Christopher Street Day:"Man sollte die Veranstaltung nicht auf den Spaß reduzieren"

Christopher Street Day: Ausgelassene Stimmung: Frauen mit Demo-Schild auf dem Christopher Street Day 2018 in München.

Ausgelassene Stimmung: Frauen mit Demo-Schild auf dem Christopher Street Day 2018 in München.

(Foto: Stephan Rumpf)

50 Jahre Christopher Street Day: Ist die Welt wirklich gegenüber Lesben und Schwulen toleranter geworden? Zwei Berliner CSD-Organisatoren sprechen darüber, wie zeitgemäß die Veranstaltung ihrer Meinung nach noch ist.

Interview von Verena Mayer, Berlin

Als sich im Juni 1969 lesbische und schwule Besucher im Stonewall-Inn, einer Bar in der New Yorker Christopher Street, dagegen wehrten, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung von der Polizei durchsucht zu werden, ahnten sie nicht, dass sie damit eine Bewegung auslösten. 50 Jahre später ist der Christopher Street Day (CSD) eine Institution, bei der Berliner Ausgabe an diesem Samstag wird eine Dreiviertelmillion Besucher erwartet. Warum aber braucht man den CSD heutzutage überhaupt noch? Und: Ist er nicht längst mehr Event als Demonstration? Fragen, die Monique King und David Staeglich-Büge beantworten können. King arbeitet in einem Berliner Club, Staeglich-Büge ist Versicherungsfachmann, beide sind seit fünf Jahren im Vorstand des Berliner CSD.

SZ: Gerade ist wieder CSD-Saison, kaum eine Stadt, in der nicht gefeiert wird. Haben Sie noch den Überblick, wie viele Paraden es in Deutschland gibt?

David Staeglich-Büge: Derzeit sind wir bei 71 verschiedenen Veranstaltungen, von Metropolen wie Hamburg, München, Köln oder Berlin bis zu Kleinstädten wie Cloppenburg oder Neubrandenburg. Wobei alle ähnlich sind, es gibt eine Demo und ein Straßenfest mit Abschlusskundgebung. In manchen Orten findet auch nur ein Straßenfest statt.

Monique King: Ich spreche lieber von Demonstrationen als von Paraden. Parade klingt nach Spaß und Bunt-Anziehen, aber wir haben auch Forderungen, und die artikulieren wir.

Christopher Street Day: David Staeglich-Büge, 42, stammt aus Hamburg und läuft seit 1998 beim CSD mit. Monique King, 50, ist in Wien aufgewachsen, arbeitet in einem Berliner Club und ist bereits seit Anfang der Neunzigerjahre dabei.

David Staeglich-Büge, 42, stammt aus Hamburg und läuft seit 1998 beim CSD mit. Monique King, 50, ist in Wien aufgewachsen, arbeitet in einem Berliner Club und ist bereits seit Anfang der Neunzigerjahre dabei.

(Foto: privat)

Der CSD wirkt aber schon oft wie eine Mischung aus Karneval und Loveparade.

Staeglich-Büge: Natürlich gibt es die Paradiesvögel, und die sind ein wichtiger Bestandteil unserer Community. Man sollte die Veranstaltung aber nicht auf den Spaß reduzieren.

King: Wir haben auch einiges verändert. Der Anfang des Zuges ist jetzt leiser als früher, erst der zweite ist der laute Teil. Als ich vor fünf Jahren vorschlug, dass der erste Wagen in Berlin kein Partywagen sein soll, haben viele gesagt: Geh doch zurück nach Kreuzberg mit deinem Aktivismus! Heute ist der erste Wagen ganz selbstverständlich den politischen Forderungen, Vereinen und Aktivistinnen und Aktivisten vorbehalten.

Dennoch beklagen manche Lesben und Schwule, der CSD sei eine Kommerzveranstaltung geworden.

King: Den Vorwurf gab es schon immer. Natürlich ziehen Firmen mit beziehungsweise die Diversity-Netzwerke der Firmen. Ich kann ja nicht verlangen, in der Mitte der Gesellschaft zu sein, und dann die Konzerne, die für diese Mitte stehen, ausschließen. Das ist doch ein gutes Zeichen, wenn etwa Jugendliche ein berühmtes Logo, eine Kleidermarke, eine Bank in Verbindung mit der Regenbogenfahne sehen. Ich hätte mir das vor 20 Jahren gewünscht.

Gibt es Städte, in denen es schwierig ist, einen CSD abzuhalten?

Staeglich-Büge: In Braunschweig gibt es christliche Splittergruppen, die mit Kreuzen am Straßenrand stehen. Und in Siegen haben Rechtsextreme eine Gegendemonstration angekündigt, so wie letztes Jahr in Erfurt. Was allerdings dazu geführt hat, dass der Erfurter CSD so gut besucht war wie noch nie.

Eine Reaktion wie in Erfurt war früher vermutlich kaum vorstellbar. Sie beide kennen den CSD ja schon seit Langem, wie war es, als Sie das erste Mal mitgelaufen sind?

Staeglich-Büge: Bei mir war das 1998, als die Gesellschaft noch wesentlich rückständiger und die Ressentiments größer waren. Ich wurde in der U-Bahn angepöbelt, wenn ich mit meinem Freund Händchen hielt. Für mich war es überwältigend zu sehen, dass da so viele sind, die für ihre Rechte auf die Straße gehen.

King: Ich komme ursprünglich aus Wien, das eine sehr kleine Stadt mit einer noch kleineren Szene ist. Ich hatte zwar eine Freundin, habe mich aber nie als lesbisch bezeichnet. In Berlin wollte ich sofort dazugehören. Besonders beeindruckt hat mich mein erster lesbischer CSD kurz nach der Wende. Der ging durch den Osten, alle waren engagiert und halfen sich.

