Das Duell: Öffentliche Trauer:Der Schmerz der anderen

Die Trauerfeier für Michael Jackson beweist: Kein öffentliches Event ohne Zurschaustellung von Gefühlen. Muss das sein?

U. Bretz und V. Simon

Vielleicht haben alle abgeklärten Menschen dieser Welt recht, und die Tränen der Menschen auf der Bühne hinter Michael Jacksons goldenem Sarg waren nichts als reine Inszenierung. Doch ich heulte mit, sagt Ulrike Bretz.

Paris Jackson; Michael Jackson; King of pop; Trauerfeier; Staples Center; Los Angeles; AP

In der Trauer vereint: Die Familie Jackson hält zusammen.

(Foto: Foto: dpa)

Die Vernunft ist auf Seiten jener, die mit harten Fakten argumentieren: Hinter der aufwändigen Gedenkfeier für Michael Jackson, die die Familie des toten King of Pop veranstaltet hat, hinter den Ehrerweisungen, Reden und Gebeten, steckt eine riesige Medienmaschinerie. Es geht um Einschaltquoten, Werbeeinnahmen und Superlative.

Und doch hat sich mancher Zuschauer zu Hause vor dem Fernseher bei der zweistündigen Fernsehübertragung aus dem Staples Center die Tränen aus dem Gesicht gewischt. Die Jacksons mögen einen Drang zur öffentlichen Darstellung ihres Lebens haben, sie mögen mediengeil sein, geldgierig, kitschverliebt und pathetisch - ihre Trauer um den toten Sohn, Bruder und Vater aber war echt.

Wer zu Hause auf dem Sofa mitweint, ohne den Betrauerten überhaupt gekannt zu haben, ist nicht naiv, peinlich oder übertrieben gefühlsduselig. Es geht auch gar nicht darum, den Tod der Person Michael Jackson zu beweinen - sondern das, was sie von ihm hatten und nun verlieren. Was bei einer medialen Trauerfeier bewegt, ist der Schmerz. Notfalls transportiert über den anderer Menschen. Die Jacksons haben in ihren Reden gezeigt, dass Michael vielleicht doch nicht der maskenhafte Freak war, für den man ihn immer gehalten hat.

Brooke Shields machte das ganz deutlich: Ihr Auftritt mag auf den ersten Blick gewirkt haben, wie die Dankesrede bei einer Oscar-Verleihung. Dort aber huldigen die Stars in erster Linie sich selbst, freuen sich über die Aufmerksamkeit an ihrer Person. Bei einer Trauerrede aber geht es um den Verstorbenen. Klar wird dabei auf die Tränendrüse gedrückt - eine Trauerfeier ist die Veranstaltung, an der echter Trauer Raum gegeben wird. Es darf und soll geweint werden, man hat ja auch einen wahren Grund. Diese Tränen sollte man auch den Jackson-Brüdern zugestehen, trotz ihres showreifen Einheitslooks.

Wie echt ihre Trauer war, zeigte sich am Ende der Feier. Jermaine Jackson sang "Smile", angeblich das Lieblingslied seines toten Bruders. Sicher, das ist rührselig und auch ziemlich kitschig. Man kann sich schon fragen, wie ein Mensch es überhaupt schafft, vor dem Sarg seines eigenen Bruders noch über so viel Stimmgewalt zu verfügen, um eine Halle mit 20.000 Menschen zu beschallen. Der Auftritt zeigte aber auch, dass genau das nicht leichtfällt: Der 54-Jährige brach, als sein Auftritt vorbei war und der jüngere Bruder Marlon ans Mikrophon trat, sichtlich in sich zusammen.

Als Marlon Jacksons Stimme erst versagte, er dann von seinem totgeborenen Zwillingsbruder Brandon sprach, den Michael im Himmel grüßen solle und in Tränen ausbrach, zeigte sich, dass hinter all der Show eben doch echte Gefühle bebten. Die kühle Janet Jackson, versteckt unter ihrem Hut, fiel ihrem Bruder Marlon um den Hals - dann bildete die Familie einen Kreis und legte die Arme umeinander und hielt inne.

Eine solche Geste entsteht aus tiefer Trauer und Verzweiflung, aus dem Wunsch nach Trost und dem Wunsch, den anderen zu trösten. Solche grundlegenden Gefühle lassen sich nicht planen und schon gar nicht einüben. Sie folgen keinem Programmablauf. Sie überwältigen einfach. Und sie zeigen, dass die Jacksons hinter ihrer Sonnenbrillenfassade doch echte Menschen sind, und eine Familie, wie andere Familien auch.

Dass in all der gefeierten Trauer auch Jacksons Tochter Paris ihre Gefühle ausdrücken möchte, kann nicht verwundern. Ebenso wenig kann es der Inhalt ihrer herausgepressten Sätze - das würde jedes Kind über den verstorbenen Vater sagen. Und auch das Kind des "King of Pop", er mag manchen als göttlich erscheinen, wird sicher keine Lust haben, diesen Auftritt medienwirksam einzustudieren. Das war auch gar nicht nötig.

