Das deutsche Brathuhn:Wo ist der Geschmack geblieben?

Früher war Huhn als Feiertagsbraten der Höhepunkt jedes Familienfests, heute haben viele sein Aroma über fades Industriefleisch vergessen.

Michael Frank

Ich wollt, ich wär ein Huhn, ich hätt' nicht viel zu tun, ich legte vormittags ein Ei und abends wär ich frei." So besangen einst die Comedian Harmonists die Idylle. Damals war ein Huhn noch ein respektiertes Wesen, das in Würde und mit gewisser Grazie Hof und Wiese beschritt, das sich Korn und Käfer aus dem Grund scharrte, das als Feiertagsbraten Höhepunkte des familiären Jahreskreises markierte. Heute wird ein Brathendl achtlos verschlungen, Hühnerfleisch ist wesentlicher Bestandteil von Junkfood und oft von essbarem Abfall nicht weit entfernt.

Das deutsche Brathuhn: Eine mondäne Rasse, die schon am Hof von Kaiserin Maria Theresia beliebt war: Das Gefieder des Sulmtaler Hahns ist besonders farbenfroh, die Henne trägt eine Art Haube aus hellen Federn.

Eine mondäne Rasse, die schon am Hof von Kaiserin Maria Theresia beliebt war: Das Gefieder des Sulmtaler Hahns ist besonders farbenfroh, die Henne trägt eine Art Haube aus hellen Federn.

Wer könnte sagen, was das für ein Huhn ist, das man, berufsgehetzt oder kochfaul, sich gerade hat vom Spieß herunter einpacken lassen? Auch Metzger und Standlbesitzer können kaum Auskunft zu Rasse, Herkunft, Eigenart oder Qualität geben. Längst schwärmt man von alten Schweinerassen, vom Mangalitza-Wollschwein, vom Bio-Apfelschwein aus der Mark, das schon als Currywurst am Berliner Mehringdamm zu haben ist. Werdenfelser Grauvieh, zotteliges Angus - selbst beim Rind weiß man genießerisch zu unterscheiden. Wer aber könnte eine Rasse des guten alte Haushuhns nennen und ihre Vorzüge?

Allenfalls sorgen wir uns um Käfighaltung und Tierfabriken. Ein "normales" Hühnerleben ist heute von unsäglichem Stress getrieben. Das Turbohuhn durchläuft ein kurzes Dasein in von Hysterie terrorisierten Massenquartieren. So ein Leben währt für ein Masthähnchen, das bald am Grillspieß kreist, ganze 27 bis 30 Tage. Kaum mehr als die 21 Tage, die es vor dem Schlüpfen im Ei zugebracht hat, seine sicherlich glücklichste Zeit auf Erden. Dann ist es schlachtreif. Immerhin ergeht es ihm besser als in der Legehennenzucht. Das werden nämlich die männlichen Küken sofort liquidiert.

Die Globalisierung erklimmt mit dem Welthuhn ihren bislang erstaunlichsten Höhepunkt. Ganze vier in sich kaum variierte Sorten beherrschen den Erdball. Die Branche spricht übrigens gesamtdeutsch immer noch vom Broiler, der sich in der DDR als Alltagsbegriff etabliert hatte. Der Broiler ist ein Hybridhuhn, das mit unendlich vielen Kreuzungen alle Eigenschaften versammelt, damit es rasant wächst, um schnell Rendite zu bringen. Unter industrialisierten Bedingungen, gemeinsam gehalten zu manchmal mehr als 100.000 Tieren, nehmen diese Hühner in so kurzer Lebenszeit von 40 auf 1600 Gramm Schlachtgewicht zu, ein irrwitziges, ungesundes Wachstum nebst vorsorglichem Medikamenteneinsatz.

Die Zuchtlinien sind Betriebsgeheimnis der vier Großkonzerne (drei davon aus Europa), die sich den Löwenanteil an der Hühnerzucht in der Welt teilen. Diese Hühner, genetisch weithin identisch, werden als Brathähnchen oder Legehennen gezüchtet. Die einen werden in Eile dick und groß, die anderen bleiben dürr, powern sich im exzessiven Eierlegen aus. Früher landete so was als Suppenhuhn im Topf, heute - der Masse wegen - im Müll. Früher gab es noch wirklich Brathähnchen. Heute braucht man, anders als bei Legehennen, nicht mehr aufs Geschlecht zu achten: Turbowachstum und denaturierte Grundverfassung machen Hennen und Hähne gleichermaßen fett, ohne Geschlechtsreife. In den USA stammen nach Angaben der Fachverbände etwa 95 Prozent aller Hühner aus industrieller Zucht, in Deutschland dürften es 85 Prozent sein.

Das stressfreie Hybridhuhn

Und der Mistkratzer beim Biobauern? Selbst das in freier Bodenhaltung ein beschauliches Leben fristende, vermeintliche Ökohuhn ist allzu oft ein Wesen vom Typ "Lohmann Braun", um einen der absolutistischen Herrscher auf Deutschlands Hühnerhöfen zu nennen. Ein Hybridhuhn also. Es wächst da zwar hoffentlich stressfrei und langsamer auf als beim Großmäster, trägt aber die hypertrophen Zuchteigenschaften in sich. Ökobauern wissen darum und suchen neue, unverbildete Rassen, wobei sie automatisch auf traditionelles Federvieh stoßen.

