Dem Geheimnis auf der Spur:Der Super-Collie

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Lassie ganz lässig: Millionen Zuschauer liebten den Hund, weil er die Menschen liebte.

(Foto: imago)

Vor 80 Jahren erfand der amerikanische Schriftsteller Eric Knight eine liebenswerte Figur namens Lassie. Später machte der Vorzeige-Hund auch im Film ganz groß Karriere, jedes Kind kannte ihn. Aber wie einzigartig war Lassie wirklich?

Von Titus Arnu

Als Herrchen eines lernbehinderten Labradors kann man leicht neidisch werden auf eine Intelligenzbestie wie Lassie. Während der eigene Hund auch nach Jahren mühsamer Erziehungsarbeit nicht einsehen will, warum er bei Fuß gehen soll und kein Schnitzel aus der Pfanne klauen darf, vollführt Lassie ein brillantes Kunststück nach dem anderen. "Sitz", "Platz" und "Aus" ist was für Anfänger! Dieser Super-Collie leistet wirklich Großes. Lassie rettet ertrinkende Kinder aus Flüssen, befreit Füchse aus Fallen, schlägt Räuber in die Flucht, füttert verhungernde Rehkitze mit Brot, trägt vergesslichen Kindern die Brotzeit in die Schule nach. Dass der Hund morgens die Zeitung holt, die Kinder sanft weckt und Türen leise auf und zu macht, versteht sich von selbst.

Wer jemals versucht hat, einem Hund mehr beizubringen als "Sitz" und "Platz", fragt sich, wie lange man für solche Tricks wohl üben muss. Wie trainiert man ihm zum Beispiel an, alleine beim Bäcker Semmeln zu holen? Aus Sicht eines Durchschnittsherrchens mit Durchschnittshund, der in der Hundeschule wegen Begriffsstutzigkeit und Renitenz als versetzungsgefährdet galt, wirkt Lassie fast überperfekt. Wenn es um das Gute geht (oder um das, was die spießigen Drehbuchautoren für moralisch wertvoll halten), rennt Lassie stundenlang durch den Regen, springt über zwei Meter hohe Zäune und buddelt sich unter Gittern durch.

Die Sozialkompetenz des Collies ist das Erfolgsgeheimnis der Fernsehserie "Lassie" - aber sie ist dem Zuschauer auch ein Rätsel. Wie schafft ein Hund das alles? Die Frage müsste eher lauten: Wie schafft ein Hund das alles? Denn Lassie wurde in den Kinofilmen und der Original-TV-Serie, die von 1954 bis 1973 produziert wurde, von mindestens neun Hunden dargestellt. Lassie ist in mehrfacher Hinsicht kein Einzelfall. In den meisten Tierfilmen werden die Hauptrollen doppelt bis neunfach besetzt, weil tierische Schauspieler eben doch nicht alles können - es gibt Stunt-Tiere, besonders schöne Tiere für Nahaufnahmen und besonders schlaue Tiere für Trickszenen. Für die erste Staffel der Serie "Flipper" (1964) wurden gleich fünf Delfine trainiert. Bei Affen ist es ähnlich, Show-Schimpansen können nur bis zum Beginn der Pubertät beim Film arbeiten, danach werden sie zu stark und aggressiv.

Die Sozialkompetenz des Collies ist das Erfolgsgeheimnis der Fernsehserie "Lassie"

Die Figur Lassie wurde 1938 geboren, als der britisch-amerikanische Schriftsteller Eric Knight die Kurzgeschichte "Lassie Come Home" schrieb. Die Story, erstmals veröffentlich in der Saturday Evening Post, erzählt von einem Jungen aus Yorkshire und seiner schönen, treuen Collie-Hündin. Lassie ist ein Traumhund, aber die arme Arbeiterfamilie muss das Tier aus wirtschaftlicher Not heraus an einen Herzog verkaufen. Als das neue Nobel-Herrchen den Hund auf seinen Hunderte Kilometer entfernten Landsitz in Schottland bringt, flieht Lassie und kehrt auf abenteuerlichen Wegen an Weihnachten zu dem Jungen zurück.

Für den ersten Kinofilm im Jahr 1943, "Lassie come home" mit der zehnjährigen Elizabeth Taylor, wurde ursprünglich eine Collie-Hündin gecastet. Doch bei den stressigen Dreharbeiten im heißen Sommer fing sie so stark an zu haaren, dass sie ihren Job verlor. An ihrer Stelle kam ein Rüde namens Pal zum Einsatz. Er machte seine Sache so gut, dass er in sieben Filmen und zwei Pilotfilmen fürs Fernsehen ganz lässig die Lassie gab. Pal wurde 18 Jahre alt, und als er 1954 in den wohlverdienten Ruhestand trottete, übernahm sein Sohn Lassie Junior den Job. 1959 erkrankte Lassie Junior an Krebs, und dessen Sohn Spook erbte die Rolle. Spook empfand das Fernsehstudio jedoch irgendwie als spooky, er fühlte sich nie wohl im Scheinwerferlicht, deshalb wurde er durch seinen Bruder Baby ersetzt. Dieser spielte sechs Jahre lang die Lassie, dann starb er im Alter von acht. Alle anderen Lassies wurden mindestens 17 Jahre alt.

Auch die Lassie-Darsteller Mire (1966 bis 1971) und Hey Hey (1971 bis 1973) stammten vom Ur-Lassie Pal ab und waren Rüden. Neben den Filmdarstellern, die von ihren Herrchen und Tiertrainern auf Streber getrimmt wurden, standen schöne Dummies für Werbe- und Showauftritte bereit. Für Hundeausstellungen gibt es in den USA jeweils ein Tier, das als "offizielle Lassie" gilt. Die neun Film-Lassies lösten zudem eine Vervielfachung der Collies im echten Leben aus. Schon der erste Lassie-Film von 1943 ließ die Zahl der Collie-Käufe nach oben schnellen: In den folgenden zwei Jahren stieg die Zahl der Collie-Registrierungen in den USA um 40 Prozent; ein Großteil der Viecher hieß Lassie, egal ob Männchen oder Weibchen.

Als im Jahr 2005 für eine Neuverfilmung durch den Regisseur Charles Sturrigde wieder ein Lassie-Darsteller gesucht wurde, gewann der Rüde "Mason's Regal Shadow" das Casting. Lassie-Fans waren empört, da das Tier zwar prächtig aussieht, aber nicht verwandt ist mit der Lassie-Dynastie, die von Pal begründet wurde. Und er sei auch nur in 85 Prozent der Filmszenen zu sehen, bemängelten sie. Für die Stuntaufnahmen wie den Sprung über den Zwingerzaun und die Schwimmszenen wurde ein Double namens Dakota eingesetzt. Damit steht fest, dass Lassie eine multiple Transgender-Hundepersönlichkeit ist. Und was für eine erfolgreiche: Dem Collie wurde als einem von drei Hunden neben Rin Tin Tin, dem Schäferhund, der in den Zwanzigerjahren in mehreren Filmen zum Star wurde, und seinem Kollegen Strongheart ein Stern auf dem Hollywood Walk of Fame gewidmet. In der Mitte des Sterns prangt eine Goldene Kamera. Eigentlich müssten es neun sein. Mindestens.

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