Leserprotokolle zum Jahreswechsel:"Hoffnung und Enttäuschung liegen manchmal dicht beieinander"

Leserprotokolle zum Jahreswechsel: "Die Pandemie hat mich zu mehreren neuen Hobbys, neuen Freunden und zu einem Praktikum in der Nähe meiner Partnerin gebracht."

"Die Pandemie hat mich zu mehreren neuen Hobbys, neuen Freunden und zu einem Praktikum in der Nähe meiner Partnerin gebracht."

(Foto: AP)

Fotografieren in Österreich statt eines Praktikums in den USA oder alleine im Home-Office im regnerischen Nairobi: Leserinnen und Leser haben erzählt, wie die Corona-Krise ihr Leben verändert hat - und wie sie jetzt auf das Jahr 2021 blicken.

In einem Aufruf haben wir Leserinnen und Leser gebeten, uns zu erzählen, wie sie das Jahr 2020 erlebt haben und wie sie nun auf das Jahr 2021 blicken. Mehr als hundert Menschen haben uns geschrieben und von Enttäuschungen, Überraschungen, Trauer und Freude berichtet. Eines hatte der Großteil der Geschichten, der Rück- und Ausblicke gemeinsam: Eine starke Zuversicht und die Bereitschaft, Veränderungen anzunehmen und das Beste aus der Situation zu machen. Wir haben eine Auswahl der Texte (gekürzt und redigiert) für Sie zusammengestellt.

Goodbye Amerika, Grüß Gott Österreich

"Zur Vertiefung meines Studiums wollte ich von März an ein Praktikum in South Carolina, USA absolvieren. Mehr als ein Jahr lang hatte ich darauf hingearbeitet. Die Nachricht, dass die Grenzen zu den USA geschlossen wurden, schockierte mich sehr. Da ich nun mit gepackten Koffern auf der Straße stand, kam ich zunächst frustriert und perspektivlos in der WG meiner Partnerin in München unter.

Ich kaufte mir von dem für die große Reise gesparten Geld eine professionelle Kamera und nutzte mein neues Hobby für tägliche Spaziergänge an der frischen Luft. Im Mai bezog ich ein Zimmer in einer WG in Bochum, wo ich neue Freunde fand und meinem Studium nachgehen konnte. Mein Praktikum wurde in den Oktober verschoben. Die Vergangenheit lehrte jedoch, auf alles gefasst zu sein, deshalb bewarb ich mich für ein Praktikum in Österreich.

Schließlich verkündeten die USA, dass eine Einreise für Studenten in diesem Jahr nicht mehr möglich sei. Ich war sehr enttäuscht und verärgert. Glücklicherweise hieß es aber dann 'Good bye Amerika, Grüß Gott Österreich'. Seit Anfang Oktober fotografiere ich die wunderschöne Natur in Österreich.

Im Laufe dieses Jahres haben mich die Ereignisse zeitweise verzweifeln lassen. Ständig einem Traum hinterher zu hoffen, zehrt Kräfte. Dennoch stehe ich dem Jahr mit einer ausgeglichenen Bilanz gegenüber, weil mich die Zeit zu neuen Hobbys, neuen Freunden und einem Praktikum in der Nähe meiner Partnerin gebracht hat. Hoffnung und Enttäuschung liegen manchmal eben sehr dicht beieinander." Mirco Cipris, 31 Jahre, Goch am Niederrhein/Hallein, Österreich

Einsam in Nairobi

"Ich lebe und arbeite derzeit in Nairobi. Als das Virus Kenia im Frühjahr erreichte, verließen viele meiner Freunde und Bekannten die Stadt, da sie eine Ansteckung und die unzureichende medizinische Versorgung im Land fürchteten. Das öffentliche Leben wurde bereits bei etwa 20 bestätigten Fällen massiv heruntergefahren, Restaurants und Bars, Schulen und Kirchen mussten schließen.

Seit Mitte März befand ich mich die meiste Zeit im Home-Office. Den ganzen Tag ununterbrochen alleine zu Hause zu verbringen war ungewohnt und fiel mir sehr schwer. Das kalte, regnerische Wetter in Nairobi sowie die verschärfte Sicherheitslage ließen Outdoor-Aktivitäten nicht zu, was dazu führte, dass mir daheim regelrecht die Decke auf den Kopf fiel. Und wenn über Monate hinweg der Lieferant, der deine Einkäufe bringt, dein weitestgehend einziger sozialer Kontakt ist, verändert das etwas in dir.

Ich denke, dass ich in dieser Zeit die wahre Definition von Einsamkeit kennengelernt habe. Ich fühlte mich oft betrübt und allein, hatte Probleme beim Einschlafen und wusste nicht so recht, wohin mit mir. Der einzige Lichtblick in dieser Zeit waren meine Familie und tolle Freunde in Deutschland, die sich nach mir erkundigten und mich immer wieder aufmunterten. Dafür bin ich sehr dankbar, vor allem vor dem Hintergrund, dass sich viele von ihnen zu dieser Zeit selbst in schwierigen Situationen befanden.

