Dating-App Bumble:Im Ernst jetzt, feministisch tindern also?

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Wer macht beim Date den ersten Schritt? (Foto: imago/Westend61)

In der Dating-App Bumble verschickt die Frau die erste Nachricht - und der Mann muss warten. Ist das ein Flirtprogramm für die Gleichberechtigung? Oder bestätigt das nicht erst recht alte Vorurteile?

Von Friederike Zoe Grasshoff

Ist das hier 2017? Wenn man die junge Frau so reden hört, wenn man die vielen Interviews mit ihr liest, ist man sich nicht mehr so sicher. "Männer müssen zuerst anrufen, Männer haben die Kontrolle." Oder, noch progressiver: "Männer gehen auf die Jagd und sind darauf trainiert, Frauen nachzustellen. Die sind wiederum dazu angehalten, sich rar zu machen, schwer rumzukriegen zu sein."

Nun ist die Frau, um die es hier geht, keine Gleichstellungsbeauftragte, sie ist eine Unternehmerin aus den USA; Whitney Wolfe, 27, war vor kurzem in Deutschland unterwegs, um etwas zu verkaufen, das man eigentlich nicht kaufen kann: Liebe, oder zumindest mal eine App.

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Liebe oder Sex oder ein Abendessen versprechen sie ja heute alle, die Dating-Apps und Tinder-Nachahmer, in denen die Guten nach rechts, die Blöden nach links gewischt werden. Was Wolfe nun verspricht, funktioniert zwar genauso, soll aber besser und braver, ja: ein Flirtprogramm für die Gleichberechtigung der Geschlechter sein. Im Ernst jetzt, feministisch tindern also? Was zunächst so absurd klingt, als fange Dieter Bohlen bei der Emma an, heißt Bumble, wurde 2014 gegründet und hat mittlerweile 12,5 Millionen Nutzer, die sich vor allem durch die USA wischen, aber auch in Deutschland ist die App allmählich ein Begriff.

Zwar wurde Bumble als anständigere Tinder-Variante für jene Frauen konzipiert, die es nicht so begrüßen, wenn sie Penis-Fotos zugeschickt bekommen. Das angeblich Revolutionäre an Bumble ist aber nicht, dass Nacktbilder und Bilder in Unterwäsche hier nicht geduldet sind, sondern dass die Frau den ersten Schritt machen soll; nach einem Match, dieser neumodernen Bestätigung, dass man sich attraktiv findet, ist sie diejenige, die die erste Nachricht verschicken muss. Und der Mann, er muss warten.

Gründerin Wolfe war mal bei Tinder

Bumble wurde 2014 gegründet und hat mittlerweile 12,5 Millionen Nutzer. (Foto: mauritius images)

Netter Marktlückenfüller, vielleicht auch ein Schutz für die Frau, eine Entlastung für beide. Denn die Frage, wer denn nun wen fragt, stellt sich gar nicht erst. Wenn aber die angeblich so fest verteilten Rollen erst technisch getauscht werden müssen, sagt das erst einmal viel über gängige Frauenbilder aus - über das der 12,5 Millionen Menschen, die da mitmachen. Und über das der Gründerin. Die, und das gehört auch zur Geschichte, mal bei Tinder gearbeitet hat.

Nach einer Beziehung zu Kollege Justin Mateen, der sie schließlich beleidigt haben soll, klagte Wolfe gegen das Unternehmen wegen sexueller Belästigung. Man einigte sich außergerichtlich auf eine Summe von einer Million Dollar. Wolfe verließ Tinder und gründete Bumble. Und nun, Jahre später, da erklärt sie alte Rollenvorstellungen zum Gründungsmythos ihrer Annäherungs-App - und gibt als Ziel aus, das Leben von Frauen verbessern zu wollen. Jetzt, da soll die Frau auch mal mächtig sein, endlich.

Aber war sie das nicht schon? Wenn so sehr betont wird, dass die Frau qua Frausein beim Flirten den wartenden Part einnimmt, wenn der Mann - wie Wolfe sagt - derjenige ist, der zuerst anruft, bestätigt dies nicht ex negativo alte Vorurteile? Subtext: Die Frau war bis dato aber ein echt bedürftiges Wesen, so frauenseelenallein in ihrer Einsamkeit, aus der nur er sie retten kann, der Ritter, der Jäger, der Mann ex machina. War das also nur ein großes Missverständnis, dass auch Menschen mit Vagina das längst dürfen: losziehen, jemanden ansprechen, jagen, leicht rumzukriegen sein?

