Chippendales:Die nackte Wahrheit

Sex, Mord und Föhnfrisur: Die Geschichte der Chippendales ist weitaus spannender als ihre Auftritte.

Tanja Schwarzenbach

Über die Chippendales, die von November an auf Deutschlandtournee gehen, mag man denken, was man will - toll, peinlich, eklig, schon wieder in Cottbus! Ihre Gründungsgeschichte ist spannend wie ein Hollywood-Thriller. Nicht nur weil sie vom amerikanischen Traum erzählt, sondern weil auch Drogen, Sex und Mord darin vorkommen, all die düsteren Dinge, nach denen sich Filmproduzenten in Los Angeles die Finger lecken.

Chippendales

Chippendales - Geschichte eines amerikanischen Traums.

(Foto: Foto: Chippendales Pressematerial)

Glück und Unglück fingen damit an, dass ein Immigrant aus Bengalen in die Vereinigten Staaten einwanderte. In Indien war er Drucker, ein bodenständiger Beruf, nichts Besonderes. Aber sein Vorname hätte erahnen lassen können, was eines Tages aus ihm werden würde: Somen wird im Bengalischen "Showmen" ausgesprochen. Somen Banerjee siedelte Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre nach Kanada über. Bald zog es ihn ins sonnige Kalifornien, nach Playa del Rey in der Nähe von Los Angeles, wo er eine Tankstelle kaufte und betrieb.

Die sechziger und siebziger Jahre in Amerika, das waren Jim Morrison, Al Wilson, Jimi Hendrix - Hippie-Ikonen, die oft so zugedröhnt waren mit LSD, dass ein Morrison schon mal seine Genitalien entblößte. Vielleicht wäre Banerjee in Indien ein anständiger Drucker geblieben, im sexuell freizügiger werdenden Kalifornien kaufte er 1975 eine alte Rock'n'Roll-Bar namens "Destiny II", aus der dann ein Club mit dem Namen "Chippendales" wurde. Zu sehen gab es da Frauen-Schlammschlachten und die "Male Exotic Dance Night for Ladies Only". Der Chippendales-Club wurde die erste Bar in den USA, in der sich Männer auszogen.

Traumjob für Heteros

Die Typen, die dort tanzten, sahen nicht sonderlich gut aus, denn das Angebot an strippenden Männern war weiß Gott nicht groß. Michael Rapp, heute Fitnesstrainer und Masseur in New York, arbeitete damals im Chippendales, als Kellner, wie er betont - und die hätten blendend ausgesehen! Rapp erzählt wehmütig von den frühen achtziger Jahren, als im Chippendales 250 Frauen schwitzten, und die Polizei den Club regelmäßig wegen Überfüllung schließen musste.

Vor allem erinnert er sich gerne an die Frauen, die Kleid und Slip auszogen. "Es war ja ein sehr kleiner Club, die Atmosphäre war sehr intim, sehr eng, ja. . . intim!" Das Chippendales war nicht nur ein Ort der Befreiung für die Frauen, die Anfang der Achtziger auf dem besten Weg waren, sich zu emanzipieren. Es war ein Traum für die wenigen Männer, die dort arbeiteten. Jedenfalls für Heteros - und das seien dort alle gewesen, sagt Rapp.

Rapp war damals 24 Jahre alt und Schauspieler, wie auch heute noch nahezu jeder in L.A.. Er war durchtrainiert, trug Nietengürtel und Schweißstirnband und hatte schulterlange Haare, geföhnt natürlich. Während der Show warf er seine Mähne in den Rücken, schrubbte ein Tuch im Schritt hin und her, setzte sich in Lederkluft mit Hinternluke auf eine Harley. Er hatte seinen Garten Eden gefunden. Tagsüber ein freier Vogel, abends zwei Stunden Show und danach, wenn es gut lief, Sex mit einer der Frauen. "Damals konnten wir uns nicht vorstellen, dass es den Club lange geben würde. Es war zu gut, um wahr zu sein."

Somen Banerjee, der sich nun "Steve" nannte, machte aus dem Chippendales ein Unternehmen mit mehreren Stripperteams, die durch die Welt tourten. Ende der achtziger Jahre war Chippendales ein Begriff. Die Kalender, die sie produzierten, verkauften sich pro Jahr mehr als eine Million Mal, die Shows brachten 25.000 Dollar die Woche.

