands das größte Interesse daran habe."

Direkte staatliche Gelder steckten nicht im Projekt. Doch im Wirtschaftsministerium war man sehr angetan von Meinckes Experimenten. Versprachen sie doch, aller Welt, auch der amerikanischen Besatzungsmacht, ein Schnippchen zu schlagen. Meincke hatte versichert, in den Wirren des Zweiten Weltkrieges im Heereswaffenamt künstliche Diamanten gezüchtet zu haben. So arbeitete er Tag für Tag in seinem Labor, bis er angeblich am 1. September 1951 fündig wurde. Ein fröhliches "Heureka" soll er mitten in die Geburtstagsfeier seines Kompagnons Ernst Werner geschmettert haben. Der "Ludwig Erhard Diamant" war geboren. So ganz sicher war man sich allerdings nicht, ob man tatsächlich zum Wirtschaftswunder das Finanzwunder entdeckt hatte. Man ließ Experten der Firma Zeiss-Opton den Diamanten prüfen. Sie befanden ihn für echt, was er ja auch war. Hermann Meincke stellte man unter Polizeischutz. Einer seiner Schutzengel begründete das so: "Damit uns der Doktor nicht geklaut wird." In Wahrheit hatte Hermann Meincke gar keinen Doktortitel.

Als ungelernter Arbeiter in Klempnereien und Schlossereien war er dank unermüdlichem Selbststudium technischer Zeichner in einer Berliner Maschinenfabrik geworden. Nicht der falsche Diamant, sondern der falsche Doktor sollte ihm zum Verhängnis werden. Meincke war nämlich nirgendwo im Promotionsregister verzeichnet. Noch einmal redete er sich heraus. In den Kriegswirren sei eben alles verloren gegangen. Er schaffte es, sich bei der TH Berlin-Charlottenburg eidesstattliche Erklärungen von drei Professoren zu besorgen, die seine "Promotion" bestätigten. Er erhielt sogar eine Zweitschrift seiner Promotionsurkunde, die doch nie existiert hatte!

Erst im August 1952 verstärkte sich durch undichte Stellen in Meinckes Firma der Verdacht, dass nicht alles mit rechten Dingen zuging. Das Wirtschaftsministerium suchte die Folgen des Skandals zu minimieren und zeigte ihn an. Beim Prozess vor dem Bonner Landgericht 1953 gab Meincke zu, Diamantensplitter in den Abbrand bei seinen Experimenten zur Erzeugung künstlicher Diamanten geschmuggelt zu haben. Das habe er jedoch nur deshalb getan, weil die Geldgeber und das Wirtschaftsministerium ihn so sehr unter Zeitdruck gesetzt hätten. Er habe einfach noch ein wenig länger gebraucht für die synthetische Diamantenproduktion, sei aber kurz vor dem Durchbruch gewesen. Er wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, und seine Spur verliert sich danach.

War er ein Scharlatan oder einfach ein Erfinder, der ein wenig zu früh dran war? Beim Prozess wurde er vor allem für das Führen falscher Titel und wegen Meineides verurteilt. Der Kommandantist Hannibal von Lüttichau rief vor Gericht aus: "150 000 Mark hat unsere Familie der Spaß gekostet. Na, Schwamm drüber. Man muss Verluste mannhaft tragen." Die SPD-Opposition im Deutschen Bundestag hatte mit dem "falschen Erhard" endlich einen handfesten Skandal gefunden und originelle Wahlkampfmunition. Bei einer Kleinen Anfrage - Bundesdrucksache Nr. 3995 vom Januar 1953 - musste Ludwig Erhard Stellung nehmen zur Förderung der Herstellung von künstlichen Diamanten mit Unterstützung des Wirtschaftsministeriums. "Ich habe den Herstellungsraum nur ein einziges Mal betreten, ohne dass dabei Versuche vorgeführt wurden", ließ Erhard versichern und kassierte zum Spott auch noch den politischen Schaden. Das DDR-Fernsehen rollte den Fall 1963 in der Krimireihe "Bonner Pitaval" genüsslich auf als Beleg für die Verderbtheit des westlichen Systems.

Auch wenn Hermann Meincke offenbar betrügerisch gehandelt hatte, so war er doch dem wissenschaftlichen Zeitgeist auf der Spur. Wenig später, 1955, entwickelte General Electric tatsächlich "Man Made Diamonds", millimetergroße Industriediamanten, die in Bohrkernen verwandt werden konnten. "Wieder ein Menschheitstraum erfüllt", titelte Die Zeit am 17. März 1955. Von Hermann Meincke war da nicht mehr die Rede.

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