Corona:Wir müssen lernen, mehr über den Tod zu sprechen

Alter Friedhof

Der alte Friedhof der Stadt Dachau. Die Pandemie kann uns lehren, besser mit dem Tod umzugehen.

(Foto: N.P.JØRGENSEN)

Mit der Pandemie dringt die brutale Endlichkeit des Menschen wieder ins Bewusstsein. Doch was fehlt, das ist der Austausch über das Sterben - und das gemeinsame Trauern.

Kommentar von Friederike Zoe Grasshoff

Routine hat sich über den Alarm der Gegenwart gelegt. Fast ohne es zu merken, zieht der Distanzmensch seine Maske auf, weicht aus, lebt weiter, irgendwie. Im Hintergrund rattern die Zahlen und Daten: mehr als 20 Millionen Infizierte weltweit, fast 165 000 Tote in den USA, mehr als 100 000 in Brasilien. Mit der Pandemie dringt der Tod zurück ins Bewusstsein und wird allgegenwärtig. Dabei war er nie weg.

Nur quetscht man ihn nun in Diagramme und Statistiken, der Begriff Übersterblichkeit und das Bild des "herumwütenden Virus" sind im Allgemein-Wortschatz angekommen wie Regenwahrscheinlichkeit oder Terror. Viele, und gerade junge Menschen werden mit der Möglichkeit des Sterbens konfrontiert, vielleicht zum ersten Mal. Anstatt die nächsten viereinhalb Biografie-Schritte zu planen, müssen sie plötzlich lernen, mit Vergänglichkeit umzugehen. Wut, Abwehr, Unsicherheit, Angst, Gelassenheit - alles ist erlaubt. Doch was fehlt, das ist das Sprechen über den Tod, das gemeinsame Trauern. Leichter geschrieben, als getan.

Ohne die grässlichen Covid-Zahlen relativieren zu wollen: Auch 2019 starben in Deutschland 939 520 Menschen; an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Gewalt, am Alter, an Krankenhauskeimen oder auch, weil sie einfach nur Pech hatten. Noch mehr Zahlen: Jedes Jahr sterben weltweit 1,5 Millionen Menschen an Tuberkulose, einer Krankheit, die in der Regel gut behandelbar ist. Neun Radfahrer verunglückten zwischen Januar und Juni in Berlin tödlich. Alles Menschen, die hinter längeren und kürzeren Meldungen verschwinden, Menschen, die jemandes Mutter, Kind oder Freund waren.

Die einen Zahlen werden als Selbstverständlichkeit des Lebens hingenommen, die anderen morgens im Radio verlesen. Das mag damit zu tun haben, dass es sich bei Sars-CoV-2 um einen neuen Erreger handelt - und auch damit, dass Krankheit im Kapitalismus oft in die Nähe individueller Schuld gerückt wurde: Wenn man seine 10 000 Schritte am Tag geht und Ingwer-Shots trinkt, kann ja nichts passieren. Oder eben doch. Corona ist ein Angriff auf diesen Gesundheitsglauben und auf die Macht der Verdrängung.

Routiniertes Abzählen ersetzt kein Gefühl

Sich nicht allzu verletzlich zu fühlen, dafür gab und gibt es gute Gründe. Die Lebenswartung liegt in Deutschland inzwischen bei circa 80 Jahren, bis März galten Seuchen als mittelalterlich. Nicht wenige dürften noch nie einen Toten gesehen haben. Denn ein Großteil der Menschen stirbt heute in Pflegeheimen oder Krankenhäusern und nicht zu Hause, dort, wo laut Umfragen die meisten ihre letzten Tage am liebsten verbringen würden. Kein Wunder, dass nicht wenige sprachlos sind, wenn die Kollegin ihren Mann verliert; was soll man da auch sagen?

Zu sagen gäbe es einiges, wären da eine gemeinsame Sprache, Riten oder mehr Akzeptanz für die brutale Endlichkeit der Dinge. An dieser Pandemie ist nichts Gutes, nein. Wenn es aber etwas gibt, was man in dieser kranken Ära lernen kann, dann ist es ein sicherer Umgang mit dem Tod - der über den Konsum von Tatort- und Netflix-Gemetzel hinausgeht. Man könnte diese Phase der Geschichte zum Anlass nehmen, die Eltern zu fragen, wie sie einmal leben oder sterben wollen; zum Anlass, den Friedhof zum Ort der Begegnung zu wandeln; und als Warnung, bei all den kalten Statistiken die Menschen dahinter nicht zu vergessen. Routiniertes Abzählen ersetzt kein Gefühl.

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