Die zur Schau gestellten Tränen einer einmütig vereinten Jackson-Familie mögen zwar genau das erreicht haben, was sie erreichen sollen - eine Anfachung der kollektiven Hysterie und Trauer, und ein gutes Merchandising-Geschäft. Das ändert nichts an ihrer Authentizität. Denn irgendwo hat die große Bühnenshow auch ihre Grenzen. Und genau dort beginnen das echte Leben - und der echte Tod.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Ich verliere keine Träne - schon aus Prinzip.

Tränen lügen nicht - oder doch?

Lange nicht mehr wurde bei einer Veranstaltung so ausdauernd geweint wie während der Trauerfeier für den "King of Pop". Obwohl das alles zum Heulen war, verlor ich keine einzige Träne - schon aus Prinzip, sagt Violetta Simon.

Der Schlagersänger Michael Holm hat mal behauptet: "Tränen lügen nicht." Das war zu einer Zeit, als Gefühle noch für Kontrollverlust standen. Als man im heimischen Wohnzimmer drei Programme empfing und das Fernsehen technisch noch nicht in der Lage war, jeden Vorfall, und sei er noch so privat, in ein öffentliches Ereignis zu verwandeln.

Seit Millionen Zuschauer die Hochzeit von Lady Di und Prinz Charles auf dem Bildschirm verfolgten, bedient die Technik die Sehnsucht des Normalmenschen, große Gefühle live mitzuerleben und stellvertretend für die Betroffenen mitzuempfinden. Heulende Menschen auf dem Bildschirm sind für uns etwas Alltägliches geworden.

Doch wird im Fernsehen wirklich öfter geweint als früher? Aber sicher - weil man dabei öfter gefilmt wird! Sobald die Kamera das Kapital des menschlichen Kontrollverlusts erkannt hatte und draufhielt, kam eine neue Währung ins Spiel des Showbusiness, und die hieß: Rührung. Die Heulsusen spielen mit, denn das ist der Deal. Keine Oscarverleihung, keine Miss-Universum-Veranstaltung, keine Sportlerehrung ohne Tränen.

Und das gilt nicht nur für Prominente: Tag für Tag sehen wir Menschen, die sich selbst entmündigen, damit man ihre Wohnung renoviert, sie aus der Schuldenfalle führt und den Heiratsantrag für sie organisiert. Im Moment der Gegenüberstellung: Musik an, Kamera drauf aufs Gesicht. Angenommen, die Gefühlsregung würde sich im Inneren abspielen, unsichtbar für den lechzenden Betrachter. Angenommen, keine Träne der Rührung würde das Auge verlassen - was hätte das Ganze für einen Sinn? Der Deal wäre geplatzt, der Zuschauer um die zur Schau gestellten Gefühle betrogen.

Sind Tränen echt, wenn sie ein Hartz-IV-Empfänger weint, weil er bei DSDS auf dem ersten Platz landet? Ja, natürlich. Doch hat uns das Fernsehen die Freude an diesen Gefühlen gestohlen, indem es die Herrschaft über den richtigen Zeitpunkt übernommen hat.

Über all dem steht nurmehr ein Wesen: das Kind. Es ist die unberührte Insel im Schlamm der gekauften Gefühle, ist wahrhaft, ehrlich und zu keiner geheuchelten Regung fähig. Deshalb zerriss es uns beinahe das Herz, als die kleine Paris am Ende der Trauerfeier für ihren Vater ans Mikrofon trat. Unter Tränen schluchzte sie, dass sie keinen Menschen jemals so geliebt habe wie ihren Vater. Tante Janet hielt das Mikro - eine bereitwillige Assistentin der PR-Maschinerie.

Mag sein, dass auch ein elfjähriges Mädchen seine Gefühle bewusst zur Schau stellt, mag sein, dass sie ein bisschen nachgeholfen hat, damit die Tränen im richtigen Moment liefen. Vielleicht auch nicht. Die Heuchelei gipfelte nicht im Weinen dieses Kindes, sondern in dessen Vermarktung. Die Familie Jackson wusste um die Wirkung dieser kindlichen Tränen. In ihrer Reinheit verkörperte das Mädchen, dessen Gesicht bislang stets unter einer Maske verborgen blieb, die Trauer glaubwürdiger, als die versteinerte Miene einer LaToya oder eines Joe Jackson es jemals gekonnt hätte. Wir dürfen nicht vergessen: Mit dem "King of Pop" verliert die Familie ihr medienwirksamstes Zugpferd. Und in Paris bleibt dem Publikum ein Teil von ihm.

Letztendlich geht es nicht um die Frage, ob Tränen echt sind. Sie sind echt, sobald sie den Augenwinkel verlassen, über die Wange und in der Rinne der Nasolabialfalte verschwinden. Um sie zu erzeugen, muss der Mensch ein wie auch immer geartetes Gefühl empfinden. Zur Farce verkommen sie erst in dem Moment, wo die Kamera draufhält und aus dem Gefühl ein Allgemeingut macht. Lange Zeit war das Fernsehen "das Fenster zur Welt". Nun will es "das Fenster zur Seele" sein. Fremdscham ist das einzige Gefühl, das der Betrachter dabei empfinden sollte.

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