Süddeutsche Zeitung

Crocs sind out:Abgesang auf einen Gummifetisch

Mit den Crocs geht es bergab. Das wurde aber auch Zeit - selbst ihre Erfinder fanden die gelochte Entenfuß-Schlappe hässlich. Eine Abrechnung.

Violetta Simon

Auf den ersten Blick mag sich der ein oder andere darüber wundern, dass ein Erfolgsmodell wie die Crocs derart einbrechen kann. Dabei sollte man sich lieber fragen, wie sich der Schaumschuh überhaupt so lange auf dem Markt halten konnte. Womit wir bereits beim Thema wären. "Ich kenne keine Marke, die so viele Hasser und Fans zugleich hat", sagte der Unternehmenschef John Duerden über sein eigenes Produkt.

Es ist ja immer gut fürs Geschäft, wenn eine Marke emotional aufgeladen ist. "Entenfuß", "Schaumklotz", "Gummigurke" - das ist noch das Schmeichelhafteste, was Gegner an Attributen über die Lippen bringen. Und so können die Verteidiger der Schlappe zumindest von sich behaupten, dank ihres Schaumgranulats nicht nur die Fußsohlen ihrer Träger, sondern auch gleich millionenfach menschliche Gemüter zu erhitzen und seine potenzielle Kundschaft zu polarisieren.

Das begann schon bei ihrer Entstehungsgeschichte. Im Jahr 2002 hatte der Unternehmer Scott Seamans auf einer Geschäftsreise in Quebec den federleichten, gummiartigen Pantoffel in quietschbunten Farben entdeckt. Er führte ihn seinen Geschäftspartnern George Boedecker und Duke Hanson vor, die sich schockiert zeigten. Ihr Kommentar: "Die sind hässlich!" Als die beiden in das wasserabweisende, pilz- und geruchsresistente Schaum-Ungetüm schlüpften, verstummte der Spott - die Dinger waren sagenhaft bequem. An diesem Tag entstand die Idee für das Unternehmen Crocs. Auf der "Fort Lauderdale Boat Show" rissen ihnen die Einkäufer alle 1000 Ausstellungsstücke aus der Hand.

Hässlich? Gut so!

Nach wie vor war man sich einig, dass die Schlappen eine Beleidigung für das Auge darstellten. Doch das war Teil des Konzepts: Die Dinger wirkten so seltsam, dass man sich genau deshalb dazu hinreißen lassen würde, sie anzuprobieren. Und war man erst mal drin, würde man nie wieder rauswollen. Die Rechnung ging auf: Die ungewöhnliche Form und Farbgebung begeisterte die Menschheit - die halbe zumindest. Die andere Hälfte wandte sich voller Grausen ab. Aber dazu später mehr.

Schon drei Jahre nach seiner Einführung überschwemmte der aufgeschäumte Bequemschuh die Erde. An sämtlichen Orten der Welt war er als bunter Punkt zu sehen, dessen Besitzer geschmacksverirrt durch die Gegend watschelten - allen voran die Prominenz. Al Pacino trug sie in Himmelblau, Madonna erschien in rosa Modellen, und selbst Ex-US-Präsident George W. Bush war sich nicht zu schade für einen Auftritt in Crocs.

Selbst im Winter verunzierte die geschäumte Schlappe die Umwelt mit ihrer quietschenden Präsenz: Damit eingefleischte Fans auch bei Regen und Schneematsch nicht entsagen mussten, verpassten man den Crocs ein Lammfell-Inlay - ähnlich einem Sitzsack für Kinderwagen. Darüber hinaus konnte der Träger die 13 Öffnungen mit knopfartige Steckern, sogenannten Jibbitz, abdichten - das Stück zu 2,50 Euro. So hat das Unternehmen selbst mit den Löchern in seinen Schuhen noch ein Geschäft gemacht. Kein Wunder, dass 2005 die Plastikschlappe den Umsatz des Unternehmens mal eben verdreifacht hatte.

Keiner will's gewesen sein

Und dennoch: Irgendwie verhielt es sich mit den Crocs immer ein bisschen wie mit McDonald's und Beate Uhse. Die Umsätze übertrafen sich jedes Jahr aufs Neue, nur lernte man nie einen Menschen kennen, der dazu beigetragen haben will. Während viele Kunden sich des Konsums von Hamburgern oder Sexartikeln aber bereits während des Kaufs genierten, trat dieses Gefühl bei den Crocs-Liebhabern erst allmählich und mit einer deutlichen Zeitverzögerung ein.

Zugegeben, viele Crocs-Fans trugen die Latsche erst einmal mit einer arglosen, beinahe zur Schau gestellten Begeisterung, die einem die Fremdscham in die Augen trieb. Ja, selbst Spötter und Gegner haben sich - einem undefinierbaren Drang folgend - heimlich ein Paar für ihre Sammlung fehlgekaufter Schuhe gesichert. Sie vielleicht sogar mit Wonne an den Füßen gespürt, es aber dann doch nicht übers Herz gebracht, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Höchstens vielleicht in den Urlaub.

Mittlerweile dürfte die andere Hälfte der Menschheit - jene, die sich bei Einführung der Crocs voller Grausen abwandte - in der Überzahl sein. Im Mai vergangenen Jahres war das börsennotierte Unternehmen erstmals in die Verlustzone gerutscht. Sieht aus, als seien die gelochten Gummitreter aus der Mode gekommen. Sollte die Menschheit wieder Vernunft angenommen haben?

Totgesagte leben länger

Wie eine böse Erinnerung verschwinden die Plasitikklötze allmählich von der Bildfläche, von beschämten Besitzern in der hintersten Ecke des Schuhregals entsorgt. Vereinzelt treiben die geistigen Bilder vom letzten Auftritt in der Eisdiele an der italienischen Riviera noch jemandem die Schamesröte ins Gesicht. Schon bald, wenn die letzte entenfußförmige Gummilatsche von dieser Erde verschwunden ist, wird nurmehr ein verkatertes Gefühl bleiben. So muss es den Menschen nach der Massenorgie in Patrick Süskinds "Parfum" gegangen sein, als sie am nächsten Tag zu sich kamen und schleunigst das Weite suchten.

Wie man weiß, war von dem Objekt ihrer Begierde, Jean-Baptiste Grenouille, nichts mehr übrig geblieben - sie hatten ihn in der Luft zerrissen. Doch wer weiß, wie viele der knallbunten Gummilatschen in Schuhkammern vor sich hindämmern, weil ihr Besitzer sich nicht trennen konnte. Dort warten sie, bis ihre Zeit gekommen ist. Um aufzuerstehen, als schaumgeborene Zombies.

Totgesagte leben ja bekanntlich länger. Hoffen wir, dass wir diesmal davonkommen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.25730
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/vs
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.