Süddeutsche Zeitung

Das Kurzarmhemd:Ein ästhetisches Verbrechen

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Es gilt einen Mord aufzuklären: Wer hat dem armen Oberhemd die Ärmel abgeschnitten? Denn soviel intime Offenbarung samt Armhaar ist einfach zuviel!

Eckhart Nickel

Die erste deutsche Fassung von Patricia Highsmiths Meisterroman "The Talented Mr. Ripley" - seit der zweiten Verfilmung von Anthony Minghella mit Matt Damon, Gwyneth Paltrow und Jude Law auch in modischer Hinsicht stilbildend (Der Beach-Look! Die Capri-Hosen! Der Jazz!) - trägt den wunderbaren Fifties-Titel: Nur die Sonne war Zeuge. So würde ich gerne auch die heutige Kolumne nennen, denn es geht um ein Verbrechen, nur eben eines der ästhetischen Art. In alter Agatha- Christie-Manier böte es sich also an zu fragen: Who dunnit?

Wer hat dem armen Oberhemd seine Ärmel abgeschnitten? Als Kommissar am Tatort (Schneiderei) angelangt, gilt es zunächst, das Motiv für die gemeine Verstümmelung zu klären. O.k., unter den Zeugen hat man sich geeinigt: Es war sehr heiß, die Tatwaffe (Schere) ist auch noch vorhanden. Die Hitze allein genügt aber nicht als Grund. Man hätte einfach unschuldig die Ärmel des Oberhemdes hochkrempeln können und damit keiner Fliege was zuleide getan. Aber nein. Man musste aus der Not eine Tugend machen, und das Ergebnis ist leider ein trauriger Zwitter aus Hawaiihemd ohne Muster und Poloshirt.

Es kann aber gar nicht so heiß sein, dass man kein langärmeliges Oberhemd tragen könnte. Und die Ansage, die das Kurzarmhemd macht, ist so schwitzig wie die Spezies, zu der die meisten Träger gehören: Vertreter. Sie lautet: "Prinzipiell hätte ich heute gerne hitzefrei. Aber ich wahre eben den Anstand, trage gebügelte (oder, wie meistens: bügelfreie) Baumwolle und zeige dem Rest der Welt mal, was ein gebräunter Unterarm ist. Und in der Brusttasche ist viel Platz für Kuli, Handy und noch mehr!" So viel intime Offenbarung samt Armhaar will kein geschäftliches Gegenüber sehen. Das Kurzarmhemd erinnert daran, was das Hemd allgemein noch im Mittelalter war: Unterwäsche. Am Ende muss der Schnitter Tod persönlich der Täter gewesen sein. Wie sagt der noch zu Recht: (Nur) das letzte Hemd hat keine Taschen.

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Quelle:
SZ vom 25./26.8.2007
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