Für mich besserte sich die Lage zum Glück im späten Sommer, als Lockerungen der Maßnahmen mein alltägliches Leben zumindest im Ansatz wieder in Ordnung brachten. Die wichtigste Erkenntnis, die ich durch die Pandemie erlangt habe, ist, dass ich alltägliche Dinge, so klein sie auch sein mögen, mehr wertschätzen sollte. Die herzliche Umarmung eines Freundes; die Freiheit, verschiedene Orte zu bereisen; ja sogar die tägliche Fahrt ins Büro, all diese Dinge habe ich im Jahr 2020 oft schmerzlich vermisst. Letztendlich konnte ich aus meinem persönlichen Tiefpunkt auch viel Kraft für Neues schöpfen." Miriam Müller, 24 Jahre, Nairobi, Kenia

Endlich wieder Freude am Job

"Das Jahr 2020 hatte für mich so angefangen, wie 2019 geendet hatte: mit viel Arbeit. Ich hatte in den Jahren zuvor einige gesundheitliche Rückschläge hinnehmen müssen, die dazu geführt hatten, dass ich in einem Umfeld arbeitete, in dem ich nicht zu hundert Prozent glücklich war. Ich kündigte meinen Job in einer renommierten Konditorei und unterschrieb einen Arbeitsvertrag in der Hotellerie. Eine tolle Position in einem gehobenen Haus - mein Traumjob. Mit einem Haken: Anfang 2020 war ich ausgebrannt.

Dann kam der Lockdown. Statt Mitte April meinen neuen Job anzutreten, blieb ich erst einmal zu Hause. Und konnte mich endlich einmal richtig erholen, ohne schlechtes Gewissen. Ich schlief aus, vergrub mich in Bücher und Handarbeiten und tat eine Zeit lang nichts, was in irgendeiner Weise mit meinem Beruf zu tun hatte. Aus zwei Wochen wurden vier, aus vier Wochen zwei Monate. Dann hieß es, Anfang Juli würde ich anfangen. Ich war etwas erholt, fühlte mich wieder fit. Aber es kam anders.

"Wie lange kann ein Staat, eine Gesellschaft, jeder Einzelne so etwas aushalten?"

Wieder wurde mein Arbeitsbeginn nach hinten geschoben. Doch irgendetwas veränderte sich. Ich begann - endlich - mich auf meinen neuen Job zu freuen. Als es dann im September endlich so weit war und ich tatsächlich meinen ersten Arbeitstag haben sollte, konnte ich es kaum erwarten. Ich freute mich auf den neuen Job - und noch mehr freute ich mich darüber, dass ich mich freute. Mir wurde bewusst, dass dieser erste Lockdown genau das gewesen war, was ich gebraucht hatte: Eine Pause vom alltäglichen Hamsterrad, während der ich mich vollständig regenerieren und wieder für das Leben begeistern konnte.

Leider hielt das Gefühl nicht lange an. Mit dem Beherbergungsverbot im Herbst kam auch schnell wieder die Kurzarbeit. Und jetzt endet das Jahr 2020 genau mit dem Gegenteil von dem, wie es begonnen hat: mit zu wenig Arbeit. Aber eines hat sich für mich in diesem Jahr geändert: Ich habe endlich die Begeisterung für meinen Beruf wiedergefunden. Deshalb war der Lockdown irgendwie auch ein Glücksfall für mich." Sabrina Dankel, Lauffen am Neckar

Jahr der Entscheidungen

"Dieses Jahr musste ich lernen, dass das Richtige zu tun sich oft gar nicht so gut anfühlt wie man es erwartet. 2020 war ich ständig hin- und hergerissen zwischen Menschen, die die Pandemie zu ignorieren versuchten und Menschen, die das Virus sehr ernst nahmen und bereit waren ihre eigenen Bedürfnisse hinten anzustellen. Ständig musste ich mich dieses Jahr rechtfertigen, sowohl meinen Freunden gegenüber, die tendenziell lockerer mit den Maßnahmen umgingen, als auch meiner Familie gegenüber, die der Meinung war, uns so sehr wie möglich einzuschränken.