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Ja, und leider auch nein. Fragt man im Freundeskreis, wie das so ist, mit dem ersten Schritt, sagen alle: Klar soll sie das machen, macht sie ja auch. Und doch sind auch heute noch - nach Jahrzehnten der Frauenbewegung, im Zeitalter der Gleichberechtigung - in den USA wie auch in Deutschland noch genügend Geschlechterklischees und sexuelle Schablonen im Umlauf. Da hat Wolfe schon recht.

Nehmen wir nur mal den indirekten Imperativ der allermeisten Frauenzeitschriften: Über 30? Dann sicher dir mal besser einen Typ. So und so kriegst du einen ab, so bleibt er dir treu, so machst du ihn glücklich, und, besonders relevant für alle finanziell unabhängigen Frauen: So macht er dir einen Antrag. Apropos Antrag. Klickt man sich mal durch all die Anträge auf Youtube, sieht man immer wieder die gleiche Szene: Er geht auf die Knie, und sie sagt: Jaaaaa!

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Eine Frau, die selbst fragt? Hat keine Lobby, keine Vorbilder, keine Tradition. Und fragt man die nicht-repräsentativen Menschen aus dem Freundeskreis (darunter Männer, die in Elternzeit gehen und Frauen mit 60-Stunden-Woche), wer nun den Antrag machen soll, sagen vier von fünf: Na, er! Und dann, es klingt wie eine Entschuldigung: Da bin ich konservativ. Aber eine sagt auch: Na, ich! Und hat ihn dann auch gefragt. Ich Jane, du Tarzan? Oder ich Tarzan, du Jane?

Wie immer, wenn es um Lust und Anziehung geht, ist die Sache nicht ganz unkompliziert: Wie viel ist Biologie, wie viel Sozialisation? Anruf bei Lisa Fischbach, Paarberaterin sowie Psychologin bei der Partnervermittlung Elite Partner. Und, ist ein Flirt wirklich so eine traditionelle Angelegenheit? "Vor 50, 60 Jahren habe sich die Etikette noch qua Geschlecht ergeben, in den vergangenen zehn Jahren hat sich da aber viel getan, vor allem das Online-Dating trägt zur Gleichberechtigung bei", sagt sie. Und doch hielten selbst aufgeschlossene Frauen mit modernem Selbstbild daran fest, dass der Mann den ersten Schritt tun müsse. "Was Hunderte Jahre lang erlernt wurde, verschwindet ja auch nicht von heute auf morgen."

Das Bild von der gejagten Frau, die auf Tinder mit "Bock-auf-Spaß"-Sprüchen geplagt wird, will sie aber nicht ganz bestätigen. "Natürlich werden Frauen da zugespamt. Aber viele von ihnen jagen ja auch selbst." Sie zitiert aus der "Elite-Partner-Studie 2017", befragt wurden 6500 Internetnutzer - die das Klischee bestätigen; 60 Prozent der Männer gaben an, beim Online-Dating den ersten Schritt zu machen. Bei den Frauen sagten dies 35 Prozent. Also auch 35 Prozent, die das Klischee nicht bestätigen.

"Flirten ist nach wie vor eine archaische Angelegenheit"

Zu einer anderen Einschätzung kommt Sexual- und Paarberater Jakob Pastötter, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung, er sagt: "Flirten ist nach wie vor eine archaische Angelegenheit." Das dahinter liegende Prinzip (sie sendet das Signal, er reagiert darauf) habe sich nicht geändert, "aber die Beziehungen, die haben sich verändert". Evolutionsbiologisch sei es die Aufgabe des Mannes, die Frau zu erobern. "Viele Männer haben das jedoch verlernt."

Ja, es ist schon ein großes Nebeneinander. Männer, die nicht mehr wissen, ob es okay ist, ihr in den Mantel zu helfen, oder ob das nun zu viel des Gentlementums ist. Frauen, die dann lieber doch nicht zuerst anrufen, um seine Ritter-Reminiszenzen nicht zu untergraben. Frauen und Männer, die eine App wie Bumble brauchen, um sich einander zu nähern. Frauen, die keine Lust haben, sich rar zu machen. Männer, die das mal ganz gerne tun.

Und dann wären da auch noch die vielen, vielen Menschen, die einfach machen, egal ob Mann oder Frau. Die jemanden sehen, hingehen, flirten, sich ausliefern, sei es mit Algorithmus oder aus Instinkt. Ganz einfach, weil es nicht anders geht, weil man manch einen Menschen sonst verpasst. Und weil man es kann. Man.

© SZ vom 25.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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