Debatte um iPhone-Sprachprogramm:Siri kennt keine Abtreibungskliniken

Siri ist hilfsbereit, weise und immer höflich. Doch der Verdacht, Apples Sprachassistent könnte auch politische Ansichten vertreten, hat eine Debatte ausgelöst: Bei der Suche nach einer Abtreibungsklinik kann Siri partout nicht helfen.

Lena Jakat

Zehntausende Menschen weltweit haben seit Oktober eine neue Freundin - oder (in Großbritannien und Frankreich) einen neuen Freund. Siri ist hilfsbereit, immer höflich, witzig und hat sogar einen Sinn für Ironie. Dass Siri, der Sprachassistent auf dem iPhone4s, möglicherweise auch politische Ansichten hat, sorgt nun für Ärger. Wird sie nach einer Abtreibungsklinik gefragt, führt Siri den Fragenden überall hin - außer an den gewünschten Ort.

Phil Schiller

Apples Spracherkennungsdienst Siri begeistert viele Kunden - doch ein Fehler sorgt nun für Ärger.

(Foto: AP)

Das Problem ist ein genuin US-amerikanisches. Dort wird nicht nur die Debatte zwischen Abtreibungsgegnern (Pro Life) und -befürwortern (Pro Choice) wesentlich hitziger geführt als in Europa, Siri kann den Branchen- und Kartendienst bisher auch nur dort bedienen. Wie der Newsblog Raw Story berichtet, sucht Siri in Washington statt einer Abtreibungsklinik die Anschriften von Krisenzentren für Schwangere heraus - Einrichtungen, die der Pro-Life-Bewegung nahestehen. In New York antwortet Siri auf die heikle Frage gar: "Es tut mir Leid, ich konnte keine Abtreibungsklinik finden." Und dass, obwohl eine kurze Google-Anfrage in Sekundenschnelle entsprechende Treffer liefert.

Der Aufruhr im Netz ist groß, zumal Siri bei anderen pikanten Anliegen äußerst souverän reagiert: Fragt der Telephonbesitzer nach Sex, wird er zu Escort-Diensten in der Nähe dirigiert, Siri hilft bei der Suche nach einem spontanen Joint, dem idealen Ort, um Leichen zu entsorgen und dem Weg zu Gott. Eine Sammlung von Siris Sprüchen offenbart zwar so manchen Fehler, aber auch den Witz und die Schlagfertigkeit von Apples neuester Spielerei. Siri spendet Trost und Weisheit - ja, sie kennt sogar den Sinn des Lebens. Das Programm und die gleichnamige Firma, die es entwickelte, wurden erst 2010 von Apple gekauft.

Einer von Siris Vätern, Norman Winarsky, schaltete sich prompt in die Abtreibungsdebatte ein, und seine Äußerung war nicht gerade geeignet, die Skeptiker zu beruhigen: Er wisse nicht, welche Änderungen Apple an dem Programm vorgenommen habe, sagte Winarsky der New York Times zufolge. Es sei unklar, ob Siris Unzulänglichkeit auf bestimmte Fragen zu antworten, eine bewusste Entscheidung des Konzerns sei.

Andere sahen in dieser Panne jedoch eine neue Stufe der Machtausübung des Hightech-Riesen: "Das passiert nun mal, wenn man einen Konzern protegiert, der für geschlossene Systeme und Zensur steht", kommentiert etwa jamos2600 unter einem der ersten Berichte über Siris angebliches Anti-Abtreibungs-Problem. "Alles Kontroverse wird auf versöhnliche Art und Weise weichgespült." Leftocracy fragt sich, ob "jemand bei Apple so irgendwie seine persönlichen Antworten auf das iPhone gebracht hat".

Doch die Debatte beschränkt sich nicht auf digitale Kommentarspalten. Die Vorsitzende der Pro-Abtreibungs-Organisation NARAL wandte sich in einem offenen Brief direkt an Apple-Chef Tim Cook: Es sei enttäuschend, wie das Programm bei solchen intimen Fragen "das Ziel verfehle", schreibt Nancy Keenan. "Obwohl Siri nicht die wichtigste Informationsquelle für Frauen ist: Sie stimmen mir hoffentlich zu, dass es wichtig ist, dass Frauen, die dieses Programm benutzen, nicht über ihre Optionen bei einer Schwangerschaft getäuscht werden."

Inzwischen hat sich in der Frage um Siris Haltung in Sachen Schwangerschaftsabbruch Apple zu Wort gemeldet; der Konzern bemüht sich um Schadensbegrenzung: Es handle sich hierbei nicht um absichtliche Verweigerung der Antwort, sagte eine Apple-Sprecherin der New York Times. "Das sind keine bewussten Lücken, die jemanden verletzen sollen." Siri befinde sich eben noch in der Beta-Phase und sei kein ausgereiftes Produkt.

Im kommenden Jahr soll Siri auch in Deutschland den Weg zur nächsten Pizzeria, Schwimmhalle - oder Schwangerschaftsberatungsstelle - weisen können.

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