Süddeutsche Zeitung

Mit Humor gegen Trauer:Wirklich todkomisch

Gibt es ein Mittel gegen die Sprachlosigkeit, wenn es um das Sterben der eigenen Eltern geht? Ja - den Comic der Zeichnerin Roz Chast.

Von Johan Schloemann

Nichts, gar nichts ist einfach, wenn man alt wird, gebrechlich, hinfällig. Doch immer noch halten wir uns, als eine alternde Gesellschaft, sehr gerne fest an Heldenbildern von rüstigen Greisen, an Ausnahmeerscheinungen, die in allerhöchstem Alter noch Schwimmrekorde aufstellen, dicke Bücher schreiben oder die Weltpolitik erklären. Und immer noch machen wir blöde Zigarettenwitze über Helmut Schmidt, die längst schal geworden sind wie kalter Rauch; als der verehrte Altkanzler am Donnerstag aus dem Krankenhaus entlassen wurde, teilte eine Nachrichtenagentur mit, er sei "aber noch nicht vollständig geheilt". Meine Güte, der Mann ist 96 Jahre alt! Könnte man nicht auch einfach mal aussprechen, dass er wahrscheinlich bald sterben wird?

Den überhaupt nicht ermutigenden, sondern eher einschüchternden Erzählungen von Supergreisen in der Öffentlichkeit entspricht in den Familien die Sprachlosigkeit. Also die sehr verständliche, am Ende aber oft unheilvolle Weigerung, über eben dieses Ende schon vorher zu reden. Wer pflegt wen wann und wo, wenn es so weit ist? Was kann, was will wer dafür bezahlen? Wie viel Medizin soll unser Leben verlängern? Oder verkürzen? Was wird denn eigentlich, wenn zuerst der eine oder zuerst die andere nicht mehr da ist?

Darüber zu sprechen fällt schwer

Schwierig ist natürlich, dass sich diese Szenarien nicht im Einzelnen vorhersehen und planen lassen, weil es sich oft nicht um plötzliche Ereignisse, sondern um schleichende Prozesse handelt. Und im Falle von Paaren oft um Symbiosen, die seelisch und lebenspraktisch derart verwoben sind, das allein schon ihre gedankliche Trennung unüberwindbar schwerfällt. Überhaupt ist vieles, wenn es ums Lebensende geht, nicht leichter gesagt als getan.

Noch viel, viel schwieriger aber wird es ohne Zweifel, wenn man sich gar nicht damit beschäftigt, wenn die Alten es versäumen, ihr Haus, wie man früher sagte, zu bestellen. Genau solche Meister der Verdrängung waren auch die Eltern der amerikanischen Cartoonistin Roz Chast. Deswegen heißt ihr großartiges Buch über die beginnende Pflegebedürftigkeit und das Sterben ihrer Eltern, das jetzt auf Deutsch erschienen ist: "Können wir nicht über was anderes reden?" (Rowohlt Verlag, übersetzt von Marcus Gärtner, 239 Seiten, 19,95 Euro, E-Book 16,99 Euro). Auch als es bereits sehr übel um ihren Vater stand, wurde Roz, die Tochter, einmal von ihrer Mutter regelrecht angeschrien: "Ich will und werde nicht übers Sterben reden!!"

Sie haben uns die Windeln gewechselt - und brauchen nun selbst welche

Man muss es aber ja doch irgendwann tun, und wenn es ein wenig leichter fiele, dann könnte das an der Lektüre dieses ungewöhnlichen Buches liegen. Rosalind "Roz" Chast zeichnet seit 1978 Karikaturen für das Magazin The New Yorker. Man kann sich kaum etwas Menschenfreundlicheres und zugleich Lustigeres vorstellen als ihren absurden, existenzialistischen, neurotischen Humor.

Schon in ihren früheren Zeichnungen spielte immer auch ihre Herkunftswelt eine Rolle, eine jüdische, russischstämmige Einwandererfamilie im eher schäbigeren, kleinbürgerlichen Teil von Brooklyn. Jetzt aber wird die eigene Familie ganz ausdrücklich Gegenstand einer ausführlichen, gezeichneten Erzählung, einer todtraurigen und todkomischen Rechenschaft über die Eltern, die einem einst die Windeln gewechselt haben und die irgendwann selber welche brauchen. Sie heißen jetzt nur Inkontinenzhosen.

38 Jahre lang haben Roz Chasts Eltern, ein verschrobenes, sparsam lebendes Lehrerehepaar, in derselben Wohnung gewohnt. Als sie das, beide über neunzig, nicht mehr schaffen, da kämpfen nicht nur die Eltern um ihre Autonomie, zunehmend vergeblich. Nein, auch die erwachsene, verheiratete, erfolgreiche Tochter tut es: Sie hat sich eigentlich nicht vor Jahren mühsam von einem als beengt, ja einzwängend empfundenen Elternhaus emanzipiert, um sich jetzt unter noch prekäreren, bedrückenderen Umständen dort wieder einzugliedern. Aber das ist, Gott sei Dank, nicht ihr einziges Gefühl: Da ist auch Mitleid, Dankbarkeit, Treue und Zusammenhalt.

Nach und nach schwinden die Fähigkeiten und wächst die Abhängigkeit, von den ersten Stürzen bis zum betreuten Wohnen, von der Dauerpflege bis zur Sterbestunde. Bald müssen alle Eventualitäten besprochen werden: Das, was bei uns Patientenverfügung heißt, ist in Amerika der in einem Formular festzuhaltene Wunsch "Do not resuscitate" ("Keine lebenserhaltenden Maßnahmen durchführen!"). Die Abkürzung "DNR" steht auf einem Armband, das die entsprechenden Patienten tragen - darauf spielt die obige Zeichnung an.

Nichts ist geregelt, alle Fragen sind offen

Roz Chast hat das Glück, dass ihre Eltern Pfennigfuchser waren, ja fast pathologische Asketen; sie haben so viel gespart, dass Roz sie in ein wohlgeordnetes Pflegeheim zu sich nach Connecticut holen kann (obwohl selbst sie mit der Zeit die Sorge hat, dass das Geld irgendwann nicht mehr reichen könnte). Also ist zunächst einmal alles geordnet und geregelt? Nichts ist.

Es werden nur immer mehr Fragen: Wie verhält man sich zu seinem verwirrten, wund gelegenen Vater? Wie arrangiert man sich nach Jahrzehnten der Zweisamkeit plötzlich mit fremden Greisen im Speisesaal? Was tun mit dem ganzen Kram in der alten Wohnung? Was mit den Posthaufen, in denen zwischen Werbung vom China-Imbiss wichtige Behördenbriefe liegen? Soll man noch Argumente austauschen, bis die Alten jähzornig oder niedergeschlagen werden? Oder immer nur jaja sagen und sie wie Kinder behandeln? Kann man Versäumtes in der letzten Zeit noch nachholen? (Man kann es meist nicht.)

Längeres Leben und weniger Kinder, das sind Gründe für eine wachsende Literatur, die sich ums Pflegen und Sterben sorgt. Roz Chasts Lang-Cartoon sticht aus dieser Literatur heraus. Ihr Witz nimmt nichts vom Ernst der Lage, aber er macht ihn einfach erträglicher und menschlicher. Nicht alberner, sondern würdiger.

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Quelle:
SZ vom 18.09.2015/vs
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