Christine Finke:Ich blogge, also bin ich

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Christine Finke alias "Mama arbeitet" (Foto: Verena Müller)

Im Netz erzeugt die alleinerziehende Mutter Christine Finke eine Welle nach der anderen, eine schwappte bis ins Familienministerium. Bringt das was? Und was bringt ihr das?

Von Barbara Vorsamer

Manuela Schwesig hat sich bei ihr bedankt. Persönlich am Telefon. Und öffentlich auf Twitter, nachdem die Einigung zum Unterhaltsvorschuss-Gesetz durch war. Christine Finke ist darauf mächtig stolz. Die Familienministerin folge ihr jetzt auf Twitter, erzählt die Betreiberin des Blogs www.mama-arbeitet.de, während sie bei Nieselregen in der Konstanzer Fußgängerzone nach einem Ort für das Interview sucht. "Schwesig folgt nur sehr wenigen Leuten!"

Finke tut sich schwer, ein Lokal auszuwählen - "als Alleinerziehende gehe ich nie essen" - findet dann aber doch ein Café, in dem sie schon einmal war. Dort erzählt die 50-Jährige, wie sie zu einer der erfolgreichsten Elternbloggerinnen Deutschlands wurde - und warum. Um einen Draht zur Familienministerin zu kriegen, zum Beispiel. Denn nur Nutzer, die sich auf Twitter gegenseitig folgen, können sich private Nachrichten schicken. Wenn sie wollte, könnte Christine Finke nun also an Manuela Schwesig schreiben. Und es kann gut sein, dass sie mal will.

Das Thema Unterhaltsvorschuss betrifft sie selbst gar nicht, ihr Ex-Mann zahlt den Mindestunterhalt für die drei Kinder. Den Vorschuss gibt es vom Jugendamt für Alleinerziehende, deren Partner gar nichts überweist. Allerdings bisher nur maximal sechs Jahre und für Kinder, die jünger als zwölf Jahre sind. Das reicht nicht, fanden Aktivistinnen. Sie wollten Druck auf die Politik ausüben, eine Debatte anstoßen - "eine Welle machen", wie Christine Finke das nennt. Weil sie das kann, baten die anderen sie mitzumachen.

Als sie die Abschaffung der Bundesjugendspiele forderte, bekam sie tausend Kommentare

Also los: Hashtag ausdenken, Artikel schreiben, eine Blogparade starten, Texte von anderen Bloggern und Medien teilen und dabei immer den Hashtag benutzen und hoffen, dass das Thema trendet. Einer der erfolgreichsten Hashtags war der #Aufschrei, unter dem im Jahr 2013 Tausende Frauen ihre Erfahrungen mit Sexismus und sexueller Gewalt teilten und so eine öffentliche Debatte auslösten.

Eine solche Wirkung gelingt selten, doch Finke nutzt die mediale Aufmerksamkeit für Hashtags bewusst aus. Sie hat ein Gefühl für Themen, die Menschen bewegen, und als Bloggerin kann sie schreiben und veröffentlichen, was sie möchte. "Das ist mein Vorteil, ich kann viel schneller reagieren als die großen Redaktionen", sagt sie. Als @Mama_arbeitet - so lautet ihr Twittername - hat sie als Erstes mit #regrettingmotherhood über bereuende Mütter geschrieben. Sie forderte mit #bundesjugendspieleweg die Abschaffung des Sportwettbewerbs, mit #systemkrank sammelte sie allerlei Behördenprobleme und beim #muttertagswunsch ging es um Forderungen von Eltern an die Politik. Sie macht das so oft, dass sie nicht nur ihren Kritikern damit auf die Nerven geht. Manche ihrer Wellen versickern im Treibsand des Internets. Andere schwappen bis zu "Maybritt Illner" und ins Familienministerium.

SZ JetztPetition gegen Bundesjugendspiele
:Der Krampf mit dem Kampf

Eine Online-Petition fordert die Abschaffung der Bundesjugendspiele - sie seien nicht mehr zeitgemäß. Aber ist am Wettkampf alles schlecht? Zehn Dinge, an die wir uns gerne, und zehn an die wir uns ungern erinnern.

Wieder andere spülen eine Menge Dreck an. "Nach #bundesjugendspieleweg hatte ich den Blog voller Nazis, die was von Volkskörper und Ertüchtigung faselten", sagt Finke. Ihre Forderung, den Sportwettbewerb abzuschaffen, bescherte ihr mehrere Tausend Kommentare und fast 300 Presseanfragen im E-Mail-Postfach. "Ich war mindestens eine Woche nur damit beschäftigt, zu moderieren, zu löschen und Interviews zu geben. Dabei habe ich für so was gar keine Zeit", sagt sie. Stimmt, da waren noch drei Kinder, um die sie sich alleine kümmert. Und Geld verdienen muss die Alleinerziehende auch irgendwann.

