Datenerhebung zum Übergewicht:Zank um deutsche Bäuche

Das Berliner Robert-Koch-Institut zweifelt an der Aussagekraft eines veröffentlichten Ländervergleichs, wonach die Deutschen die dicksten Europäer sind. Dabei hat es diese Zahlen selbst veröffentlicht.

Martin Kotynek

Das Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) zweifelt an der Aussagekraft eines kürzlich veröffentlichten Ländervergleichs, wonach die Deutschen die dicksten Europäer sind.

Die Daten, die in der Untersuchung aus Deutschland stammen, seien "nicht aussagekräftig", bemängelt Gert Mensink vom RKI. Merkwürdig an dieser Kritik ist allerdings, dass das Robert-Koch-Institut selbst genau diese Daten, die aus dem Bertelsmann-Gesundheitsmonitor 2003 stammen, im eigenen Gesundheitsbericht des Jahres 2006 veröffentlicht hat.

Sie wurden vom Münchner Infratest-Institut für Gesundheitsforschung erhoben und von der Universität Bremen ausgewertet.

Junge Erwachsene fehlen

"Wenn die Bertelsmann-Ergebnisse nicht aussagekräftig sein sollen, warum publiziert das Robert-Koch-Institut sie dann?", fragt Uwe Helmert, Epidemiologe der Universität Bremen, der die Daten aus dem Gesundheitsmonitor analysiert hat.

"Im Nachhinein gesehen war es wohl ungeschickt, die Daten in unserem Gesundheitsbericht zu veröffentlichen, ohne sie ausreichend einzuordnen und zu kommentieren", sagt der RKI-Epidemiologe Mensink.

Einer seiner Kritikpunkte ist, dass in Deutschland nur Personen über 24 Jahren berücksichtigt wurden. Viele der Übergewichtsstudien aus anderen Ländern, die mit den Daten aus Deutschland verglichen wurden, beziehen dagegen auch junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren ein.

Da diese Altersgruppe weniger häufig übergewichtig sei als ältere Menschen, werde das Übergewicht in Deutschland tendenziell überschätzt, wenn man sie einfach ausklammert, sagt Gert Mensink.

Ungleiche Datenbasis

Neville Rigby, Sprecher der International Association for the Study of Obesity (IASO), die den jetzt vom RKI kritisierten Europavergleich veröffentlicht hat, betont jedoch, dass auf diese Unterschiede hingewiesen worden sei. "Die uns vorliegenden nationalen Studien unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht, darunter auch beim Altersbereich", sagt Rigby.

Ein weiterer Kritikpunkt des RKI ist, dass die Studien, die dem Vergleich der internationalen Organisation zugrunde liegen, aus verschiedenen Zeiträumen stammen. So stünden dänische Ergebnisse von 1992 neben französischen Daten von 2006.

"Auch das ist in unserer Studie vermerkt", sagt Rigby: "Wir behaupten nicht, dass die einzelnen Werte exakt miteinander vergleichbar sind. Wir listen die verfügbaren Zahlen der Länder auf, um das Übergewichts-Problem in Europa zu veranschaulichen"

Das RKI möchte das Problem auch in Deutschland nicht verharmlosen, betont jedoch, dass die Daten für Deutschland aus Befragungen stammen, während Studienteilnehmer in anderen Ländern gewogen und gemessen wurden. Bei Umfragen neigen Teilnehmer jedoch dazu, ihr Gewicht zu unterschätzen und ihre Körpergröße zu überschätzen - ein Effekt, der statistisch eine Population dünner macht.

"Selbstverständlich haben wir die Bertelsmann-Daten hinsichtlich des bekannten Phänomens der fehlerhaften Selbsteinschätzung korrigiert", rechtfertigt sich Helmert von der Uni Bremen.

Messung oder Selbsteinschätzung

Auch das RKI setzt diese Methode der Befragung ein: In den vergangenen neun Jahren hat das Institut ausschließlich telefonische Umfragen zum Übergewicht in Deutschland gemacht. Diese sind nun die Basis für ein Epidemiologisches Bulletin, das am 4. Mai veröffentlicht wurde.

Demnach seien lediglich 67 Prozent der deutschen Männer und 54 Prozent der Frauen übergewichtig. Der vom RKI nun kritisierte Bertelsmann-Gesundheitsmonitor listete 75 Prozent der Männer und 59 Prozent der Frauen in Deutschland als übergewichtig, was ihnen im Europa-Vergleich der IASO den Spitzenplatz einbrachte.

Weniger dramatische Zahlen ermittelte das Statistische Bundesamt mit einer Befragung im Jahr 2003. 58 Prozent der deutschen Männer fielen seinerzeit in die Kategorie übergewichtig, bei den Frauen waren es 42 Prozent.

"Auch weil sich die Datengrundlagen innerhalb Deutschlands unterscheiden, kommen internationale Vergleichsstudien zu unterschiedlichen Ergebnissen", sagt Ulrich Oltersdorf, Leiter des Instituts für Ernährungsökonomie des Bundesforschungsinstituts für Ernährung und Lebensmittel.

So sieht die EU-Statistikbehörde Eurostat die deutschen Männer - wie auch die IASO - auf Platz Eins seiner Rangliste, aber die Frauen auf Platz Zwei. In einem Europa-Vergleich der Weltgesundheitsorganisation WHO liegen deutsche Männer auf Platz Vier und die Frauen auf Platz Sieben.

Kein Standard

"Es gibt weder einen europaweiten, noch einen deutschen Standard für die Erhebung von Übergewicht", sagt Oltersdorf: "Jedes Land und jede Behörde berücksichtigt andere Kriterien. Es ist daher unmöglich, diese Daten zu hundert Prozent miteinander vergleichbar zu machen." Man müsse daher auch die Vergleiche von WHO, EU und OECD mit Vorsicht genießen, sagt Oltersdorf.

Es bestehe die Gefahr, dass das Übergewichts-Problem durch die Diskussion um einzelne Prozentpunkte verharmlost werde: "Ob wir in unterschiedlichen Studien auf unterschiedlichen Plätzen liegen, ist nicht entscheidend - Übergewicht und Fettleibigkeit sind große Probleme in Deutschland, die noch größer werden, wenn wir nichts dagegen tun."

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