Deutschland sei ohnehin schon das Land der Nichtschwimmer, sagt Alexander Gallitz, und er befürchtet, dass sich die Lage noch verschärft, weil wegen Corona in diesem Jahr viele Schwimmkurse ausfallen. Gallitz ist Gründer der Schwimmschule Flipper, einer der größten des Landes, außerdem ehemaliger Junioren-Europameister und Präsident des Deutschen Schwimmlehrerverbands. Ein Gespräch über Ängste von Kindern und Eltern und die besten Methoden, um sich unter Wasser sicher zu fühlen.
SZ: Herr Gallitz, Sie sind seit frühester Kindheit Schwimmer. Wie haben Sie es gelernt?
Alexander Gallitz: Tatsächlich ist da mein sechs Jahre älterer Bruder schuld. Erst bekam er vom Orthopäden Schwimmsport verordnet, später brachte er Medaillen von Wettkämpfen heim.
Und da waren Sie eifersüchtig?
Meine Eltern waren mächtig stolz auf ihn - und ich, der kleine Bruder, bin natürlich überallhin mitgefahren. Ich war neugierig, habe ihm nachgeeifert. Da hatten meine Eltern Angst, dass ich mal abhaue und ins Wasser falle. Also hieß es für mich: schwimmen lernen. Nach einem halben Jahr war ich so gut, dass meine Eltern mich unbeaufsichtigt im Lehrschwimmbecken schwimmen lassen konnten. Da war ich drei Jahre alt.
Sie konnten mit Drei schwimmen?
Klar! Dass ein Kind unter sechs Jahren nicht schwimmen lernen kann, wie es die DLRG manchmal behauptet, stimmt nicht. Mein jüngster Schüler ist zweieinhalb. Sein Kind an das Wasser zu gewöhnen, damit fängt man am besten ab dem zweiten Lebensjahr an. Das ist übrigens viel wichtiger als ein Schwimmabzeichen. Ein Seepferdchen ist kein Garant dafür, dass ein Kind schwimmen kann.
Warum nicht?
Beim Seepferdchentest schaffen es viele Kinder, das Untertauchen mit dem kompletten Kopf und offenen Augen zu umgehen, und sie müssen nur 25 Meter am Stück schwimmen. In einer echten Notsituation kommt man damit nicht weit. Meine Devise: Erst wenn ein Kind 15 Minuten Powerschwimmen, 1,80 Meter tief tauchen und vom Ein-Meter-Brett springen kann, ist es ein sicherer Schwimmer.
Coronabedingt fallen viele Schwimmkurse aus. Was können Eltern selbst tun, um ihr Kind mit dem Wasser vertraut zu machen?
Als Erstes müssen die Kleinen merken, dass sie im Wasser schweben können, also nicht untergehen. Das übt man mit dem Seestern.
Wie geht der?
Auf den Rücken drehen, alle viere von sich strecken. Das ist die Basis. Danach kann man die Kinder auf die Schwimmnudel setzen, um das Gleichgewicht zu trainieren. Die Kleinen sollen lernen, mit dem Körper oben zu bleiben. Nächster Schritt sind die Arme, das haben sie in der Regel immer sehr schnell raus. Wir sagen den Kindern immer, dass wir Maulwürfe sind.
Schon wieder ein Tier.
Ja, weil wir wie Maulwürfe durchs Wasser schaufeln. Schließlich kommen die Beine. Hier machen die meisten Kinder erst die klassischen Kraulbeine - das ist völlig okay. Sobald sie sich mit dieser Variante - Arm-Brust, Bein-Kraul - sicher fühlen, kann man die Froschbeine mit ihnen üben.
Was macht man, wenn das Kind sich nicht traut oder sogar eine Wasserphobie hat?
Mit einfachen Übungen lässt sich das Vertrauen zum Wasser aufbauen. Erst mal muss das Kind den Druck des Wassers auf den Körper spüren, auf den Kopf, auf das Gesicht und auf die Augen. Das geht in der Badewanne, mit Duschen und Tauchen. Sehr wichtig dabei: den Waschlappen weglassen.
Den Waschlappen?
Manche Eltern halten ihren Kleinen beim Duschen einen Waschlappen vor die Augen. So kommt zwar kein Wasser hinein, aber leider stellt sich der Reflex ein, nach einem Waschlappen zu greifen, wenn das Gesicht nass wird. Darum: Den Waschlappen wirklich nur zum Waschen verwenden! Auch auf die Schwimmbrille sollte man verzichten. Ein Kind sollte von Anfang an lernen, seine Augen unter Wasser zu öffnen. In einer Gefahrensituation, etwa wenn es über Bord geht, kann es auch nicht als Erstes nach seiner Brille suchen. Das Tauchen kann man spielerisch üben, mit Gummitierchen in der warmen Badewanne - ohne Seife, ganz wichtig! -, nach denen die Kinder tauchen können. Und was auch sehr gut ist: blubbern.
Wie funktioniert das?
Wenn die Kinder mit einem Strohhalm Luft ins Wasser blubbern, lernen sie, gegen den Wasserwiderstand Luft rauszupusten. Die Unterwasser-Ausatmung ist das Fundament. Die üben wir mit den Kindern in der ersten Schwimmstunde.
Es gibt unzählige Do-it-yourself Kurse und Videos, die Eltern zeigen, wie sie ihren Kindern das Schwimmen beibringen können. Braucht man da überhaupt noch Schwimmlehrer?
Lassen Sie es mich so sagen: Online-Kurse sind besser als gar nichts. Aber die Gefahr ist, dass den Kindern etwas Falsches beigebracht wird oder, noch schlimmer, dass Kinder dazu verleitet werden, etwas zu tun, zu dem sie sich noch nicht bereit fühlen. Einfach, weil sie Mama und Papa gefallen wollen. Das können Schwimmlehrer verhindern.
Wer ist ängstlicher bei der ersten Schwimmstunde, die Kinder oder ihre Eltern?
Definitiv die Eltern! Bei den Kindern, das sage ich immer scherzhaft, gibt es quasi vier Typen: die Pflegefälle, die nicht vom Rockzipfel der Mama wegwollen. Die Heulsusen, die mit der Situation heillos überfordert sind. Die Professoren, die alles besser wissen. Und, besonders wichtig für die Gruppe: die Helden, die alles mitmachen. Leider hat in den letzten Jahren die Anzahl der Pflegefälle und Heulsusen zugenommen, das muss man wirklich sagen.
Woran liegt das?
Die Eltern trauen ihren Kindern zu wenig zu. Sie lassen sie zum Beispiel auch nicht mehr auf Bäume klettern. Zum Glück gibt es im Schwimmkurs die Gruppendynamik. Die hilft, dass auch die anfangs skeptischen Kinder rasch Vertrauen gewinnen. Und ist die Unsicherheit erstmal überwunden, lernen auch die Heulsusen in null Komma nichts.