Schicksalhafte Begegnung

Banerjee mag ein guter Geschäftsmann gewesen sein, doch die Vision, aus der Männerstrip-Bar eine Marke zu machen, habe Nick DeNoia gehabt, ein Choreograph aus New York, erzählt Rapp. DeNoia hatte gerade einen Emmy für eine Kinderfernsehshow bekommen, als er Anfang der Achtziger Banerjee kennenlernte. Die Begegnung sollte für beide schicksalhaft sein. Und für beide tödlich.

Banerjee versprach DeNoia eine großzügige Beteiligung an den Einnahmen, sollte er eine einzigartige Bühnenshow entwickeln. DeNoia war kein Mann der Bescheidenheit. Er sah sich, so sagt man ihm nach, als Eroberer, als Befreier der Frauen. Er wollte eine Gala mit viel Glamour machen; mit makellosen Männern, die sich perfekt zur Musik bewegten, und alle Frauengeschmäcker bedienten: kleine und große Männer, blonde und brünette, muskulöse und dünne, behaarte und unbehaarte. Sie sollten als Polizisten und Bauarbeiter auftreten, als Inhaftierte und Piraten, ein Konzept, das bis heute Bestand hat.

Es wurde eine der heißesten Shows in New York, erinnert sich David Henry Sterry, Autor des Buchs "Master of Ceremonies: A True Story of Love, Murder, Roller Skates and Chippendales" - damals Master of Ceremonies, Moderator der Chippendales New York. Die Show fand im "Magique" an der Upper East Side statt, 60. Straße, Ecke 1st Avenue. 650 Frauen kamen. "Es war wie eine riesige Party." Draußen standen die Männer Schlange und zahlten 15 Dollar Eintritt, um sich später unter die Frauen mischen zu dürfen.

"Es waren eine Menge Drogen im Spiel. Das "Magique" war ein Umschlagplatz für Kokain, und zwar für die ganze East Side von Manhattan." Einmal, sagt Sterry, sei er ins Badezimmer der Umkleide gegangen und hätte zwei Frauen dabei erwischt, wie sie einen Mann befriedigten. Sie hätten hochgesehen und gesagt "Hi! Wie geht's?" "Ich habe in zwei identische Gesichter gesehen - es waren Zwillinge!", erzählt Sterry. "Die Zeit im Magique war so verrückt, witzig, sexy." Das war die eine Seite.

Küsse vom G-String-tragenden Stripper

Manchmal verbreitete Nick DeNoia Unbehagen. Er war, sagen manche, ein Diktator. "Er war ein Kontrollfreak", sagt Sterry. Er schrie herum, trieb die Tänzer zur Perfektion. Einige Angestellte feuerte er aus einer Laune heraus. Alle waren ständig auf der Hut vor ihm.

Aber mit der Show hatte DeNoia Erfolg: Zusammen mit Banerjee eröffnete er weitere Clubs in Dallas und Denver, drei Chippendales-Gruppen tourten durch die USA und Europa. Frauen strömten zu den Shows, es war Mitte der achtziger Jahre. Die Frauenbewegung der Sechziger hatte ihre Früchte getragen, die nächste noch nicht begonnen. Frauen gingen arbeiten, trugen Leggings, Schulterpolster und Denver-Clan-Mähnen, nahmen die Pille und genossen, wenn auch im Schatten von Aids, die Befreiung der weiblichen Sexualität. Sie wussten, was sie wollten. Und das war, wie die Chippendales bald feststellten, nicht überall dasselbe. Der "Tipping Kiss", bei dem die Frauen mit einem Dollar winkten und dafür von einem durchtrainierten, eingeölten, G-String-tragenden Stripper einen Kuss bekamen, war beliebt bei den amerikanischen Frauen. In Europa aber ließ man ihn weg.

Nick DeNoia hatte sich die Tourneerechte der Chippendales gesichert. Er war verantwortlich für Organisation und Choreographie und erhielt einen Großteil der Einnahmen, die mit der Zeit in die Höhe schnellten. Banerjee passte das nicht. Obwohl Zeugen später sagen würden, dass es etwa so wahrscheinlich sei, dass Steve Banerjee einen Mord geplant habe, wie dass Mickey Mouse Heroin nehmen würde, landete Banerjee am Ende vor Gericht.

