Süddeutsche Zeitung

Coming-out von Thomas Hitzlsperger:Hinter der Begeisterung steckt Unsicherheit

Was die Gleichberechtigung von Homosexualität angeht, ist Deutschland im internationalen Vergleich weit vorne. Doch auch hierzulande findet man Ressentiments. Die Begeisterung über das Coming-out von Thomas Hitzlsperger zeigt auch, wie viel zu völliger Akzeptanz noch fehlt.

Ein Kommentar von Andrian Kreye

Homosexualität bleibt die letzte Front im weltweiten Kampf für Menschen- und Bürgerrechte. Deutschland gehört in diesem Kampf längst zu den Pionieren; nicht nur in seiner Gesetzgebung und Politik. In einer Umfrage zur weltweiten Stimmung, die das Pew Research Center im vergangenen Sommer veröffentlichte, antworten 87 Prozent der Deutschen auf die Frage "Soll die Gesellschaft Homosexualität akzeptieren" mit Ja. Damit landete Deutschland in der Rangliste auf Platz zwei (Auf Platz eins: Spanien mit 88 Prozent).

Hinter der etwas überbordenden Begeisterung über das Coming-out des ehemaligen Fußball-Nationalspielers Thomas Hitzlsperger, in den Schlagzeilen mit ihren Ausrufezeichen und dem betonten Respekt vor dem Mut des Mannes verbirgt sich allerdings auch ein Moment der Unsicherheit. Denn die Tatsache, dass Hitzlsperger Mut bewiesen hat, heißt ja auch, dass dieser Konsens gar nicht so selbstverständlich ist.

Und wo stecken eigentlich die elf Prozent, die sich dezidiert gegen die Akzeptanz ausgesprochen haben? Reichen die schon aus, um den Konsens zu gefährden? Als Partei kämen sie immerhin ins Parlament. Und sind es wirklich nur elf Prozent? Oder sind unter den 87 Prozent nicht auch noch ein paar Pflichteifrige, die selbst in anonymen Umfragen die politisch unkorrekten eigenen Meinungen lieber verbergen?

Männerdomänen unter Generalverdacht

In den Fankurven der Stadien wird man einige der elf Prozent finden. Fankurven gehören in unserem selbstbeherrschten, höflichen Land zu den wenigen Orten, an denen sich Leidenschaften entfesseln können. Deswegen wird man dort auch immer dem Ressentiment begegnen, als finsterem Gegenstück zur Leidenschaft.

Auch an den sozialen Brennpunkten vermutet man sie, dort wo Armut und Bildungsferne einen toxischen Urschlamm des Hasses bilden. Und was ist mit den Stammtischen, den Sportvereinen, Motorradclubs, Whisky-Verkostungen, den letzten Domänen also, die Männern noch bleiben?

Da aber ist man schon im umgekehrten Ressentiment. Das unterstellt, dass jede Form der Männerbündelei auch gleich einen unsicheren Umgang mit der eigenen Sexualität und in Folge Furcht vor der Homosexualität bedeuten könnte. Denn bei den Debatten um die Homosexualität geht es meist um ganz andere Dinge als um Sexualität, und nur selten um Sex. Sexualität ist da nur ein Identitätsstifter. In Wahrheit geht es um den Willen zur liberalen Moderne, oder um die Furcht davor.

Das statistische Fazit der Umfrage ist ganz eindeutig. Schlusslichter der Toleranzliste sind Nigeria mit 98 Prozent Ablehnung sowie Jordanien, Uganda, Senegal und Ägypten mit ebenfalls weit mehr als 90 Prozent. Dazu kommt dann noch eine Liste von 83 Ländern, in denen es Gesetze gegen Homosexualität gibt. In Iran, Jemen und dem Sudan, in Saudi-Arabien und Mauretanien, in Teilen Nigerias und Somalias steht auf Homosexualität die Todesstrafe, in Uganda lebenslange Haft.

In allen diesen Ländern spielt der Glaube eine finstere politische Rolle. Und es sind ja immer Machtansprüche, die sich mit dem Hass auf gleichgeschlechtliche Liebe verbinden. Toleranz ist die Speerspitze des Pluralismus und somit eine Gefahr für jede Form der autokratischen Herrschaft. Es sind vor allem die charismatischen Kirchen, die in Entwicklungsländern wie Uganda und Belize aus der Homophobie populistisches Kapital schlagen.

Anderswo sind es islamische Geistliche mit politischen Ambitionen, konservative Hindus und Buddhisten. Doch auch in den ehemaligen Supermächten des Kalten Krieges stellen sich in den religiös aufgeheizten Debatten um Homosexualität vor allem Machtfragen.

Wladimir Putin benutzt die Homophobie, um sein Verhältnis zur russisch-orthodoxen Kirche und damit seine Macht zu festigen. In den USA ist die gleichgeschlechtliche Ehe in den wohlhabenden, eher von Demokraten dominierten Bundesstaaten wie New York, Connecticut und Kalifornien erlaubt. In 13 ärmeren, konservativen Staaten wie Alabama, Florida und Mississippi steht Homosexualität - dort "Sodomie" genannt - immer noch unter Strafe.

In Deutschland und dem westlichen Europa ist die Homophobie inzwischen an die Ränder der Gesellschaft verbannt. Politischer Widerstand gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ist in einer stabilen Demokratie nur ein anachronistisches Echo vormoderner Machtansprüche, ähnlich wie der Schwulenwitz heute nur noch selten diskriminierend gemeint ist, sondern meist als Trotzreaktion gegen den liberalen Status quo. Mit der Homophobie ist es da nicht anders als mit Rassismus, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit. Als Ressentiment mag es sie immer geben. Eine Bedrohung dürfen sie nicht sein.

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SZ vom 10.01.2014/resi
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