Bundeswehrreform:Freiwillige vor!

Ab heute gibt es in Deutschland keine Wehrpflicht mehr. Die Bundeswehr könnte in Zukunft vor allem mit Personalmangel kämpfen. Denn warum sollte man noch Soldat werden? Eine Reportage aus der Bundeswehruniversität München

Gina Metzler

Der Asphalt auf dem Campus der Bundeswehruniversität München glüht in der Sommerhitze. Eine Gruppe Soldaten in Uniform, mit Helm und Rucksack, läuft über eine Wiese. Die Männer und Frauen kommen von einer Sanitätsausbildung, sie wirken geschafft und scheinen ihren Gedanken nachzuhängen. In den vergangenen vier Stunden haben die Bundeswehrstudenten unter anderem gelernt, wie man einen Kameraden versorgt, dem ein Körperteil weggesprengt wurde.

Bundeswehr uebergibt Masar-i-Sharif an Afghanen

Deutsche Soldaten in Afghanistan.

(Foto: dapd)

Thomas Kuhne kommt vom Joggen. Er läuft täglich zehn Kilometer und trainiert im Fitnessstudio. Der 24-Jährige ist groß, kräftig gebaut und trägt seine Haare akkurat gescheitelt - gerade so lang, dass sie die Ohren nicht berühren. Der gebürtige Sachse ist einer von rund 3700 Studenten an der Bundeswehruni in München.

Es war sein Wunsch, diesen Weg zu gehen, etwas anderes kam nach dem Abitur für ihn nicht in Frage. "Ich wollte etwas Außergewöhnliches erfahren, körperliche Herausforderung durch Sport erleben, aber auch lernen, wie man Menschen führt", sagt er. Bei der Bundeswehr wurde er sofort genommen, unterschrieb einen Vertrag, in dem er sich für zwölf Jahre verpflichtete und trat die Offiziersausbildung an.

Drei Jahre lang erlebte Thomas Kasernenalltag: jeden Morgen Weckruf um fünf, zehn Minuten Zeit zum Waschen, Antreten auf dem Flur um 5:10 Uhr, Frühstück um 5:45 Uhr - die Einnahmen der Mahlzeiten sind Pflicht. Anschließend Antreten vor der Waffenkammer, Marschieren zum Übungsplatz, wo die Soldaten üben, im offenen Gelände zu überleben: Verstecke aufspüren, Lager bewachen, Patrouille gehen, Feindkontakt simulieren, Schießübungen, Hindernis- und Ausdauertraining absolvieren. Sie lernen Marschieren und Grüßen, wie man eine Waffe zerlegt und wieder zusammenbaut. Sie werden in Munitionskunde geschult und wie man eine Truppe führt. Um 22 Uhr heißt es: Licht aus, dann ist Zapfenstreich.

Nach der Ausbildung zum Offizier stand für Thomas das Studium der Staats- und Sozialwissenschaften auf dem Plan. In einem Jahr hat er seinen Master, dann warten noch mal fünf Jahre Soldatenleben auf Thomas - als Aufklärungsoffizier und Soldat auf Zeit. Im Einsatz wird er später prüfen, ob Brücken gangbar sind, er wird nach Minen, Sprengfallen und potentiellen Gegnern Ausschau halten.

Auf dem Weg zu seinem Zimmer kommt ihm ein Vorgesetzter in Zivil entgegen. "Grüß Gott, Herr Hauptmann!", entgegnet Thomas, jedoch ohne zu salutieren. Er nimmt die Sache mit der Bundeswehr ernst. Kameradschaft und der Dienst am Vaterland, Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen - all diese Werte hat Thomas sich während seiner Zeit beim Bund angeeignet. Und findet, dass er heute ein besserer Mensch ist.

Auf der Straße beschimpft

Auch wenn er dafür öfter mal in die Außenseiterrolle der Gesellschaft rutscht. Es könne sogar vorkommen, dass man auf der Straße als Mörder beschimpft werde: "Man muss lernen, damit umzugehen, und das prägt den Charakter enorm", sagt er.