Denn das, was sie im Netz treibt, sehe nur aus wie Arbeit, finanziell lohne es sich nicht, sagt sie. Ihr Geld verdient sie mit dem Konzipieren und Texten von Kinderbüchern. Zurück in ihrer Wohnung, zeigt sie auf den Stapel Glücksbärchi-Hefte, der am Kopfende des massiven Esstisches liegt. Der teure Tisch - ein Überbleibsel aus wohlhabenderen Zeiten - ist ihr Büro, drei Stapel liegen sauber voneinander getrennt und mit Gummibändern umwickelt neben einem schwarzen Laptop. Der mit den Glücksbärchis ist der kleinste. "Das da ist der Blog-Stapel", sie zeigt auf ein paar Ausdrucke und ein Buch, das ihr unverlangt zugeschickt wurde. "Und das da ist Politik." Der linke Stapel ist ein Berg dicker Papiere: Protokolle, Finanzierungskonzepte, Bebauungspläne. Christine Finke sitzt im Stadtrat von Konstanz. Ehrenamtlich.

Warum macht sie das alles? In ihren Blogtexten geht es häufig darum, wie wenig Zeit und wie wenig Geld sie hat. Warum in aller Welt leistet sie es sich dann, stundenlang im Netz herumzuhängen und Texte zu schreiben, für die keiner sie bezahlt? "Das fragen alle", sagt sie und zuckt mit den Schultern. Für sie ist die Antwort leicht: "Es macht Sinn."

Bloggen ist für sie nichts, was irgendwo zwischen Kloputzen und Kinderbuch-Texten auf der To-do-Liste steht und Kraft raubt - im Gegenteil. "Das Internet ist mein Hobby, Twitter meine Leidenschaft." Wer ihr auf Twitter folgt, bekommt den Eindruck, sie ist da immer, so schnell reagiert sie. Nur wenig ist ihr zu privat fürs Netz, sie twitterte schon über ihren ersten Sex nach der Ehe, über Menstruation und über Armut. Sogar in den sozialen Netzwerken ist das für viele #tmi - too much information.

Bis vor ein paar Jahren war die promovierte Anglistin Vollzeit für einen Schweizer Verlag tätig, baute für diesen eine Elternwebsite auf und war viel auf Reisen. Mutter war sie auch, ja, aber um die Kinder kümmerte sich hauptsächlich ihr Mann, der sich gerade selbständig machte, und ein Au-pair-Mädchen. Dann kam die Trennung, der Mann zog aus. Die für sie größere Erschütterung folgte zwei Jahre später, 2011: Der Verlag schloss ihre Abteilung.

Plötzlich war sie arbeitslos und alleinerziehend, überqualifiziert und unflexibel, 45 Jahre alt und ihr jüngstes Kind gerade mal zwei. "Da schlägt man auf dem Arbeitsmarkt ein wie eine Bombe", sagt sie. Eine neue Festanstellung fand sie auch nach 160 Bewerbungen nicht. Um nicht Hartz IV beantragen zu müssen, machte sie sich selbständig und arbeitet seitdem von zu Hause aus. Anstatt mit Kolleginnen durch Europa zu fliegen, saß sie nun den ganzen Tag in ihrem Wohnzimmer, das gleichzeitig Spielzimmer, Esszimmer und Arbeitszimmer war. "Ohne das Internet wäre mir die Decke auf den Kopf gefallen", sagt Finke. In dieser Zeit beginnt sie zu bloggen.

Auch an diesem Montagnachmittag sitzt sie in ihrer Sozialwohnung zwischen knallroter Einbauküche und Yucca-Palmen und wartet auf ihre Kinder. Dass Mama anwesend ist, wenn sie aus der Schule nach Hause kommen, ist vor allem dem elfjährigen Sohn und der achtjährigen Tochter wichtig. Es gibt ein kurzes "Hallo" und "Kann ich den Kindle haben?", mehr wollen sie dann aber gar nicht von ihr, und die 17-Jährige geht sowieso direkt in ihr Zimmer und macht die Tür zu.

Was Finke niemals machen würde: #Werbung

So hat Finke Zeit, noch schnell die Papiere für die Fraktionssitzung durchzugehen, die um 18 Uhr beginnt. Nebenbei checkt sie am Laptop ihren Blog und macht Nudeln warm, damit die Kinder nicht nur Schokolade essen, während sie unterwegs ist. Dann noch schnell das Schulessen für die Jüngste übers Internet bestellen, und als die Achtjährige nicht weiß, was Reibekuchen sind, hilft die Google-Bildersuche.

