Süddeutsche Zeitung

Weihnachten in Deutschland:Bescherung für alle

Weihnachten nur als christlich-religiöses Fest - das war einmal. Auch viele Muslime und Juden fühlen sich inzwischen mit den deutschen Bräuchen wohl. Doch das birgt Konflikte.

Von Gökalp Babayiğit und Ronen Steinke

Zu den Ritualen der Weihnachtszeit gehört eine besondere Art von Bekenntnis. Cem Özdemir etwa, der Grünen-Politiker, Kind türkischer Gastarbeiter, zeigt auf Twitter Kindheitsfotos. Der kleine Cem vor einem Weihnachtsbaum. Er schreibt: "Ich denke an diesen Tagen an meinen im letzten Jahr verstorbenen Vater und daran, was er mir beigebracht hat: Wir sind Muslime, unsere Nachbarn feiern Weihnachten. Also feiern wir auch Weihnachten, natürlich mit einem richtigen Baum." Oder die SPD-Politikerin Sawsan Chebli, Tochter palästinensischer Flüchtlinge. Jüngst schrieb sie: Sie kenne "keinen Muslim", der etwas dagegen habe, wenn man ihm frohe Weihnachten wünsche.

Auf der anderen Seite twittert die deutsche Autorin Sophie Passmann: "Habe heute erfahren, dass Sawsan Chebli an Weihnachten Gans isst und Zeit mit ihrer Familie verbringt, während ich einfach viel Gin Tonic trinke und Hummus esse." Zur Schau gestelltes Wohlbefinden hier; zur Schau gestellte Bocklosigkeit dort: "Sawsan ist integrierter als ich."

Wenn Menschen, die keinen christlichen Familienhintergrund haben, dennoch Lust auf Weihnachten entwickeln, dann ist das oft ein Gradmesser für ihr Gefühl der Sicherheit in diesem Land. Bei vielen ist da tatsächlich etwas gewachsen in den vergangenen Jahrzehnten, bei Muslimen wie auch bei Juden. Ihr sozialer Stand hat sich gefestigt; die Sorge, die eigene Identität zu verlieren, hat sich verringert. Die ersten Gastarbeiter hielten oft noch Abstand. Dass Weihnachten feiern "haram" sei, unislamisch, hört man heute noch bei Älteren. Auch unter Juden im Nachkriegsdeutschland war es gängig, sich fernzuhalten. Aber es hat sich verändert, man hat das erleben können, auch als jüdischer Junge, dem die Mutter einen Adventskalender kaufte, damit er sich nicht ausgegrenzt fühlt, oder als türkischer Junge, der im Schulgottesdienst als Einziger sitzen blieb, wenn die anderen aufstanden, um sich Hostien zu holen.

Je mehr Menschen an einem Ritual teilnehmen, desto stärker verändert es sich, sagt der in Münster lehrende deutsche Soziologe Aladin El-Mafaalani. "Ich bin mir ganz sicher, dass immer mehr Migranten das Weihnachtsfest mitfeiern." Der Effekt sei in etwa so, wie wenn man mit Ur-Kölnern über Karneval spreche: "Sie werden berichten, dass immer mehr und immer unterschiedlichere Menschen Karneval feiern, und dadurch hat sich das Karnevalfeiern verändert." Heute kaufen Enkel der Gastarbeiter teils Lametta und Kugeln. Sie sind in Deutschland zur Schule gegangen, sind mit den Erzählungen aufgewachsen - und wollen ihren Kindern ermöglichen, sich so weniger fremd zu fühlen.

Weihnachten ist einladender als andere christliche Feste

Vor hundert Jahren feierten auch viele deutschsprachige Juden demonstrativ mit. Der Oberrabbiner von Wien besuchte Theodor Herzl, den Vordenker des Zionismus, daheim und stellte fest, dass der gerade die Kerzen eines Christbaums anzündete. Das Gefühl, festen Boden unter den Füßen zu haben, ist dann freilich bald verschwunden. So klein, wie die jüdische Community heute nur noch ist, schwingt manchmal die Sorge mit, sich aufzulösen wie Zuckerwürfel im Kaffee. Die Weihnachtsbäume sind wieder verschwunden.

Eine andere Form der Anpassung ist gängiger. Das jüdische Channukka-Fest, das meist in den Dezember fällt, spielt im religiösen Kalender eigentlich keine große Rolle. Aufgrund der zeitlichen Nähe zu Weihnachten aber ist es in den Familien immer größer geworden, zum Duft nach Kerzenwachs und süßem Gebäck kommt inzwischen reichlich das Rascheln von Geschenkpapier hinzu. Ähnlich in muslimischen Familien: Viele nutzen Silvester, um sich zu beschenken. In der türkischen Kultur wird der Jahreswechsel ohnehin etwas glitzernder gefeiert. Da bietet es sich an, gleich die Chance zu nutzen, damit die Kinder nach den Ferien mitreden können.

Dass die Deutschen bei Ritualen recht lax sind - Weihnachtsgans oder Würstchen mit Kartoffelsalat, Kirche oder Fernsehabend -, erleichtert das. Zudem ist Christi Geburt theologisch ja einladender als andere Feste. An Ostern geht es um eine Exekution, eine Wiederkehr von den Toten sowie auch eine jahrhundertelang mit toxischem Antijudaismus aufgeladene Schuldfrage. Weihnachten ist einfacher. Es geht um ein Baby. Es geht - für Nichtchristen, die als Zaungäste zuschauen dürfen - um eine sternenklare Nacht, eine Frau, die ihr Kind erwartet. Und um das Glück, das zu den Ärmsten kommt.

Es entsteht, was der Soziologe El-Mafaalani das "Integrationsparadox" nennt. Kurz: Je gelungener Integration ist, desto mehr Konflikte muss man austragen. Abgekapselte Milieus haben weniger Verständigungsschwierigkeiten miteinander, weil sich ihre Wege seltener kreuzen. So war das früher. Da haben Nichtchristen bei der Betriebsweihnachtsfeier höchstens in der Küche gearbeitet. Heute sitzen sie mit am Tisch.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2018
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