Dabei war Banerjee ein ruhiger, höflicher Mensch, der seinen Reichtum im Stillen genoss. In den Achtzigern hatte er geheiratet und war Vater einer Tochter geworden, er bewohnte eine Villa am Pazifischen Ozean und fuhr zwei Mercedes-Benz. Andere indische Einwanderer bewunderten ihn, er war einer, der es aus dem Nichts zum Millionär geschafft hatte. Doch ihn umgab auch, erinnert sich David Sterry, eine Art von Verstohlenheit, die seinen Mitarbeitern das Gefühl gab, sich besser nicht mit ihm anzulegen. Schon 1979 und 1984 wollte Banerjee zwei Bars verwüsten lassen, in beiden sah er Konkurrenz. Doch der Schaden, der in seinem Auftrag angerichtet wurde, war gering. Hinter der Glitzerfassade der Chippendales versteckte sich zunehmend ein unterweltartiges Geschäftsgebaren. Das Unternehmen hatte sich mehrere Anzeigen eingehandelt, wegen Körperverletzung, Diskriminierung von Afroamerikanern und von Männern.

Eine Kugel im Kopf

1987 kam es zwischen DeNoia und Banerjee zum Streit um die Tourneerechte. Es ist nicht bekannt, wann genau es im April 1987 an der Tür des New Yorker Büros klingelte. Sicher ist, dass DeNoia öffnete. Dort stand ein unbekannter Mann, der sich, wie später Zeitungen berichteten, als Bote ausgab. Zu überbringen hatte er eine Kugel aus einem Revolver, die Nick DeNoia in der linken Kopfhälfte traf. Am Tag darauf wurde DeNoia tot im Büro gefunden.

"Es gab eine Menge Leute, die Nick DeNoia gerne tot gesehen hätten", erzählt Sterry. "Sie liebten und sie hassten ihn. Als mich die Polizei fragte, ob mir jemand in den Sinn käme, der ihn umbringen wollte, fragte ich: Wollen Sie die lange oder die kurze Liste? Es gingen eine Menge Gerüchte rum. Aber die meisten dachten: Ja, es war Banerjee." Die Polizei konnte Banerjee keinen Mord nachweisen. Der kümmerte sich weiter um die Geschäfte und kaufte von DeNoias Familie die Tourneerechte zurück, für 1,3 Millionen Dollar.

Ende der achtziger Jahre wusste man längst, dass sich Sex verkauft. Strip-Bars für Männer und Frauen sprossen aus dem Boden. Doch Banerjee hatte nur seine Nachahmer im Visier, die ihm das Geschäft ruinierten und dazu aus der eigenen Reihe stammten. In England gingen damals einige ehemalige Chippendales mit einer Showgruppe namens Adonis auf Tour. Banerjee zürnte und wollte drei der Ehemaligen umbringen lassen. Doch das Ganze flog auf , und Banerjee landete vor Gericht. Der Londoner Independent titelte damals: "Somen Banerjee, Erfinder der Chippendales, wird für weit mehr beschuldigt, als nur die Frauen verrückt gemacht zu haben."

Mordversuche an Ex-Chippendales

Am 2. September 1993 wurde Banerjee verhaftet. Nach langen Untersuchungen des FBI wurde er beschuldigt, sowohl die Mordversuche an den Ex-Chippendales in Auftrag gegeben zu haben, als auch den Mord von Nick DeNoia. Banerjee gestand. Das Gericht kündigte an, ihn zu 26 Jahren Haft und einer Geldbuße von 1,75 Millionen Dollar zu verurteilen. Am Montag, den 24. Oktober 1994, sollte das Urteil verkündet werden.

Damals war Banerjee schon über ein Jahr lang inhaftiert. Einem Bekannten hatte er anvertraut, sich vor der Urteilsverkündung umzubringen, sollte es ihm nicht gelingen, auszubrechen und nach Indien zu fliehen. Vielleicht wollte er mit einem Selbstmord verhindern, dass der Staat sein Vermögen kassierte, denn nur im Falle seines Todes hätte es seiner Familie zugestanden. Vielleicht war es auch sein Ehrgefühl. Er sei von einem fast exzentrischen Stolz beseelt gewesen, erzählt Sterry.

Die Nacht auf Montag muss eine unruhige für Banerjee gewesen sein. Kurz vor vier Uhr morgens stand er auf, schlang ein Ende des Betttuchs um den Hals und knotete das andere an einen Garderobenhaken in der Zelle. Er kniete nieder und zog so sehr am Laken, dass es ihm den Hals zuschnürte. Er wurde 47 Jahre alt. Sein amerikanischer Traum war vorbei.

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