Immer wieder musste ich Entscheidungen treffen, die über Leben und Tod entschieden. So fühlte es sich jedenfalls für mich an, eine 18-jährige Schülerin, die nächstes Jahr ihr Abitur schreiben möchte und als sozialen Ausgleich am liebsten viel Zeit mit ihrer Familie und ihren Freunden verbringen würde. Stattdessen muss ich täglich abwägen, ob ich mich mit der einen oder der anderen Freundin treffe, ob ich auf die Hochzeit meiner Cousine gehe, die zwar erlaubt ist, sich für mich aber unverantwortlich anfühlt oder ob ich das Risiko eingehe, die Schule zu besuchen. Es war richtig, meine Oma dieses Jahr kaum zu besuchen, aber es fühlt sich dennoch so falsch und ungerecht an.

2020 hat mich viele Nerven und Energie gekostet, aber 2020 hat mir auch gezeigt, dass ich kein Egoist sein will und mich sogar gerne einschränke, soweit es mir nicht unverhältnismäßig schadet. Eigenverantwortung zu übernehmen und sich mit den Folgen seiner Entscheidungen auseinanderzusetzen ist vielleicht kurzfristig lästig und unangenehm, aber im Nachhinein lohnt es sich, weil ich guten Gewissens auf dieses schwere Jahr zurückblicken kann." Jana Heinzelmann, 18 Jahre, Wertheim

"Ich wünsche mir, dass es meinem Vater bald besser geht"

"Im Februar besuchte ich noch meine Cousine in Köln und wir feierten gemeinsam Karneval. Danach ging es zu unserer Großmutter. Bei ihr lief den ganzen Tag das Radio. Da wurde mir das erste Mal bewusst, wie präsent Corona eigentlich schon längst ist. Dann erkrankte unser Vater am JC-Virus. Nach dieser Schreckensnachricht traf uns Covid-19 mit voller Wucht: Besuchsverbot. Wir sahen unseren Vater fast sechs Wochen lang nicht.

Telefonieren gestaltete sich als schwierig, da er irgendwann nur noch 'Ja' sagen konnte. An Ostern kam unser Vater nach Hause und uns wurde bewusst, in welchem Ausmaß ihn diese Krankheit traf. Neben dem Studium nähte ich Masken, ging mit meinem Vater spazieren, half unserer Mutter und versuchte in meine erste eigene Wohnung zu ziehen. Meine Schwester legte ihr Abitur ab. Während der Zeugnisübergabe holte ich mit meinem Papa Kuchen. Das war mit einem Rollstuhl in der steilen Altstadt und auf Kopfsteinpflaster eine Herausforderung.

Für die Zukunft nehme ich mit, dass es meistens anders kommt, als man denkt. Hoffnungen und Wünsche für 2021 habe ich dennoch: Dass Pflegepersonal endlich ausreichend bezahlt wird, ihre Arbeit endlich mehr wertgeschätzt wird. Das Thema Einsamkeit sollte kein Tabuthema mehr sein. Kinder und Jugendliche sollten wieder die Möglichkeit haben Sport zu machen und in die Schule zu gehen. Als Studentin wünsch ich mir, dass die Universitäten wieder Präsenzveranstaltungen anbieten können. Und privat wünsche ich mir, dass es meinem Vater bald besser geht." Charlotte Hohendorf

Angst vor der Krippenschließung

"Das Jahr 2020 begann ganz normal. Wir haben in einem von einem grünen Kachelofen beheizten Holzhaus in den Bergen als kleine Familie ins neue Jahr gefeiert. Alles war so friedlich. Und dann kam Corona. Von einem Tag auf den anderen wurde auf Homeoffice umgestellt und die Krippe geschlossen - erst einmal für 2 Wochen.

Wir haben motiviert angefangen unser Leben neu zu strukturieren, uns der Veränderung anzupassen, nicht die Angst regieren zu lassen, sondern die Zuversicht. Es sollte ja nicht für lange sein. Tagesplanung der Arbeitszeiten mit gelben und blauen Post-its am Wohnzimmerfenster, Tagesplan in Grün für die Kleine mit Morgenkreis, Spielen im Garten, Kreativzeit oder Sportprogramm, Essensplan für die Woche, Aufteilung des Haushalts, Pläne mit den Großeltern, die tageweise unterstützten.

"Ich spüre jetzt die geballte Ladung Angst und Ungewissheit"

Die ersten Wochen vergingen schnell, liefen gut, wir sprangen zwischen den Rollen Mutter/Vater, Arbeitnehmer/in, Haushälter/in, Caterer und Erzieher/in hin und her. Ich nahm begeistert wahr, wie die Welt auf einmal von Fürsorge, Nächstenliebe, Respekt und Wertschätzung geprägt war und bewunderte die Menschen, die mit neuen und kreativen Lösungen versuchten das Beste aus der Zeit und der Situation zu machen.

