Corona-Virus:"Gemeinsam steht man alles durch"

07.03.2020 Waldshut , DEUTSCHLAND , Hamsterkäufe in einem deutschen Discounter , Schweizer Einkaufstourismus . Angst vor

Einkaufen, ja bitte - und zwar am besten für ältere Menschen, die durch das Coronavirus besonders bedroht sind.

(Foto: imago images/Geisser)

Eine Frau hängt in Wien einen Zettel in den Hausflur, auf dem sie älteren Menschen ihre Hilfe beim Einkaufen anbietet. In Heinsberg werden T-Shirts für den guten Zweck verkauft.

Von Mareen Linnartz und Oliver Klasen

Zettel an Innenseiten von Haustüren verheißen normalerweise nichts Gutes. Der Kaminkehrer kündigt seinen Besuch zu merkwürdigen Uhrzeiten an. Die Hausverwaltung bittet, die Schrotträder aus dem Keller zu holen, sofern sie einem gehören, ansonsten werden sie nämlich entsorgt. Die WG aus dem zweiten Stock macht eine Party am Wochenende, zu der natürlich alle eingeladen sind, und sollte es zu laut werden: "Bitte bei uns melden!"

Am Mittwoch dieser Woche aber hängte Sabine Beck eine Botschaft in Klarsichthülle auf, gerichtet an die Bewohner ihrer Wiener Hausgemeinschaft: "Liebe Nachbar*innen! Sollten Sie über 65 Jahre alt sein und ein geschwächtes Immunsystem haben, möchte ich euch unterstützen, gesund zu bleiben." Beck bietet an, Einkäufe zu erledigen und auch sonst unter die Arme zu greifen, "falls Sie also Unterstützung brauchen, stecken Sie mir bitte einen Zettel an die Tür". Am Ende schreibt sie Worte der Ermunterung: "Gemeinsam steht man alles durch. Sie sind nicht alleine!"

Ihr Zettel ist eine konkrete Umsetzung dessen, wozu unter dem Hashtag #NachbarschaftsChallenge auf Twitter seit ein paar Tagen Nutzer aufrufen: Nämlich älteren oder immunschwachen Menschen, die besonders gefährdet sind, schwer an Covid-19 zu erkranken, jetzt beizustehen. Reihenweise posten Nutzer ihre Aushänge, andere stellen Vorlagen bereit.

Heiko Maas bedankte sich bei ihr

Der Zettel von Sabine Beck wurde auch vom deutschen Außenminister Heiko Maas bemerkt: "Das #Coronavirus verlangt uns allen viel ab. ... . Es zeigt uns, wie wichtig Zusammenhalt und Solidarität ist" schrieb er auf Twitter, und dann noch: "Vielen Dank für Ihren Einsatz!" "Dass sich Heiko Maas mal bei mir bedankt, hätte ich nicht erwartet", erzählt Beck am Telefon.

40 Parteien wohnen in ihrer Hausgemeinschaft, darunter auch einige ältere Menschen. "Die haben oft wahnsinnige Hemmnisse, um Hilfe zu bitten. Ich wollte einfach eine Einladung abgeben und zeigen: Ich bin da." Wenige Minuten nach ihrem Aushang, erzählt die 49-Jährige, habe bereits eine andere Nachbarin, eine Studentin, mit einem Kuli auf den Zettel geschrieben, dass auch sie sehr gerne helfe.

Dass Solidarität der Schlüssel sein wird, diese Krise zu bewältigen, das lässt sich auch in Heinsberg beobachten, ganz im Westen der Republik, wo etwa die Hälfte der 900 Coronafälle in Nordrhein-Westfalen verzeichnet werden.

In Heinsberg werden T-Shirts für den guten Zweck verkauft

Der dortige Landrat Stephan Pusch (CDU) hätte es vor wenigen Wochen vermutlich noch für unvorstellbar gehalten, dass er mal ein Youtuber wird und zweimal am Tag Botschaften versendet. Aber jetzt tut er es und ähnlich wie früher Uli Wickert in den Tagesthemen, der den Zuschauern stets eine "geruhsame Nacht" wünschte, schließt Pusch seine Ansprachen mit einer immer wiederkehrenden Formel, die auch zu einem Hashtag geworden ist: "HS be strong" - "Heinsberg, bleib stark".

Am Donnerstagmorgen hat Pusch das bisher letzte Video aufgenommen. Acht Minuten. Er wolle diesmal nicht über neue Fallzahlen reden und über medizinische Maßnahmen. Sein einziges Thema heute: Solidarität. Die sei, so wie er es erlebe, beispiellos in seinem Kreis. "Was die geistige Gesundheit angeht, ist es derzeit nirgendwo so gut wie im Kreis Heinsberg".

Wenn er eine Erkenntnis aus den vergangenen Tagen habe, dann diese: "Ich hier als kleiner Landrat erlebe das: Es hilft nur Solidarität, Normalität und Mitgefühl. In dieser Situation müssen wir uns unterhaken". Mitgefühl, das muss sich nicht unbedingt in konkreter Hilfe äußern, manchmal geht es auch um Taten mit Symbolkraft. So sind zum Beispiel T-Shirts in Heinsberg gedruckt worden mit dem Schriftzug #hsbestrong, die nun für einen guten Zweck verkauft werden.

Corona-Virus: Der Zettel, den Sabine Beck in Wien in ihren Hausflur gehängt hat.

Der Zettel, den Sabine Beck in Wien in ihren Hausflur gehängt hat.

(Foto: @sabine_beck/twitter)

Sabine Beck, die normalerweise zwischen Hamburg und Wien pendelt, stellt sich nun auf mehrere Wochen Homeoffice ein. Ab kommender Woche haben alle Schulen in Österreich geschlossen, sie ist Mutter einer zwölfjährigen Tochter. "Wir werden alle für eine gewisse Zeit unseren Alltag umstellen müssen. Es wird Einschränkungen geben. Allein deswegen werden wir uns untereinander organisieren müssen." Auf ihre Botschaft hin hat sich gleich eine ältere alleinstehende Dame gemeldet. Im Moment brauche sie die Hilfe noch nicht, sie habe jemanden. Aber, sagte sie: "Ich freue mich so, dass jemand an mich denkt."

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