Comme des Garçons bei H&M:Ausverkauf wider Willen

Die H&M-Kollektion von Rei Kawakubo, Designerin von Comme des Garçons, war innerhalb von 15 Minuten ausverkauft. Das wäre ihr früher nie passiert.

Ann-Christin Gertzen

Rei Kawakubo ist ein Geist. Fotos von ihr muss man lange suchen, Interviews und Zitate ebenso. Nur zwei Journalisten gewährte sie bisher eine intensivere Seance. Mit ihrer H&M-Kollektion ist der Spuk nun vorbei.

Comme des Garçons bei H&M: Schlange stehen für Comme des Garçons: Schon bevor der Shop an diesem Morgen eröffnete, standen sich die Kunden die Füße in den Bauch. Die Kollektion von Designerin Rei Kawakubo ist bereits die fünfte High-End-Kooperation des schwedischen Modehauses.

Schlange stehen für Comme des Garçons: Schon bevor der Shop an diesem Morgen eröffnete, standen sich die Kunden die Füße in den Bauch. Die Kollektion von Designerin Rei Kawakubo ist bereits die fünfte High-End-Kooperation des schwedischen Modehauses.

(Foto: Foto: ddp)

Zwar erinnerte die Präsenz der "Comme-des-Garçons"-Teile in den H&M-Shops sehr an ihre Designerin - kaum waren sie da, waren sie auch schon wieder weg - doch die Nachwirkungen könnten langlebiger sein, als es Rei Kawakubo vielleicht recht ist. Gerade einmal 15 Minuten dauerte es, bis die "Comme des Garçons"-Kollektion in den 200 Filialen in Deutschland bis auf wenige Einzelteile ausverkauft war. Damit bleibt auch die fünfte Kooperation mit einem High-End-Label nicht hinter den Erwartungen zurück. "Wir sind mehr als zufrieden", sagt Hendrik Alpen, Pressesprecher von H&M Deutschland.

Nach Karl Lagerfeld, Stella McCartney, Victor & Rolf und Cavalli hat das schwedische Modehaus die bisher überraschendste Kooperation aus dem Hut gezaubert. Scheinbar - denn Rei Kawakubo stand schon lange auf der Wunschliste von H&M Chef-Designerin Margarete van den Bosch.

Dabei ist das Label eigentlich bei vielen, die sich nicht vorrangig zu den Fashion-Victims zählen würden, eher unbekannt. Comme des Garçons schaltete bis vor einiger Zeit überhaupt keine Werbung und wenn doch, war die nur schwer als solche zu enttarnen. Kleidung wurde aus Prinzip nicht abgebildet. Ohne jede Vorankündigung eröffneten weltweit Stores, versteckt in abgelegenen, heruntergekommenen Stadtvierteln. Wer sucht, der findet - zum Beispiel einen kleinen mit hellem Parkett ausgelegten Laden in einer alten Lagerhalle in Glasgow. Die neueste Idee sind winzige Pocket-Stores - Kioske für Designer-Kleidung. "Es ist aufregend, mit H&M zusammenzuarbeiten, denn so können die Stücke an Orten verkauft werden, wo sie noch nie zu bekommen waren", sagte Rei Kawakubo im Vorfeld - doch H&M ist kein Guerilla-Store.

Als Rei Kawakubo 1981 ihre erste Prêt-à-Porter-Schau in Paris vorführte, eckte sie mit löchrigen Fetzen-Pullovern in der Szene an. "Hiroshima-Look" wurde die Kollektion sogar geschimpft. Der Designerin gefiel die Provokation. In jeder Saison entwarf sie alles komplett neu. Dekonstruktion, Polka-Dots und Löcher blieben allerdings ihre bevorzugten Elemente. Bei so viel Unkonventionalität wurde Comme des Garçons schnell zum Liebling der Intellektuellen, der Künstler und Galeristen.

"Nichts was zuvor gesehen wurde, nichts was zuvor wiederholt wurde", ist eines der wenigen Zitate von Rei Kawakubo. Als sie 1969 in Tokio ihr Label gründete, wollte sie feministische Mode machen. Für Frauen, die auch das Recht haben sollten, auszusehen "wie Jungs". Androgynität stand im Vordergrund, rebellische Dekonstruktionen. Schwarz wählte sie, um die Vergänglichkeit der Mode zu zeigen. "Die Kontaktzone zwischen Körperform und Kleidung verwischen", das war es, was sie wollte. Hinter einem weißen leeren Schreibtisch überlegte sie sich vor jeder neuen Saison, wie sie das am besten schaffen könnte. Zugunsten ihrer Kreationen zog sie sich völlig aus der Öffentlichkeit zurück.

Bisher waren die Kleider von Comme des Garçons vor allem jenen vorbehalten, die sich mit der Marke identifizieren konnten. Rei Kawakubo reagierte geradezu beleidigt, wenn Menschen ihre Kollektion auf Anhieb mochten. Weil sie sich dann nicht mit ihrer Mode auseinandergesetzt haben konnten. Ob sie darauf gehofft hatte, dass ihre Kollektion für H&M ein Ladenhüter werden würde?

Was den Grundgedanken des Labels betrifft, die Abscheu gegenüber allem Kommerziellen, könnte das Unternehmen nicht weiter von H&M entfernt sein. "So ganz stimmt das nicht", sagt Hendrik Alpen. "Comme des Garçons ist vor allem überraschend, und H&M ist das auch." Jede Designer-Kooperation zeigte einen komplett neuen Stil, insofern hatte er sogar recht. Der Überraschungseffekt bei H&M und Comme des Garçons ist jedoch ein anderer: Während sich H&M ständig mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, abzukupfern, schuf Rei Kawakubo tatsächlich Neues. Einen neuen Look, neue Marketing-Konzepte und einige neue Kunden für die Schweden.

Vielleicht ist es einfach nur der Mythos Rei Kawakubo, der unangepassten Avantgardistin, der jetzt entmystifiziert wird. Denn schließlich ist es nicht die erste Kollektion, die sie für große Hersteller zur Verfügung stellt. Für Speedo entwarf sie unkonventionelle Badeanzüge, für Fred Perry Polohemden und jüngst sogar Taschen für Louis Vuitton.

Mit dem tieferen Sinn ihrer Mode, dem besonderen Schnitt und Details können sich die Besucher der 200 ausgewählten H&M-Stores nicht lange aufgehalten haben. Auch wenn es ihrer Philosophie widerspricht: Die Kunden fanden es toll.

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