Aber ich sorgte mich genauso um all diejenigen, denen Corona die Luft zum Atmen nahm. Wörtlich aber auch im übertragenen Sinne. Wie lange kann ein Staat, eine Gesellschaft, jeder Einzelne so etwas aushalten? Irgendwann ertrug ich die Nachrichten nicht mehr, hörte auf abends noch zu arbeiten, konsumierte in der wenigen Freizeit nur noch Serien, um dem Kopf ein paar Minuten Ruhe zu gönnen. Ich wurde mehr und mehr zur Maschine, die durch den Tag ratterte und deren Akkuleistung immer weniger wurde.

Im Sommer verblassten die vier Monate Lockdown. Im Herbst stiegen die Zahlen wieder und mit ihnen meine Angst. Angst vor dem nächsten Lockdown und damit der Krippenschließung. Die ersten Mütter aus meinem Umfeld gingen zurück in Elternzeit, ich reduzierte auf 80 Prozent. Die Energie wurde immer weniger, die Angst immer größer. Ein Corona-Fall in der Krippe und die Quarantäne brachte das Leben aus dem Frühjahr zurück - gewohnte Prozesse und trotzdem so ermüdend.

Die Zuversicht und Motivation waren verschwunden. 'Muss ja' - eine Standardantwort von mir auf die Frage 'wie gehts?'. Und dabei war ich mir bewusst, dass es da draußen ganz viele Menschen gab, die so viel mehr betroffen waren als ich. Schlussendlich war er dann da, dieser gefürchtete Satz 'Schulen und Krippen werden vorerst geschlossen'. Es ist kurz vor Weihnachten, die Pause ist wichtig, aber sie ist geprägt von der schwarzen Wolke Lockdown.

Ich bin trotz allem dankbar. Für eine Familie, die noch enger zusammengewachsen ist und ein Zuhause in dem ich mich wohl fühle. Für einen sicheren Arbeitsplatz und die Gesundheit meines Umfelds. Und für das Lachen meiner kleinen Tochter, das jeden Tag wie eine kleine Glocke durch unser Zuhause wandert. Wir hoffen auf ein besseres 2021." Carina Fauser, 36 Jahre, München

Doch nicht nach Kanada

"Anfang 2020 warteten zahlreiche Festival- und Konzertkarten auf ihren Einsatz, mehrere Trips - unter anderem nach Amsterdam und Edinburgh - waren gebucht und im September sollte mein Auslandssemester an einer Universität in Kanada starten. 2020 - das wird mein Jahr! Pustekuchen. Die Städtetrips wurden gecancelt und es ging pünktlich zum Start des ersten Lockdowns Ende März in die Heimat. Sporteln, lesen, sonnen, kochen. Die Welt dreht sich ein Stück langsamer, die Natur scheint sich zu erholen.

Einen Monat später geht es zurück an den Studienort zum etwas holprigen Start ins Online-Sommersemester 2020 und ich merke, dass ein Fernstudium nichts für mich wäre. Vom Laptop, in die Küche, wieder an den Schreibtisch und ins Bett. Im September steigen die Zahlen der Covid-19 Fälle erneut und ich merke, dass der Entschluss mein Auslandsemester abzusagen richtig war. Das Online-Wintersemester startet, jedoch fühlt sich alles ein bisschen schwerer an.

Was Halt gibt, ist mein Freund und meine WG. Wie eine Art Schicksalsgemeinschaft verbringen wir die dunklen Novembertage miteinander, heitern uns gegenseitig auf, trinken viel, kochen mehr und lachen gemeinsam. Währenddessen werden die Kontaktbeschränkungen strenger und die Laune erreicht gegen Anfang Dezember ihren Tiefpunkt. Einige Eltern meiner Freunde haben ihre Jobs verloren oder bangen um ihre Existenz.

Freunde, von denen ich dachte, sie seien meine Verbündeten haben sich schon seit Monaten nicht gemeldet oder ich melde mich nicht, da sie von Kontaktbeschränkungen und Corona im Allgemeinen nichts halten. Auch in meinem engsten Kreis haben einige die Krankheit schon hinter sich oder kämpfen noch mit ihr und ihren Folgen. Das Schlimmste: Menschen sind gestorben, viele Menschen sind gestorben.

Ich für meinen Teil habe die Augen vor der Gefahr lange genug verschlossen und spüre jetzt die geballte Ladung Angst und Ungewissheit. Allerdings habe ich auch etwas gelernt: Ich werde die Orte, Dinge und Menschen, die ich liebe, nie wieder als selbstverständlich erachten. Und so blicke ich frei von irgendwelchen Erwartungen an mich oder an meine Umwelt auf das Jahr 2021." Pauline Bergmann, 21 Jahre, Passau

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Ausblicke
:Die Gesellschaft wacht auf

2020 hat viel Kraft gekostet, aber auch Talente geweckt, Engagement gefordert und Innovationen beschleunigt. Leserinnen und Leser schreiben von Dankbarkeit, Demut und ermutigenden Plänen. Einige üben Kritik, andere haben Zukunftsangst.

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