Christopher Street Day: Auf Einhörnern durch die Stadt: Zwei Männer bei der Münchner Christopher Street Parade im Jahr 2016.

Auf Einhörnern durch die Stadt: Zwei Männer bei der Münchner Christopher Street Parade im Jahr 2016.

(Foto: Stephan Rumpf)

Früher waren beim CSD vor allem Männer präsent. Hat sich da etwas geändert?

Staeglich-Büge: Das Bild des CSD in der Öffentlichkeit war lange männerdominiert, das stimmt. Was aber auch daran lag, dass der halb nackte Mann im engen Schlüppi mit Engelsflügen öfter fotografiert wurde als die Frau in Jeans.

King: Ich hätte sicher mehr erreicht, wenn ein Gemächt an mir runterhängen würde. Wenn David etwas sagt, hört man ihm zu, wenn ich etwas sage, bin ich die kleine Nervlesbe. Aber da spiegelt sich die Gesellschaft wider. Solange Frauen in der Politik und in Dax-Unternehmen unterrepräsentiert sind und schlechter bezahlt werden, so lange ist das ein gesellschaftliches Problem. Aber die Sichtbarkeit von Frauen hat auch bei uns zugenommen.

Inzwischen sind LGBT-Anliegen in Deutschland in der Politik angekommen, die Ehe für alle beispielsweise ist Gesetz. Braucht es da überhaupt noch regelmäßige Demonstrationen?

King: Absolut! Es gibt ein Riesen-Rollback gerade, wenn wir nicht aufpassen, wird es gefährlich. In den 80er- und 90er-Jahren war es für mich angenehmer, da wusste ich, wo der Feind war. Der stand dir nämlich direkt gegenüber und man konnte sich darauf einstellen. Heute ist es einerseits subtiler, die Leute sagen: "Ich habe nichts gegen Schwule, aber..." Andererseits hat die Aggressivität auf der Straße ein Ausmaß erreicht, das mich aufschrecken lässt. Das liegt auch an den sozialen Medien. Wenn man hinter dem Rechner versteckt pöbeln kann, nimmt man diese Gewaltbereitschaft auch in den Alltag mit.

Staeglich-Büge: Wir haben drei Parteien im Bundestag, die die Ehe für alle vollständig oder größtenteils ablehnten, CDU, CSU, AfD. Ursula von der Leyen hat damals übrigens dafür gestimmt, es entspannt mich, dass eine solche Politikerin europaweit etwas zu sagen hat. Es geht aber nicht nur um die rechtliche Gleichstellung ...

King: ... die ja noch lange nicht erreicht ist. Wenn zwei Lesben ein Kind haben, wird die nicht-austragende Mutter noch immer nicht als Elternteil anerkannt. Während in einer Ehe auch der Mann als Vater gilt, der nicht der Erzeuger ist.

Staeglich-Büge: Ja, und solange ein Kind Schwierigkeiten hat, seinen Eltern zu sagen, dass es schwul, lesbisch, trans oder inter ist, solange es deshalb auf dem Schulhof gehänselt wird und die Selbstmordrate unter nicht heterosexuellen Jugendlichen hoch ist, so lange müssen wir auf die Straße gehen, bis in das kleinste Nest hinein.

Macht es die Sache schwieriger, dass sich die LGBT-Szene wie viele andere Bewegungen in Kleingruppen aufgesplittert hat, die jeweils für sich und manchmal auch gegeneinander kämpfen?

Staeglich-Büge: Ich würde das nicht als Zersplitterung bezeichnen. Trans-Personen etwa haben andere Anliegen, was Gesetze betrifft oder die Kostenübernahme bei Operationen, die haben nun mal die Expertise für ihre Bedürfnisse. Und natürlich sieht jede Gruppe ihre Ziele als die wichtigsten an, sonst wären es ja keine Aktivistinnen und Aktivisten.

Dieses Jahr wird das 50. Jubiläum des Protests im New Yorker Stonewall-Inn begangen. Wie blicken eigentlich die Veteranen von damals auf die Situation heute?

King: Ich war gerade in New York beim World Pride, da hatte ich das Gefühl, dass die sehr gerührt und stolz sind. Was auch großartig war: Selbst im tiefsten Brooklyn wehen Regenbogenfahnen und alle wünschen einem "Happy Pride". Das war ein Rockstar-Gefühl, man geht durch die Straßen und die Leute jubeln einem zu.

Und was können Aktivisten wie Sie nun in Deutschland gegen den Rollback tun?

Staeglich-Büge: Aufmerksamkeit schaffen. Je mehr CSDs es gibt, desto weniger kann man dem Thema ausweichen. Wir haben Gäste aus Istanbul da oder weisen auf die Zustände in Russland hin, wo Menschen schon ins Gefängnis kommen können, wenn sie mit einer Regenbogenfahne unterwegs sind. In diesem Jahr ehren wir die Aktivistin Tatiana Vinnichenko, die mit ihrem Netzwerk Verfolgte aus Tschetschenien holt und eine geheime Unterkunft geschaffen hat, in der sie medizinische, juristische und psychologische Hilfe erhalten.

King: Druck von außen ist wichtig, so wie der Boykott, den Stars wie George Clooney gegen Brunei ausriefen, nachdem dort die Todesstrafe für Homosexuelle eingeführt wurde. Oder Sarah Connor: Was die erreicht hat mit ihrem Song, der von einem schwulen Jungen handelt! Es bewegt etwas in der Mitte der Gesellschaft, wenn Stars ihre Popularität und ihre Markenstärke nutzen. Und sagen: Es geht hier um Liebe, aus und fertig.

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DC Pride Parade, Washington, USA - 08 Jun 2019

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