Abiturienten wie Thomas versucht die Bundeswehr mit einem attraktiven Studentenleben zu locken: Der Campus Neubiberg am südlichen Stadtrand von München etwa bietet zahlreiche Sportplätze, ein Volleyballfeld und eine Schwimmhalle, sowie diverse Fitnessbereiche. Auch ein Supermarkt, ein Bistro und ein Biergarten stehen hier für die Studenten bereit.

Selbst Auslandssemester werden vom Bund gefördert. Thomas wird das kommende Semester in Frankreich verbringen, Unterkunft und Studiengebühren werden übernommen, es gibt sogar Taschengeld. All das klingt überzeugend, besonders für jene, die sich ein reguläres Studium nicht leisten können. Bei der Bundeswehr studieren heißt aber auch, später eventuell sein Leben zu riskieren.

Nach dem Studium an den Hindukusch

Thomas geht davon aus, dass er nach seinem Studium an den Hindukusch geschickt wird. Er würde lieber darum herumkommen, aber es gehört zu seinem Job, dafür hat er unterschrieben. "Wir sind eine Parlamentsarmee und wir sind dazu da, den politischen Willen unserer Gesellschaft umzusetzen. Deshalb ist es meine Pflicht, in diesen Einsatz zu gehen", sagt er, und es klingt, als glaube er wirklich daran.

Thomas Kuhne

Thomas Kuhne ist Student an der Universität der Bundeswehr München.

(Foto: privat)

Die Bundeswehr in ihrer bekannten Form wird es von nun an nicht mehr geben, die Wehrpflicht ist ausgemustert. In Zukunft ist die Bundeswehr auf Freiwillige angewiesen. Das Bild des Soldaten, seine Identität, wird sich verändern.

Deutsche Soldaten werden schon lange nicht mehr dazu eingesetzt, ihr eigenes Land zu verteidigen. Sie agieren international und sichern auf Auslandseinsätzen den Frieden in anderen Regionen. So mancher stellt sich da die Frage: Wofür mein Leben riskieren? Auch die Soldaten der Zukunft müssen sich dieser Frage stellen.

Es dürfte für die Bundeswehr nicht leicht werden, genügend Freiwillige für die Truppe zu gewinnen. Offenbar interessieren sich nur wenige junge Männer für den freiwilligen Wehrdienst: Bei einer Briefaktion des Verteidigungsministeriums im März und April wurden rund 498.000 Haushalte angeschrieben - gerade einmal 1800 zeigten Interesse.

Dabei wird der Freiwilligendienst vergleichsweise gut bezahlt, je länger man sich verpflichtet, desto besser. In den ersten drei Monaten verdient ein Freiweilliger im Monat rund 777,30 Euro - steuerfrei. Wer sich bis zu 23 Monate verpflichtet, erhält 1146,30 Euro, hinzu kommen weitere Zuschüsse, Verpflegung, Unterkunft und ärztliche Versorgung sind kostenfrei. Doch das wird nicht genügen.

Unter Lebensgefahr Befehle ausführen

Für den Staats- und Sozialwissenschaftler Jochen Bohn steht die Bundeswehr vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte. Der Oberstleutnant der Reserve hat seine Auseinandersetzung mit der Zukunft des Militärs bereits im Campus-Magazin der Bundeswehruniversität veröffentlicht. "Nach Aussetzung der Wehrpflicht wird sie Menschen auf irgendeine Weise für ihre Sache gewinnen müssen", heißt es da unter anderem. Bohn macht sich da keine Illusionen: Im Vergleich zur Konkurrenz auf dem freien Markt sei die Bundeswehr nicht attraktiv genug und zahle auch zu wenig, um die Bewerber zu bekommen, die tatsächlich geeignet seien, erklärt er.