Das Sulmtaler Huhn ist so ein Tier, das seine Protagonisten gerne das "Kaiser-Huhn" nennen, weil es einst schon bei Hofe in Wien höchste Zuneigung genoss. Das Sulmtal liegt in der Südsteiermark. Das Sulmtaler ist ein großes, stolzes Tier, das bis zum Zweieinhalbfachen eines handelsüblichen Hendls auf die Waage bringt. Sulmtaler stammen vom "schweren Schlag" des mitteleuropäischen Landhuhns. In der Züchterlyrik heißt es: "Sulmtaler sind ein wetterhartes Zwiehuhn (Fleisch- und Eiertrag) mit zartem Fleisch und einer Legeleistung von etwa 150 Eiern pro Jahr. Sie sind tief gebaute, vierschrötige Landhühner mit feinem Knochenbau, weißem Untergefieder und kaum mittelhohem Stand. Besondere Kennzeichen sind ein kleiner Schopf und ein nur bei den steirischen Rassen gestatteter Wickelkamm (von oben gesehen s-förmige Kammlinie) bei den Hennen."

Neben dem Sulmtaler genießt auch das Deutsche Reichshuhn großen Respekt. Es bevölkert noch manchen Hof, wie auch Thüringer Barthuhn, Sachsenhuhn, Sundheimer und Ostfriesische Möwe. Sie alle stehen schon als bestandsgefährdet unter Beobachtung, ähnliches widerfährt dem Augsburger, Ramelsloher und dem Bergischen Schlotterkamm. Sehr beliebte Zwiehühner auf deutschen Misthaufen kommen aus Frankreich: Les Bleues und Gauloise, das beliebte Bresse-Huhn. In Frankreich selbst gezogen fallen sie oft besonders schwer aus - ein düsteres Kapitel im sonst so löblichen Rückzüchtungsprogramm. Die Nachbarn stecken gern ihre Naturhühner im letzten Monat in Ställe, in denen immer Licht brennt. Die Tiere schlafen nicht mehr, sondern fressen unentwegt und legen so noch ein Kilo mehr zu. Genudelt oder gestopft wie Gänse werden Hühner nirgend mehr. Früher aber war diese Tortur durchaus üblich.

Das gesunde und geachtete "Zwiehuhn" muss nicht so spezialisiert leben, wie seine Industrieverwandten. Es darf beides: sich gemächlich dick fressen und Eier legen, wie es seine Art ist. Diese langsam wachsenden Rassen stellen allerdings besondere Ansprüche.

Hier sei wieder das Sulmtaler Gegenstand der Betrachtung. In einer Gemeinde mit dem kuriosen Namen Großklein residiert eine Kooperative, die sich dem Huhn verschrieben hat. Georg Zöhrer erläutert für die Kooperative: "Sulmtaler Hühner schätzen einen überschaubaren Hofstaat. Unmöglich, mehr als 500 Hühner zusammenzusperren." Die meisten Züchter lassen den stattlichen Tieren darum in weit kleineren Gruppen ihren Freiraum, was bei vorgeblich artgerechter Haltung oft nicht der Fall ist. 28 bis 31 Wochen, also das sieben- bis achtfache der Industrietiere, bekommen Hahn und Hennen Zeit, groß zu werden, ohne dass Knochen überlastet und das Rückgrat schmerzhaft verbildet würde, wie oft bei Turbohühnern.

Natürlich brauchen auch Sulmtaler ordentlich Eiweiß, um das anzusetzen, was uns am Ende so schmeckt. Soja ist heute Hauptmahlzeit für Geflügel, wobei oft unklar bleibt, ob gentechnikfreie Bohnen verfüttert werden. Die Sulmtaler bekommen stattdessen zumindest in der Südsteiermark eine besondere Delikatesse: Kürbiskernöl. Der eiweißreiche Ölkuchen ist idealer Ersatz für Soja. 97 Prozent des Futters kommen von den eigenen Äckern.

Hühnerbratereien riechen gewöhnlich kräftig, Duft den einen, Gestank den anderen. Mit viel kräftigem Grillgewürz wird gern das eigentümliche Eigenaroma übertönt, das beim Turbowachstum entsteht, wenn sich pflanzliches Eiweiß zu schnell, folglich unzureichend in tierische Fleischmasse wandelt. Wer ein Hühnerbein aus dem rohen Fleisch herausdreht und daran riecht, erfährt das sehr sinnlich. Brät ein gesundes Huhn, siedet und brutzelt es regelrecht unter der Pelle, die eigenen Fettreserven machen das Fleisch gar und den köstlichen Geschmack. Brust und Schenkel trocknen nicht aus wie Pappe. Man lässt sich gleichsam die Gemächlichkeit eines gesunden Hühnerlebens auf der Zunge zergehen.

In Deutschland tritt das Sulmtaler gemächlich, wie es seine Art ist, als Alternative zum Massenhuhn neben die ebenfalls langsam wachsenden, weit teureren Landhühner aus der burgundischen Bresse. Ganz der Natur folgend haben Sulmtaler von Oktober bis März Saison - denn im Winter legen Naturhühner nicht.

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