Coronavirus:Einen Tagesablauf konstruieren

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Die Zeit gilt es zu strukturieren, jeden Tag ein Projekt: an einem Tag die Kleiderschränke ausmisten. Am nächsten die Schubladen im Arbeitszimmer. Am übernächsten Tag dann das Sortieren der Rechnungen, um am überüberübernächsten Tag die Abrechnungen machen zu können. Und am allerletzten Tag dann Anrufe, um die nächste Woche zu strukturieren und Termine zu vereinbaren. So wachsen wieder Projekte nach den Papierbergen, mit denen eine neue Ordnung in dieser Woche in die Wohnung eingezogen ist.

Coronavirus: Elf Schritte sind es auf den Balkon. Im Vordergrund die Bücher, sortiert danach ob sie bereits gelesen sind oder ob noch gelesen werden müssen.

Elf Schritte sind es auf den Balkon. Im Vordergrund die Bücher, sortiert danach ob sie bereits gelesen sind oder ob noch gelesen werden müssen.

(Foto: privat)

Die Bücher sind auf eine andere Weise gestapelt: Hier jene, die bereits gelesen sind und dort jene, die sich zur Lektüre aufdrängen. Jeden Tag ein Buch, wie wunderbar! Die Reiseliteratur, Landkarten und Informationsbroschüren sind endlich ordentlich sortiert und warten auf den nächsten Andrang an Besuchern, die sich für dieses Frühjahr angekündigt haben. Wenn sie denn kommen können.

Es ist eine Freude, Stimmen zu hören, reden zu können. Überhaupt, jeder Anruf ist ein Ereignis! Und das ist das Schöne daran, dass sich so viele melden - auch solche, mit denen man monatelang keinen Kontakt hatte. Die Maßnahmen in Israel sind eine Nachricht, ich trage ja auch mit meinen Berichten dazu bei. Ein Tag, an dem man viel zu schreiben hat, ist ein guter Tag - weil ein durchstrukturierter Tag, an dem man mehr als ein Projekt hat. Es melden sich Dutzende: Mit einer Whatsapp, einer aufmunternden Botschaft. In Israel lebende Freunde bieten an, Lebensmittelpakete vor die Tür zu stellen oder einen DVD-Player vorbeizubringen. Und alle stellen die gleiche Frage: Wie geht es Dir?

Das Stadium der permanenten Selbstüberprüfung

Gut! Aber ist da nicht ein Kratzen im Hals? Warum der Hustenreiz? Und die besorgte Anmerkung der Mutter, ob nicht meine Stimme belegt sei? Dabei war wieder einmal nur die Verbindung schlecht. Die Zeit in der Quarantäne ist ein Stadium der permanenten Selbstüberprüfung, man ist zurückgeworfen auf sich selbst, auch das ist ein Effekt des Zeithabens. Was ist mit meinem Körper? Jedes Ziehen löst einen offenbar eingebauten Autoprüfungsmechanismus aus. Das Phänomen der Angst hat auch Heidegger beschrieben: Die Welt verliert ihre Bedeutsamkeit.

Das Tor zur Welt sind die Medien: Es gibt ohnehin nur noch ein Thema, wenn man seinen Twitteraccount öffnet, auf die üblicherweise genutzten Websites geht oder den Fernseher einschaltet. Selbst für Newsjunkies gilt: Feste Zeiten zum Nachschauen fixieren, nicht ständig online sein. Loslassen! Die Welt dreht sich weiter, man muss nicht jede Minute auf dem aktuellen Stand sein.

Auf dem israelischen Nachrichtensender i24 werden die Kollegen mehr, die aus ihrem Zuhause zugeschaltet werden, weil sie in Quarantäne sind. In Israel gibt es fast keine Kritik an den Maßnahmen, in diesem Land ist man gewöhnt, mit Krisensituationen umzugehen. Und auch in Europa verbreitet sich das, was in Israel früh angeordnet wurde und damals überzogen schien, rasch: Immer mehr Länder machen dicht und schotten sich ab.

Das Leben draußen vibriert

Coronavirus: Der erste Kaffee in Freiheit schmeckt besser als beim letzten Mal.

Der erste Kaffee in Freiheit schmeckt besser als beim letzten Mal.

(Foto: privat)

Nach einer Woche ist die ersehnte Freiheit da: endlich wieder raus! Der erste Gang zum Supermarkt, wo alle Regale gut gefüllt sind - nur beim Mineralwasser herrscht Engpass. Aber das kommt auch in den Sommermonaten häufiger vor. Das Leben draußen vibriert, der Strand ist unendlich weit und lang, der Kaffee an der Bar mit Blick aufs Meer schmeckt besser als beim letzten Mal, die Luft ist salzgetränkt.

Die Zeit hat einen anderen Wert bekommen, das Gefühl der Langsamkeit steckt noch fest, nicht nur in den Gliedern. Und es tun sich nun theoretisch wieder unendlich viele Möglichkeiten auf, aber praktisch schließen sie sich: Fast alle Termine werden abgesagt mit Blick auf die aktuelle Situation, Gesprächspartner wollen sich "schützen". Pressekonferenzen und selbst die Regierungssitzung werden nur noch live gestreamt. Das schafft wieder ein neues Zeitgefühl, ein anderes. Was bleibt, ist das Bewusstsein, dass nicht alles so wichtig ist, wie es vor einer Woche noch schien.

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