In diesem Alltag fehlen ihr Menschen, mit denen sie auf einer Wellenlänge liegt. Die Kontakte im Netz ersetzen ihr das, die Anerkennung von Lesern bedeutet ihr viel, der Blog wächst. Inzwischen ist "Mama arbeitet" einer der einflussreichsten Elternblogs in Deutschland und zählt monatlich mehr als 100 000 Visits. Das wäre genug, um damit Geld zu verdienen, die meisten großen Elternblogs machen das. Da steht dann #Werbung in der Überschrift, und die Autorinnen empfehlen im Text Stoffwindeln, Schulranzen oder eine Waschmaschine.

Christine Finke würde das nie tun. Sie will keine Rücksicht darauf nehmen müssen, was Anzeigenkunden gefällt. Ihre Lieblingsthemen sind Erziehung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die besondere Situation von Alleinerziehenden. Für die will sie Sprachrohr sein und spätestens, seitdem sie im vergangenen Jahr das Buch "Allein, alleiner, alleinerziehend" veröffentlicht hat, ist sie es auch.

Es ist ihr ganzer Stolz, wenn sie mit ihren Inhalten einflussreiche Menschen wie Familienministerin Schwesig, deren Vorgängerin Kristina Schröder und "Heute-Journal"-Moderator Claus Kleber erreicht. Erst vergangene Woche durfte die Bloggerin i n der Sendung "Maybritt Illner" mit Arbeitsministerin Andrea Nahles und dem CDU-Politiker Jens Spahn diskutieren. "Das gibt mir das Gefühl: Ich bin gesellschaftlich relevant." Sie sagt das in genau diesen Worten.

Ich blogge, also bin ich? Ich twittere, damit mich jemand sieht? Auf dem Weg zur Fraktionssitzung macht Christine Finke im Nieselregen auf der Rheinbrücke halt, um ein Foto zu schießen. "Konstanz, jetzt", schreibt sie dazu, wenig später hat der Tweet 31 Herzen. Nebenbei entdeckt sie versehentlich die Diktierfunktion ihres Smartphones, denn, nein, ein Digital Native ist die 50-Jährige nicht. Mobiles Internet benutzt sie nur für Twitter, alles andere macht sie zu Hause am Laptop.

Die meisten alleinerziehenden Mütter sind völlig damit bedient, sich um ihre Kinder kümmern zu müssen. Wenn sie arbeiten, dann meist in schlecht bezahlten Teilzeitjobs. Karriere machen diese Frauen selten, für gesellschaftliches Engagement bleibt keine Zeit. Und das wiederum führt dazu, dass meistens keine einzige Alleinerziehende mit am Tisch sitzt, wenn wichtige Entscheidungen gefällt werden - obwohl Ein-Eltern-Familien inzwischen fast ein Fünftel aller Familien mit minderjährigen Kindern ausmachen. Stadträtin Finke plädiert deswegen für eine Alleinerziehenden-Quote für Politik und Wirtschaft.

Frauenhasser beleidigen sie immer wieder

Eine Shitstorm-verdächtige Idee. Radikale Väterrechtler haben die Bloggerin längst zu einem ihrer Lieblingsopfer auserkoren. In diffamierenden Texten und Videos räsonieren sie über Finkes Fickbarkeit, weswegen diese Strafanzeige wegen schwerer Beleidigung gestellt hat. Just an dem Tag, als der Autor des umstrittenen Textes zur Polizei musste, wurde ihr Blog gehackt. Sie musste alles neu aufsetzen, alle Passwörter ändern und stellte eine weitere Strafanzeige. Gibt es da einen Zusammenhang? "Keine Ahnung", sagt die Autorin, aber zeitlich lägen die beiden Ereignisse nah beieinander. Rudelweise habe sie derzeit Frauenhasser auf dem Blog, deren erklärtes Ziel es ist, @mama_arbeitet zum Schweigen zu bringen. Niemals werde ihnen das gelingen, sagt Christine Finke. Hassattacken haben schon häufiger Frauen mit feministischer Haltung aus dem Netz vertrieben. Doch mit ihr haben sie sich die Falsche ausgesucht, glaubt sie. "Wo viel Gegenwind ist, kann man besser segeln", sagt die Bloggerin vom Bodensee. Durch Wind entstehen auch Wellen. Und damit kennt sie sich aus.

© SZ vom 6.5.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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