Kolumne: Vor Gericht:Samt und Seide

Lesezeit: 2 min

Glitzerkragen: Ruth Bader Ginsburg (Foto: J. Scott Applewhite/AP)

Beim Bundesverfassungsgericht brauchen die Richter eine Anziehhilfe, Ruth Bader Ginsburg setzte gerne auffallende Kragen ein. Über eine ganz besondere Berufsbekleidung - die Robe.

Von Ronen Steinke

Am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig trägt man Karmesinrot, "ein bisschen muffig", sagt eine dortige Richterin bedauernd. Das sei ein Farbton, der eher ein bisschen ins Bräunliche gehe. Gar kein Vergleich zum knalligen Theaterrot, das sie traditionell am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe tragen würden - und das übrigens auch offiziell so heißt, weil diese Roben einst von einer Kostümbildnerin des Badischen Staatstheaters entworfen wurden.

Bei den muffigroten Leipzigern ist es jedenfalls so, erzählt die Richterin weiter, dass die Neuen zur Begrüßung erst einmal einen sogenannten "Robenvorgang" erhalten. Das ist eine Akte. Dort steht drin, dass man sich selbst eine Robe besorgen muss und wie die genau geschnitten zu sein hat, und auch genau welcher Farbton es sein muss. Mit der Akte wird ein feiner Streifen Stoff überreicht. Eine Farbprobe. Und eine Empfehlung, bei welchem Schneider man besonders gut bedient wird.

Die Robe ist für Richterinnen und Richter Arbeitskleidung. Man gewöhnt sich dran, sagen die meisten. Das anfangs etwas merkwürdige Gefühl, verkleidet zu sein, vergehe. Die Robe wird nur im Gerichtssaal getragen, nie auf dem Flur, nie in der Kantine, nie im Büro - und man würde sich als Beobachter nun auch täuschen, wenn man glaubte, dass Richter die meiste Zeit im Saal verbringen. Je höher das Gericht ist, desto seltener sitzen sie dort noch, und desto mehr im Büro. So bleibt gerade bei den höheren und höchsten Instanzen auch eine gewisse Distanz zu dem seidenen Überwurf, der Robe. Es ist kein Alltagsgegenstand. Es bleibt etwas Besonderes.

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Am Bundesverfassungsgericht muss sogar immer ein Justizbediensteter kommen, um beim Anziehen zu helfen, so umständlich ist das Gewand. Die Roben dort sind seit den 1950er-Jahren in Gebrauch, sie werden von Generation zu Generation weitergereicht, so hat das mal Andreas Voßkuhle, der frühere Präsident des Verfassungsgerichts, erzählt. Der Grund: Der alte Stoff ist so speziell, dass man ihn heute nicht mehr in demselben Farbton bekommt. Deshalb hält das Gericht sogar einen alten Ballen dieses Stoffes vorrätig - eiserne Reserve, falls mal was zu flicken ist.

Besonders hübsch ist es, wenn man die Gruppenfotos der kanadischen und amerikanischen Supreme-Court-Richterinnen und -Richter miteinander vergleicht. In Kanada trägt man einen leuchtend roten Mantel mit kuscheligem, weißem Fellbesatz an den Ärmeln, den Schultern sowie um den Bauch. Eine passende Zipfelmütze trägt man nicht. In den USA kleiden sich die höchsten Richterinnen und Richter dagegen so schlicht, wie es nur geht: schwarze Seide, basta. Eine Amtstracht wie am Amtsgericht Passau.

Die amerikanische Richterin Ruth Bader Ginsburg war berühmt dafür, dass sie ihre schwarze Robe immer noch um ausgefallene Kragen und Ketten ergänzte. Das könnte man am muffigroten Bundesverwaltungsgericht natürlich auch einmal versuchen. Erlaubt ist es bestimmt.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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