Geschichte ist eine Verkettung von Umständen, Politik ist eine Verkettung von oft unglücklichen Umständen. In Washington beispielsweise betreibt ein sehr unglücklicher Umstand namens Donald Trump gegenwärtig die Verkettung von Politik und Zukunft, die in absehbarer Zeit Geschichte werden wird. Er tut dies auf eine Art und Weise, dass man sich in mancher Nachtstunde fast wünscht, in der Chesapeake Bay würde demnächst eine Granma II landen, besetzt mit unbewaffneten, aber dennoch sehr entschlossenen Anti-Trump-Revolutionären. Die Granma war jene Motoryacht, die am 2. Dezember 1956 an der Südspitze Kubas 82 Revolutionäre unter Fidel Castro an Land setzte. Damit begann eine für Kuba zunächst eher glückliche (der Sturz des Diktators Batista 1958), später ziemlich unglückliche Verkettung von Umständen.
Die Granma liegt heute – nicht anders als die kubanische Revolution – in Havanna auf dem Trockenen; man kann sie im Revolutionsmuseum besichtigen. Wäre ich Trotzkist, was man als Bayer schon aus ethnischen Gründen nicht sein kann, würde ich sagen, dass ein Revolutionsmuseum ein Widerspruch in sich ist, weil die Revolution laut Trotzki nie aufhört und deswegen in kein Museum passt. Auf der Granma jedenfalls kam mit Castro auch Ernesto Che Guevara nach Kuba. Guevara, eigentlich Argentinier, ist bis heute der bekannteste immaterielle Exportartikel Kubas – und das wiederum hat mit einem historischen Umstand zu tun, einem Zufall, der in diesen Tagen vor 65 Jahren an die Geschichte andockte.
Am 4. März 1960 explodierte im Hafen von Havanna ein mit Waffen und Munition beladenes Frachtschiff, wohl an die hundert Menschen kamen ums Leben. An der Trauerfeier am nächsten Tag nahmen nicht nur die kubanische Staatsspitze sowie Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir teil, sondern auch der Revolutionsfotograf Alberto Díaz Gutiérrez, genannt Korda. Und der schoss bei dieser Gelegenheit ein Foto von Guevara, das auf ein paar Umwegen zu einem Symbolbild für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde. Es zeigt den Che mit einem ernsten, nahezu transzendenten Blick. Das Gesicht ist umrahmt von Bart und langem Haar, auf dem Kopf sitzt ein Barett mit fünfzackigem roten Stern. Man sieht den Revolutionär par excellence in einer Zeit, in der viele daran glaubten, nicht zuletzt im heute so genannten globalen Süden, Revolution könne die Dinge zum Besseren wenden. Auch hierzulande gab es 1968 und danach keine linke Demo und nicht viele WGs ohne Kordas auf Postern und Transparenten mehr oder weniger verfremdetes Foto. Auf dem Klo hing Frank Zappa, und im Flur hing Che.
Der Che als Modemythos ist so etwas Ähnliches wie der Totenkopf
Mittlerweile, so ist das Leben, ist das Guevara-Bild ein popkultureller Mythos geworden, der praktisch keine politische Bedeutung mehr hat. (Mit der Revolution ist es ähnlich, es sei denn man hält Xi Jinping für einen Revolutionär.) Man kann den Che auf T-Shirts, Kaffeetassen oder Bikinis kaufen, Johnny Depp trägt ihn als Hemd. Der grundsätzlich verwerfliche Online-Laden des Trump-Jüngers Jeff Bezos bietet Tausende Guevara-Artikel an, sehr viele davon mit dem Korda-Bild. Fast hätte ich geschrieben: Das Guevara-Foto ist die Ikone des Radical Chic. Aber weil heutzutage alles als „Ikone“ oder „ikonisch“ bezeichnet wird, gehört dieses Wort für mich auf die Liste der totgequatschten Wörter. Die Frankfurter Rundschau, die es noch immer gibt, schrieb neulich von der „Bayern-Ikone“ Thomas Müller. Und in der SZ las ich von der „Sixties-Ikone“ Marianne Faithfull. Sag ich’s doch, totgequatscht.
Der Che als Modemythos ist so etwas Ähnliches wie der Totenkopf. Sobald es wieder wärmer ist, sobald die Frauen nicht mehr schlafsackähnliche Steppmäntel und die Männer nicht mehr gefütterte Kartoffelsäcke tragen, wird man wieder überall Jacken, Shirts, Hoodies etc. sehen, auf die Totenschädel gedruckt oder gestickt sind. Nun kann man darüber streiten, ob Damien Hirsts Schädel große Kunst sind oder ob und warum ein Modemacher wie Philipp Plein eine besondere Beziehung zu Knochen unterhält. Und speziell in der katholischen Kirche gehören Knochen und Schädel zur identitätsstiftenden Ikonografie (in diesem Zusammenhang ist das Wort erlaubt), keineswegs nur im Barock.
Mode ist sowieso, noch schlimmer als Politik, auch eine Verkettung unglücklicher Umstände
Seltsam ist es trotzdem, wenn Menschen auf der Straße, im Geschäft oder im Büro das Symbol des Todes als Modeaccessoire tragen. (Besonders seltsam ist es, wenn man bedenkt, welche Geschichte der Totenkopf hierzulande als Symbol bis 1945 spielte.) Die Popularität dieser Form des Lethal Chic mag daran liegen, dass dessen Träger und Innen den Totenkopf eben nur als ein Ornament ansehen, so etwa wie eine Blume oder ein Vereinswappen. Schädel ist cool.Allerdings ist Schädelmode auch ziemlich trashig. Wer sich noch an Ed Hardy und Heidi Klum vor fast zwanzig Jahren erinnert, kann zu keinem anderen Schluss kommen. Und wer heute, sicher nur aus Versehen, beim Zappen auf Bertelsmanns RTL gerät, sieht vielleicht den Geiss-Vater in einem Totenkopf-Shirt und weiß spätestens, allerspätestens dann, warum man so ein Zeug nur tragen kann, wenn man bei den Opas gegen Geschmack mitmachen möchte. Es sei denn, man ist Punk. Aber wer ist das schon.
Mode ist sowieso, noch schlimmer als Politik, auch eine Verkettung unglücklicher Umstände. Das kann dann einen gelbhaarigen Mann mit roter Mütze hervorbringen. Wahrscheinlich trägt er ein Totenkopf-Unterhemd.