Süddeutsche Zeitung

Club "King Size":Berlins wildeste Bar war einmal

  • Die "King Size"-Bar in Berlin muss schließen - wegen Anwohnerbeschwerden.
  • Am 23. April wurde gleichzeitig 5. Jubiläum und Abschied gefeiert.
  • Der winzige Club galt den Nachtschwärmern in Mitte als Anlaufpunkt - viele fragen sich nun: Wo kann man in der Party-Hauptstadt überhaupt noch richtig feiern?

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Mitten in Berlin, auf der Friedrichstraße, haben die Macher des "Grill Royal" vor genau fünf Jahren in einer ehemaligen legendären DDR-Schwulenbar gewissermaßen eine Antipode zu ihrem Nobelrestaurant um die Ecke eingerichtet: ein Saufloch, gerade groß genug zum Stehen, eher nicht zum Gehen, und schon gar nicht zum Tanzen. Nicht zu vergleichen mit dem Schick einer Promibude oder Münchner Szene-Bar, sondern vergleichsweise hingerotzt in ein Abrisshaus mit kahlen Wänden, an die ein paar wirre Bilder gehängt wurden. Immerhin mit schicken Kristallgläsern und ordentlichen, wenn auch wenig abwechslungsreichen Drinks.

Eigentlich also die perfekte Bar für Berlin, wo man es mag, wenn sich alles mischt: Edles mit Verwahrlostem, Aktuelles mit Altem, Leises mit Lautem, Kunst mit Kitsch. Und so mischte sich auch im Publikum bald alles, was zu späterer Stunde noch laufen konnte: Hipster und Rocker, Junge und Alte, Touries und Adabeis, Möchtegerns und Models, Intellektuelle und Wirre, Schüler und Schnapsleichen, Promis und Penner.

Insofern war das "King Size" viel mehr als eine Bar: Es mauserte sich zu einer ständigen Vertretung der Nachtschwärmer, mitten in Mitte. Einer Anlaufstelle zum Auftanken und Abtauchen. Gerade in der Partyhauptstadt, wo die besten Clubs in den vergangenen Jahren aus der Mitte der Stadt weichen mussten, auch wegen der stark steigenden Mieten, hieß es am Ende einer Nacht und vor dem grauen Morgen meistens: Und jetzt geht's noch ins King Size. Das ging immer. Auch Tanzen ging dann doch irgendwie, obwohl die Tanzfläche zwischen Klo und Bar eigentlich nur aus einem briefmarkenalbumgroßen Raum bestand.

Freundliche Anarchie

Oft lief grandiose elektronische Musik. Manchmal war sie aber auch mies, der hausinterne Moscow Mule zu stark, das Gedränge unerträglich, manche Gäste zu aufdringlich und andere zu aufgedreht. Dennoch hatte diese winzige, oft absurd überfüllte und manchmal merkwürdig leere Bar mehr zu bieten als viele andere Läden in Berlin und dem Rest der Republik: so etwas wie eine Seele. Der Charakter des Ortes war immer geprägt durch eine freundliche Anarchie. Die unausgeprochene Vereinbarung lautete: Hier ist alles gut. Ausgerechnet in diesem Schuhkarton des Vergnügens sind wir alle frei. Ganz anders als etwa im sonst vergleichbaren "Pimpernel" in München, wo frühmorgens nur noch Wirrnis herrscht.

Nun schließt der Laden seine verspiegelten Pforten - wegen Anwohnerbeschwerden. Zwar ist das Haus ein Abrisshaus und nebenan ebenfalls Gastronomie. Es gibt aber eine Anwohnerin, der das ausufernde Nachtleben zu laut wurde. Vergangene Woche hieß es noch, man habe sich geeinigt: Die Bar werde künftig nur noch als Bar betrieben und die Musik wieder leiser gedreht. Prompt wurde das King Size von der Lokalpresse zur "wildesten Bar Berlins" geadelt. Und mancher Trauernde beklagt auf Facebook, er sei doch nur wegen dieses Clubs überhaupt nach Berlin gezogen.

Doch wer das King Size einmal in voller Blüte erlebt hat (und in den letzten Tagen dann quasi ohne Musik), der kann die jetzige Entscheidung der Betreiber gut nachvollziehen, die sagen: "Das King Size ist nicht mehr das King Size, wenn wir es verändern müssten. Und somit ist jetzt erstmal Schluss", sagte Sprecherin Silke Neumann auf Anfrage von SZ.de.

Die Gentrifizierung schreitet voran

Am Donnerstagabend wurde noch einmal tüchtig gefeiert. Die 5. Geburtstagsparty des winzigen Ladens mit dem Angebernamen war auch gleichzeitig seine Abschiedsparty. Neue Pläne gibt es nicht. Neumann sagt: "Die Veränderungen in den zentralen Gegenden sind leider zu spürbar und es bleibt wenig Luft und Raum für Orte wie das King Size."

Wohl wahr: Wilde anarchische Orte und Freiräume, die es in dieser Stadt braucht und die Berlin einst in der internationalen Partyszene berühmt gemacht haben, gibt es in der Hauptstadt immer weniger. Inzwischen fliegen Unmengen von Partytouristen ein, um in kommerzialisierten Abziehbildern dieses Traums zu landen, den Berlin für ein paar Jahre wahr gemacht hat: den Traum von unbändiger Freiheit. Er dauerte von der Wende an etwa 15, vielleicht 20 Jahre. Immerhin.

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