Comeback der Taschenmarke MCM:"Aääh, mach das weg!!!"

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Also bitte, dieses Münchner Label trägt heute doch kein Mensch mehr? Oh, doch. Noah Beckers Freundin zum Beispiel. MCM hat in seiner Glanzzeit zwar so ziemlich alles verbockt. Doch die Zielgruppe ist mittlerweile gealtert und die neue Generation hat es längst vergessen. Zum Glück. Sieben Regeln für ein gelungenes Comeback.

Verena Stehle

Zum ersten Mal sah man es in der vordersten Reihe einer Modenschau. Da hockte es seelenruhig auf dem Schoß von Rafaela, der ersten großen Liebe von Boris Beckers Sohn Noah. Das Ding hatte eine chitinhaft glänzende, hellbraune, irgendwie strukturierte Oberfläche. Und unser Gehirn reagierte darauf, als hätte man gerade einen riesengroßen, sehr gefährlichen Käfer entdeckt: äääh, mach das weg!!!

Einst sprach die Marke die Schönen und Reichen an, wie das Zauberer-Duo Siegfried und Roy. Heute umgarnt sie die Hippen. (Foto: N/A)

Es war - natürlich - kein giftiges Insekt, das aus einer Costa-Rica-Obstkiste geschlüpft war. Es war nur eine kleine Tasche. Jedoch - von MCM. Jener Münchner Marke, vor der man sich in Jetsetkreisen so lange gefürchtet hatte, seit sie Tageskneipenwirtinnen und Pudelsalonkunden für sich entdeckt hatten. Ja, vor langer Zeit, Anfang der 90er Jahre, war "Modern Creation München" glamouröser als Louis Vuitton, mit 250 Filialen weltweit und 500 Millionen Mark Jahresumsatz.

Lady Di besaß MCM. Michael Douglas. Romy Schneider. 1995 stürzte die Marke ab - Probleme mit der Steuerbehörde, Fehler im Management, Asienkrise ... alles nachzulesen im Buch "Die Michael Cromer München Story". Und jetzt, wie aus dem Nichts, ist MCM wieder da. Auf der Berliner Modewoche schwirrte das Logo überall herum. Wie kann das sein?

Regel 1: Fortbleiben

Das Comeback an sich ist eine ziemlich öde Zeiterscheinung. Formel-1-Fahrer, alte Sprachen, Schlaghosen, die Pastinake - alles kommt irgendwann zurück. Spannend ist es nur, wenn der, der wieder ganz nach oben will, vorher ganz weit unten war. Wie Britney Spears. Oder MCM. Die Schwierigkeit an einem Comeback ist ja nicht das Zurückkommen an sich, sondern das sofortige Zurückfinden zur alten Höchstform, bei gleichzeitiger Retusche aller Wunden, die der Absturz hinterlassen hat.

Das erfolgreiche Comeback setzt aber noch früher an. So sagen Markenberater: Man muss erst wirklich weg sein, um überhaupt wiederkommen zu können. Britney Spears war nicht lange genug weg; die Bilder ihrer frischrasierten Glatze sind immer noch präsent. MCM hingegen war sehr lange sehr weit weg. Ende der 90er Jahre war Cromer als Geschäftsführer entlassen, die Marke zerlegt und weiterverkauft.

Beim Begriff "MCM" sagten vermögende Kids umgehend ihr Sätzlein auf: "Was heißt MCM? Muschi Club München, höhö!" 2005 kaufte dann die koreanische Investorin und Multimillionärin Sung Joo Kim die Marke, die in Asien - sogar zu den damaligen Krisenzeiten - umsatzstärker war als Louis Vuitton und Gucci. Egal: Im Heimatland von MCM hatte man sich längst von Louis Vuitton und Gucci trösten lassen.

Regel 2: Vergessen lassen

Comebacks brauchen Zeit. Auch weil die Leute Zeit brauchen zu vergessen. Seit dem Kollaps von MCM sind über zehn Jahre vergangen. Die einstigen Stammkunden? Sind heute alt. Die neue Zielgruppe, ihre Kinder und Kindeskinder, erinnert sich vage - an eine ramponierte Marke. Aber Beziehungen zu Marken sind wie Beziehungen zu Menschen. Und Images wie Erinnerungen: Sie verwaschen sich, werden verklärt. Und wenn eine Marke etwas verbockt hat, bekommt auch sie eine zweite Chance.

Sung Joo Kim jedenfalls hat gut daran getan, mit der Eroberung des deutschen Marktes so lang wie möglich zu warten; nach Shoperöffnungen in Asien und Europa wurde der erste deutsche Flagshipstore im Frühjahr 2011 eröffnet - in Berlin, Kurfürstendamm. Beim Vergessen hilft auch die Website sehr. Sie zeigt nur die strahlenden Zeiten: Grandhotels, Hollywoodstars, Topmodels, und Siegfried und Roys putzige Weiße-Tiger-Babys, die in MCM-Koffern herumtollen. Also: Beim Gedanken an MCM sollte man ab sofort, im besten Fall, das New Yorker Plaza Hotel und Champagnerflaschen, Diptyque-Kerzen und Paparazzi vor Augen haben. Und nicht Jägermeister und volle Aschenbecher.

Regel 3: Zeitgeist einfangen

Ganz früher waren es die St.-Tropez-Promis. Heute will man auch Berlin-Mitte-Bewohner erreichen. Damit das klappt, wurde 2005 der Berliner Designer Michael Michalsky zum Kreativchef berufen. Lange war nichts von ihm zu spüren, pünktlich zur Berliner Modewoche ploppte aber in Trendblogs ein Turnschuh auf, den er für MCM entworfen hat. Das Modell, weiß, knöchelhoch, findet man so auch bei Nike oder Yves Saint Laurent.