Es sind junge Männer wie Thomas, von denen Bohn spricht: Menschen, die bereit sind, auch unter Extrembedingungen Befehle auszuführen. "Verantwortliche und verlässliche Führungspersönlichkeiten, die auch unter Lebensgefahr angemessene Entscheidungen treffen können, werden immer wichtiger", sagt Bohn. Jetzt, wo die Wehrpflicht abgeschafft ist, sieht er Schwierigkeiten in der Nachwuchsgewinnung, besonders an geeigneten Offizieren werde es fehlen.

Eine Sache, für die es sich zu sterben lohnt

Thomas sitzt auf dem schmalen Sofa in seinem Zimmer auf dem Münchner Campus und schlürft an einem Kaffee mit viel Milch. Das Sofa steht unter einem Hochbett, aus Platzgründen. Er hat sich eine kleine Küchenecke eingerichtet, die Küche auf dem Flur des Gebäudes muss er mit 35 Kameraden teilen. Thomas findet, dass die Wehrplicht lieber nicht abgeschafft werden sollte, im Gegenteil: "Es sollte Wehrpflicht für alle geben. Für mich ist die Wehrpflicht auch ein demokratisches Element. Jeder sollte mal etwas für die Gesellschaft tun."

Drücken würde er sich niemals

Doch immer mehr junge Menschen sind heute verunsichert, wenn es um diesen Dienst an der Gesellschaft geht. Das rühre daher, dass es kein festes Leitbild des "Staatsbürgers in Uniform" mehr gebe, sagt Jochen Bohn. "Die Frage, warum man zum Bund gehen soll, ist seit Jahren unbeantwortet." Gerade jetzt, nachdem die Wehrpflicht abgeschafft sei, sei es umso wichtiger, Antworten darauf zu finden.

Er selbst würde sich heute wohl gegen die Bundeswehr entscheiden: "Mir wäre nicht klar, warum und wofür ich dies tun sollte. Wofür kämpfe ich dann als Soldat, wofür töte ich, wofür sterbe ich? Keiner könnte mir das derzeit so überzeugend beantworten, dass ich bereit wäre, die Risiken des Soldatenberufes mit allen Konsequenzen auf mich zu nehmen", sagt Bohn.

Dass er vermutlich eines Tages in den Krieg muss, ist Thomas klar, aber noch schiebt er den Gedanken von sich weg. Es ist ja noch lange hin und Sorgen könne er sich dann ein paar Wochen vor dem Einsatz machen, sagt er. Drücken würde er sich aber niemals: "Andere Kameraden waren vor mir auch schon da." Von seinen Kameraden weiß er, worauf er sich einstellen muss. Dass die Bundeswehr täglich unter Beschuss steht. Dass sie um ihre Stellung in Afghanistan kämpft. Was leicht oder schwer verletzt bedeutet.

"Man kommt nie zur Ruhe"

"Das Schlimmste ist, dass man während eines solchen Einsatzes dauerhaft unter Stress steht", erklärt Thomas. "Ständig muss man einen Hinterhalt vermuten, jemanden, der plötzlich auf einen schießt, Minen, Sprengfallen. Dann siehst du vielleicht einen Mülleimer, der gestern noch nicht da war, und du fragst dich automatisch, ob da ein Sprengsatz drin sein könnte. Man kommt nie zur Ruhe. Psychisch ist das anstrengend."

Wie sich die Bundeswehr entwickelt, wird sich noch zeigen. Eines aber ist klar: Sie wird eine neue Identität finden müssen. Dazu müsse sich die Bundeswehr mit ihrem Leitbild auseinandersetzen, sagt Wissenschaftler Bohn. Die Bundeswehr wird sich ins Zeug legen müssen, wenn sie überzeugen will. Oder, um es mit den Worten von Jochen Bohn auszudrücken: "Notwendig ist eine neue gute Sache, die einigt, für die es sich gemeinsam einzustehen, zu kämpfen und sogar zu sterben lohnt."

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