Aber Zeitgeist bedeutet eben auch, nicht Nike zu tragen, wenn es alle tragen. Noch mehr Streetcredibility hatte nur der temporäre Shop während der Fashionweek: Bei der Eröffnung drängelten sich metropolistische MTV-Moderatoren und Seifenoperdarsteller in der abgefuckten Torstraße. Und posierten für die Fotografen vor den MCM-Teilen mit "Yeah"-Mimik und Victory-Zeichen. Ja, das macht man heute so, in Mitte.

Regel 4: Stars einspannen

Dakar Fashion Week im Senegal
:Hinter der Fassade

Finbarr O'Reilly wurde für seine Berichterstattung und seine ergreifenden Bilder aus Krisengebieten Afrikas mehrfach ausgezeichnet. Sein Markenzeichen: nah am Menschen bleiben - manchmal so nah, dass es weh tut. Auf der Fashion Week in Dakar hat der Kanadier nun Models bei ihrer Arbeit fotografiert.

Violetta Simon

Berühmte Werbegesichter, so genannte Endorser, waren immer schon und quer durch alle Sparten hindurch gut fürs Geschäft. In den Achtzigern posierte Cindy Crawford nackt für das Münchner Label, nur bedeckt mit einem MCM-Symbol. Moderner ist die Werbestrategie "Star, ganz privat". Es gelingt nicht jedem, sein Produkt im natürlichen Lebensumfeld eines Schauspielkükens zu positionieren. MCM schon: Zuletzt sah man Disney-Kinderstar Selena Gomez in London mit der "Heritage Line Bowler".

Ob sie das Modell für eine halbe Sekunde in die Kamera hielt, oder ob sie es ehrlich gooorgeous findet, ist auch schon egal: Hunderte Mädchen werden bereits die Artikelnummer in Glitzerschrift auf den Weihnachtswunschzettel gesetzt haben. Wie viele Eltern eine 500-Euro-Handtasche kaufen, die noch nicht mal aus Kalbsleder, sondern nur aus hochwertigem Polyvinylchlorid gefertigt ist? Alle Anhänger ethisch korrekter Mode sind jetzt auf jeden Fall hellhörig.

Regel 5: Ganz bei sich sein

"DNS" und "Authentizität" sind derzeit die beliebtesten Schlüsselwörter, wenn es um die Verkaufe einer Marke geht. Im Falle von MCM ist es also nur verständlich, dass man bei den lorbeerkranzgesäumten Initialen bleibt; sie waren es, welche die Marke nach oben katapultiert hatten, sie hatten Cromers türkisfarbenen Ferrari finanziert. Klar: Protzige Logos sind nicht unheikel in einer Modeepoche, die den Minimalchic predigt. Andererseits: Antizyklisches Verhalten wirkt beinahe geistreich. Zum Beispiel die limitierten Rucksäcke und Gürteltaschen mit Navajo- und Seilmustern, Golddetails und Nieten, die MCM mit der Starstylistin Patricia Field und dem japanischen Designer Phenomenon erdacht hat: Sie sind grässlich überladen. Aber ein Teil ist ironischer als alle Céline-Beutel zusammen, die auf der Berliner Fashionweek herumhingen.

Regel 6: Frisch machen

Die Abstinenz von MCM vom europäischen Markt hat im Nachhinein auch eine gute Seite. In den vergangenen zehn Jahren fluteten Designerfakes den Markt, Touristen kauften sich ihre Chanel, Louis Vuitton, die "Motorcycle" von Balenciaga für 35 Euro auf dem Markt in Forte dei Marmi oder in einem schmuddeligen Hinterzimmer in Bangkok. Hat irgendjemand dort in den letzten Jahren MCM gesehen? Natürlich nicht; Fälscher fälschen doch nichts, was sich nicht verkauft. Während also die Luxusaura der etablierten Häuser beschmutzt wurde, mutet MCM heute irgendwie frisch an, wie unberührter Schnee. Und auch sonst unterscheidet sich MCM von anderen Labels: Chloé würde nie etwas so Lächerliches wie Indianermuster auf Taschen drucken, Louis Vuitton nicht mit unbekannten Künstlern kooperieren, Balenciaga nicht in trashigen Stadtteilen Läden eröffnen. Sie hätten es nicht nötig. Gut für MCM.

Regel 7: Netzwerk schaffen

Im Facebook-Zeitalter geht nichts ohne Networking. Und die "europäische Luxusmarke" MCM, die in diesem Jahr ihr 35-jähriges Bestehen feiert, surft auf der Welle mit: Das Haus lässt Künstler Produkte umentwerfen, Topmodels wie Coco Rocha Shoperöffnungen moderieren. Eine MCM-Tasche hatte auch schon einen Cameo-Auftritt in der TV-Show "Gossip Girl". Und im vergangenen Jahr widmete das amerikanische Lifestyle-Magazin Flaunt dem Taschenlabel eine ganze Ausgabe: mit Logo-Cover, und einer Party über den Hollywoodhills, wo die Gäste auf einer Plexiglastanzfläche mit Logo tanzten. Und natürlich hat Modern Creation München auch eine eigene Facebookseite - was bislang immerhin 4156 Menschen gefällt. Auch wenn heute kein Mensch mehr eine Marke "Modern Creation München" nennen würde.

In den letzten sechs Jahren hat Kim, laut Wall Street Journal, mehr als 40 Millionen Dollar in das Comeback gepumpt. Man kann sich die Welt also doch kaufen. Die Kunst besteht nur darin, es wie einen großen Zufall aussehen zu lassen.

© SZ vom 16.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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